Ritter von der humorvollen Gestalt
Von Heinz Wagner
Kaum jemand verbindet nicht den Namen Don Quijote mit dem (symbolischen) Bild vom „Kampf gegen Windmühlen“. Doch diese wohl bekannteste Geschichte umfasst nicht einmal eine ganze Seite im 1400 Seiten starken 500 Jahre alten Buch von Miguel de Cervantes. Das ändern Annette Scheibler und Sigrun Kilger vom „Ensemble Materialtheater (Deutschland) auf immer wieder witzige, (selbst-)ironische Weise mit zwei Puppen und wenigen sicht- und noch so manchen unsichtbaren Requisiten. Weil sich 1400 Seiten natürlich, obwohl sie das anfangs groß ankündigen, dann doch nicht in fünf Minuten erzählen lassen, mussten sie reduzieren. Doch selbst in den gespielten 70 + 40 Minuten (für Teil 1 und 2) konnten sie nicht alles unterbringen. Allerdings das Wesentliche sehr wohl. Die Grundgeschichte, dass Cervantes den Roman als Art Parodie auf die zu seiner Zeit grassierenden Ritterromane verfasst, in denen die Abenteuer immer heftiger wurden. Die Hauptfigur, Alonso Quijano, begann die gelesenen Abenteuer für bare Münze zu nehmen, saß sozusagen frühen Fake News auf. Und so erklärt er sich selbst zum „fahrenden Ritter“, gibt sich den Namen Don Quijote, nennt sein Pferd Rosinante (aus dem Spanischen rocín/Gaul und antes/vorher, vorangehend), sucht sich einen Knappen – Sancho Panza. Den überzeugt er von der Mitreise mit dem Versprechen, ein Ei-Land aus den eroberten Gebieten zu bekommen. Immer wenn der nicht weiter will, hält er ihm das Versprechen wie die sprichwörtliche Karotte vor die Nase des Esels.
Ritt auf dem Buch
Folgerichtig lassen die Figurenspielerinnen den Helden auf einem aufgeklapptem Buch reiten – in dem er zuvor gelesen hat. Und in dem sie immer wieder blättern um über ihre eigenen Abenteuer zu lesen – und sich so neuen Stoff zu holen für die weiter fantasierten Episoden.
Und wie Cervantes zwischen Abenteuern und der Reflexion darüber pendelt, so steigen die beiden Spielerinnen (Regie: Alberto García Sánchez, Ulrike Monecke; Figuren & Objekte: Ute Kilger) recht oft aus den gespielten Szenen – ausgewählten Szenen aus Cervantes zweiteiligem Werk - aus, um über die Tücken ihres Spiels zu quatschen, mitunter zu philosophieren. Wobei sie manche, weniger bekannte, Sprichwörter zum Besten geben: „Je öfter man anhält, desto schneller kommt man Voran“, „Ein halbes Ei ist besser als die ganze Schale“.
In diese Kategorie fällt vielleicht auch das den starken/dicken Roman ansprechende (Wort-)Bild: In der Hitze der kahlen Ebene der Mancha sei Don Quijotes Gehirn eingetrocknet, er habe den Verstand verloren und so sei viel Platz für neue Gedanken/Abenteuer. Am Ende, als es den ersten wirklich Toten gibt – Don Quijote kurz vorm Sterben – dreht sich das Verhältnis ver-rückter Ritter von der traurigen Gestalt und treuer, skeptischer Knappe um. Ersterer wird „vernünftig“, Letzterer bedauert dies.
Auch wenn über weite Strecken sehr humorvoll, ist die extrem – aus 100 Stunden Improvisation – verdichtete Version vielleicht doch ein wenig lang geraten. Und dass die bei Cervantes nie in Erscheinung tretende von Don Quijote Angebetete überhöhte Dulcinea von Toboso (dulce/süß) hier als übergroße vogelscheuchen-artige Figur auftritt – naja.
Genial hingegen, dass sie das abgedroschene Bild vom Kampf mit den Windmühlen aus der Sicht der Windmühlen spielen – dargestellt mit alten Holz-Teppichprackern. Ein einfacher, aber beeindruckender Perspektivenwechsel!
Don Quijote
Nach Miguel de Cervantes
Ensemble Materialtheater (Deutschland)
Schauspiel, Puppentheater
Autor*innen: Sigrun Kilger, Annette Scheibler, Alberto GarciámSánchez, Miguel de Cervantes
Regie: Alberto García Sánchez, Ulrike Monecke
Spiel: Annette Scheibler, Sigrun Kilger
Musik: Andreas Grossmann
Figuren & Objekte: Ute Kilger
Ausstattung & Bühne: Ensemble
Licht: Luigi Consalvo
Assistenz: Julia Hagen