Österreichischer Beitrag bei größtem asiatischen Hybrid-Filmfestival
Von Heinz Wagner
Zwei Dinge machen das 51. Internationales Filmfest Indiens in Goa (IFFI) besonders. Zum einen lief es bei Weitem nicht nur online ab, 3500 registrierte Gäste, die täglich ihren Negativ-Test vorweisen mussten und Temperatur gemessen wurden, konnten an neun Tagen aus 224 gezeigten Filmen aus rund 60 Ländern in elf Kinos auswählen. Einer davon ein österreichischer in Indien gedrehter Film: „Mehrunisa“.
Für diesen stammen Drehbuch und Regie vom in Wien lebenden Filmemacher Sandeep Kumar Er zählte obendrein neben „Another Round aus Dänemark, der kürzlich für einen Oscar nominiert wurde sowie „Wife of a Spy“ (Japan) und Venedig-Filmfestival-Gewinner) zu den drei Top-Filmen des IFFI.
Hybrid-Festival, 3500 Gäste, keine Corona-Fall
Neben den online registrierten Teilnehmer_innen verfolgten mehr als 3500 registrierte Besucher_innen direkt das Festival, während rund 600 Millionen Menschen Teile des Festivalgeschehens durch die Live-TV-Übertragungen sehen konnten. Festival Direktor Chaitanya Prasad wurde auch vielfach für „seinen Mut und seine Organisation“ gelobt, so ein großes Filmfestival unter Einhaltung aller Corona-Maßnahmen beispielhaft zu veranstalten. „Es wurden keine Corona-Fälle registriert. Das Festival wurde zum Zeichen des Sieges von Film und Kultur über die Pandemie“, sagte Prasad nach dem Ende des Festivals im indischen Fernsehen.
Wo sind all die tollen Schauspielerinnen hin …
Kumar erzählt dem Kinder-KURIER die Story, wie’s zu seinem Film gekommen ist, in dem die 88-jährige legendäre indische Schauspielerin Farrukh Jaffar die Hauptrolle spielte. „Getriggert hat mich, dass ich mir vor drei Jahren gedacht habe, wo sind all die tollen Schauspielerinn im indischen Kino, die ich aus meiner Kindheit und Jugend kannte, hin verschwunden. Die Männer von damals spielen heute noch alte Helden. Die Frauen waren weg. Und Farrukh Jaffar, die erst spät zum Film gekommen ist, hatte immer nur kleine Nebenrollen – kurz auftauchende Tanten oder Großmütter.“
Daraus „kochte“ Sandeep Kumar eine Geschichte, später das Drehbuch des besagten Films. Die im Film 82-jährige Mehrunisa war ihr Eheleben lang vom Gemahl unterdrückt worden. Nach seinem Tod zerhackt sie, während alle anderen trauern, das Ehebett und verbrennt es im Hinterhof – ein Akt der Befreiung. Nun startet sie ein selbstbestimmtes Leben. Als ihr ein Bollywood-Produzent eine kleine Rolle in einem gigantischen Film anbietet, lässt sie sich das nicht bieten, kämpft dafür, dass die Geschichte aus der Perspektive einer Frau erzählt werden müsse …“
Die alte neuerdings Kämpferin wird von der Enkelin unterstützt selber zum Vorbild für Frauen im ganzen Lande. Soweit der Plot.
Alle Darsteller_innen aus der Region
„Schon beim Schreiben des Drehbuchs hatte ich Farrukh Jaffar als Hauptfigur im Kopf. Ich bin dann mit dem halbfertigen Drehbuch nach Nordindien geflogen, um sie zu fragen. Da war ich mehr als nervös. Denn davon hing für mich der ganze Film ab. In Lucknow auch Lakhnau (Hauptstadt des Bundesstaates Uttar Pradesh) habe ich ihr zweieinhalb Stunden die Geschichte erzählt. Und sie hat sofort ja gesagt.“
Gedreht wurde in Hindi – dann mit englischen Untertiteln versehen – und die komplette Besetzung wurde aus der Region ausgesucht. „Das war mir wichtig, weil dort ein eigener Dialekt gesprochen wird, der sofort zu erkennen ist.“
Team hinter und rund um Kamera aus Österreich
Ansonsten ist „Mehrunisa“ ein österreichischer Film, von Österreicher_innen hinter und rund um die Kamera – Ton, Schnitt, Maske und Musik - gemacht.
Alle Versuche, jedoch indische Koproduzenten zu finden, scheiterten, „immer wurde gefragt: Wer ist der Held? Im indischen Kino ist für den kommerziellen Erfolg ein namhafter männlicher Hauptdarsteller unumgänglich. „Außerdem, eine 88 jährige Hauptdarstellerin gab es noch nie. Sie waren alle skeptisch“, sagt Kumar zum Kinder-KURIER.
Daher die Frage, wie der Film beim Festivalpublikum angekommen ist. „Standing Ovations bei der Gala-Vorstellung. Wir waren alle überwältigt, dass der Film nicht nur bei den Frauen sondern auch bei den indischen Männern so gut ankommt. Ein 84-jähriger Inder hat mir nachher gesagt, Mehrunisa sei der Beste Film den er seit langem gesehen hat. Er hat dabei viel gelacht aber auch geweint”, so Sandeep Kumar beim analogen Interview mit Corona-Abstand.
„Das Problem im indischen Kino ist, dass mainstream Bollywood alles überschattet. Independent (unabhängige) Autor_innen-Filme müssen den Weg über die Festivals ins Kino suchen. Und dazu kommt, dass fast alle einheimischen Filme im Gegensatz zu Österreich privat finanziert werden. Trotzdem werden in Indien jährlich fast 3000 Filme produziert, fast dreimal so viel wie in Hollywood.“
Zwei Filmkulturen
Das Team hinter der Kamera brachte Kumar aus Österreich mit – Leute, die er teilweise schon von anderen Produktionen kannte. Dazu kam eine lokale indische Crew. „Es sind zwei Filmkulturen aufeinander geprallt, darum haben wir eineinhalb Wochen vor Drehbeginn Workshops gemacht, um uns aneinander zu gewöhnen. Und da es in dieser Region das Zeitgefühl komplett anders ist als im Mitteleuropa haben wir lustigerweise eine spezielle Produktionsassistentin nur fürs pünktliche Erscheinen am Set engagieren müssen.“
Der Film, dessen Musik nicht indisch, aber sehr gefühlsbetont, fast europäisch klingt aber eben mit indischen Bildern unterlegt ist, teils Szenen wo indische Tänze von Klaviermusik begleitet werden – soll „jetzt erst einmal ein Jahr nur auf Festivals reisen, wir wollen, dass er ein längeres Leben hat und hoffen auf eine Österreich-Premiere bei einer Diagonale“.
Thema Altersdiskriminierung
Spannend fand Kumar, dass ungefähr zu der Zeit als er aus Goa nach Österreich zurückkam, die von Mavie Hörbiger angestoßene Diskussion wegen Altersdiskriminierung vor allem von Frauen auf Bühnen und in Filmen stattgefunden hat. „Diese Parallelität! Ich bin der Meinung, dass Geschlecht und Alter in der Kunst überhaupt keine Rolle spielen soll. Ich bin aber kein Aktivist, sondern Filmemacher. Dass, meine Filme meistens weibliche Hauptdarsteller haben, kommt meines Erachtens eher aus der Story heraus.“
Mehrunisa
Stab:
Drehbuch/Regie: Sandeep Kumar
Kamera: Christian Haake
Ton: Herbert Verdino
Schnitt: Claudia Linzer
Musik: Iva Zabkar
Schauspieler_innen:
Mehrunisa: Farrukh Jaffar (88)
Tochter: Tulika Banerjee
Enkeltochter: Ankita Dubey