Negieren der Schwangerschaft als Risikofaktor für Kindestötungen
Das Negieren der Schwangerschaft infolge traumatischer Erlebnisse bzw. Persönlichkeitsstörungen könnte ein Risikofaktor für Neonatizide - die Tötung des Kindes binnen 24 Stunden nach der Geburt - darstellen. Das hat eine finnisch-österreichische Studie zu 28 Fällen ergeben.
Die Resultate der Analyse zu 28 untersuchten Fälle von einmaligen und wiederholten Neonatiziden ist in einem Themenheft der "Archives of Women's Mental Health" zum Thema "Kindstötung" von Claudia Klier von der Wiener Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde (MedUni Wien/AKH) gemeinsam mit finnischen Experten Helsinki und Turku publiziert worden. Es gab nur wenige Unterschiede bei einzelnen soziodemografischen Variablen, wie dem Alter der Frau, der Gesamtzahl an Kindern sowie des Ausbildungsstatus und der Lebenssituation. "Die wichtigste Gemeinsamkeit ist hingegen, dass die Negierung der Schwangerschaft durch die betroffenen Frauen und ihr soziales Umfeld den wichtigsten Risikofaktor darstellt", hieß es am Dienstag in einer Aussendung der MedUni Wien.
Stark rückläufig
In Österreich ist die Zahl der Neugeborenentötungen stark rückläufig. Waren zwischen 1991 und 2001 noch rund sieben von 100.000 Neugeborenen betroffen, so sind es derzeit drei Kinder pro 100.000 und Jahr. Österreich liegt damit inzwischen im europäischen Mittelfeld, die skandinavischen Länder haben jedoch deutlich niedrigere Raten.
"Generell konnte gezeigt werden, dass wiederholte Neonatizide nicht so selten sind, wie angenommen. Im Zeitraum von 1995 bis 2005 war überraschenderweise jeder dritte getötete Säugling auf einen vorher noch nicht entdeckten Wiederholungsfall zurückzuführen", wurde die Leiterin der Pädiatrischen Psychosomatik der Klinik in Wien zitiert. Neonatizid ist die Tötung eines Kindes in den ersten 24 Stunden nach der Geburt. Der Tötung geht laut den Studienergebnissen offenbar ein monatelanger Prozess von "Negierung" voraus: Die Frau kann aufgrund verschiedener Traumata bzw. einer Persönlichkeitsstörung die Schwangerschaft nicht wahrhaben, negiert sie, und ihr soziales Umfeld hat - unabhängig von der Lebenssituation - häufig keine Kenntnis der Schwangerschaft. Eine Auseinandersetzung mit der ungewollten Schwangerschaft findet folglich nicht statt.
Panik bei Geburt
Claudia Klier betonte: "Auch das Wort Schwangerschaft wird nicht benutzt. Die Frau erklärt bei Nachfragen die Gewichtszunahme durch zu viel Essen, Blähungen und andere Gründe, wodurch also eine Uminterpretation der Symptome stattfindet. Die Frauen haben keinen Kontakt zum Gesundheitssystem, die Geburt, von der die Frauen meist überrascht werden, erfolgt unassistiert und heimlich, was ein hohes Risiko für die Gebärende und das Kind birgt. Denn das Neugeborene wird entweder nicht versorgt oder aktiv getötet, da es in dieser Situation zu Panik und dissoziativen Zuständen bei der Gebärenden kommen kann.
Anonyme Geburt
Zurückzuführen ist die erfreuliche Entwicklung in Österreich jedenfalls auf die Einführung der "anonymen Geburt" in Österreich im Jahr 2002 (http://anonymegeburt.at/anogeb-eur-map/). Claudia Klier: "Die anonyme Geburt und Schwangerschaftsbegleitung ist ein sehr effektives Mittel, um diesen Frauen in ihrer schwierigen Situation zu helfen und sie vor, während und nach der Geburt medizinisch und psychosozial zu betreuen." Der Neonatizid ist in Österreich nach dem Strafrecht ein "privilegiertes" Tötungsdelikt mit im Vergleich zu anderen vorsätzlichen Tötungsdelikten reduziertem Strafrahmen zwischen sechs Monaten und fünf Jahren Gefängnis. Er wird angewendet für eine "Mutter, die das Kind während der Geburt oder solange sie noch unter der Einwirkung des Geburtsvorgangs steht, tötet."