Warum der neue Corona-Begriff „mütend“ jetzt in aller Munde ist
Von Alexander Kern
Ein neues Wort macht die Runde. Und es trifft die Sache wie den berühmten Nagel auf den Kopf. „Mütend“ heißt es, und wir ahnen es: Es setzt sich zusammen aus „müde“ und „wütend“, weil genau das die meisten sind; „Pandemiemüde“: das lotete die Causa Corona, mit der wir kürzlich unliebsames Einjähriges feiern durften, nur ungenau aus. Und „Wutbürger“, zumindest wenn damit überzogene Meinungsäußerungen in instabilem Zustand gemeint sind, wird den meisten schon gar nicht gerecht.
Wir stolpern von einem Lockdown in den nächsten, der Ernst der Lage ist den Menschen bewusst, indes legt sich eine eigene Stimmung über unser Leben, und das schon viel zu lang. Dazwischen gibt es Pressekonferenzen.
„Mütend“, das beschreibt diesen oszillierenden Zustand gut. Es ist eine Bestandsaufnahme, die eine deutsche Ärztin geprägt hat: Carola Holzner hat sie formuliert, die damit die sich ständig ändernden Regeln seitens ihrer Regierung etikettierte. Und das bereits Sonntagmittag. Montagabend beriet die Polit-Spitze dann bei einem Corona-Gipfel über neue Maßnahmen; heute entschied die deutsche Kanzlerin Angela Merkel nach harter Kritik den vorgesehenen Oster-Lockdown wieder zu kippen.
"Doc Caro" spricht vielen aus der Seele
Carola Holzner ist Fachärztin für Anästhesie, Intensiv- und Notfallmedizin an der Uniklinik Essen, aber nicht nur das. Auf Facebook und Instagram berichtet sie seit dem Oktober 2019 über ihr Berufsleben unter dem Namen „Doc Caro“. Medizin möchte sie mit ihren Postings leicht verständlich kommunizieren, ohne dabei wissenschaftlichen Humbug zu erzählen. Eine Frau an vorderster Front also, und ihr Ärger sorgt für Aufmerksamkeit.
„Wir sind müde. Pandemiemüde (mein Unwort des Jahres, aber so treffend)“, schrieb Holzner unter anderem in ihrem Beitrag vom Sonntag. „Und wir sind wütend. Müde von Lockdown zu Lockdown zu denken. Müde über Wellen zu sprechen. Masken nein, dann Masken ja. Schnelltest erst nicht, dann kann es nicht schnell genug gehen. Schulen auf, Schulen zu, dann wieder auf.“
Auch Mallorca-Urlauber (den Deutschen ist es erlaubt, auf der Iberischen Halbinsel Urlaub zu machen) und Kapazitätsgrenzen in Spitälern spricht sie an.
"Politisches Rumgeeiere"
Die Pandemie als solche zweifelt sie dabei nicht an, „die Wertigkeit eines Lebens“ stünde selbstverständlich nicht zur Diskussion: „Wir alle müssen den Anspruch haben, Tote und Kranke zu verhindern“; was Holzner aufregt, sind vor allem die sich beständig verändernden Konzepte, damit umzugehen. Dieses „politische Rumgeeiere (auch wenn bald Ostern ist)“, so schreibt sie, „erträgt doch keiner mehr.“
Ihr Posting ging viral. 75.500 User klickten auf Facebook bisher auf „Gefällt mir“, 69.200 teilten Holzners Beitrag, 8.844 kommentieren ihn. Und auch wenn Sätze wie „Ich werde mich weiter an Regeln halten, die ich für sinnvoll erachte. Ich kann aber verstehen, dass die Leute es Leid sind“ von manchen als Bestätigung interpretiert werden könnten, sich ihre eigenen Corona-Regeln zurechtzuzimmern, steht für die Oberärztin vor allem eines im Vordergrund: der Zusammenhalt.
Die bloggende Medizinerin appelliert, dass jetzt alle an einem Strang ziehen müssten: „Zum Wohl der Gesundheit. Das sollte ganz oben stehen.“ Und auf dass der Begriff „mütend“ bald nicht mehr länger zu unserem Wortschatz gehören muss.