Leben/Reise

Arlberger Urgesteine: Vom Olympiasieger zum Bergbauer

Hubert Strolz winkt, stoppt seinen Motormäher, hüpft wie eine junge Gämse die steile Almwiese herunter. Das Tagwerk, die Mahd seiner Wetterweide in Warth, hat er an diesem warmen Sommernachmittag fast vollbracht. „Muass luaga, wia des Wetter ischt. Zwei guate Tag bruchst halt bem Mäha.“ Strolz wischt sich mit dem Unterarm flüchtig über die Stirn, es perlt aber kaum Schweiß ab. Der 58-Jährige wirkt auch viele Jahre nach Ende seiner aktiven Skirennfahrer-Karriere extrem fit. Er lacht, schaut zufrieden drein.

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Von der Wetterweide hat Strolz Wesentliches im Blick: unterhalb die Lechtal Straße, die südwärts in die Skiorte Lech, Zürs und St. Anton am Arlberg führt, Touristenhochburgen in den Wintermonaten. Im Tal der tosende Lech, einer der letzten Wildflüsse Europas. Mit der Hand deutet Strolz Skitourenrouten am gegenüberliegenden Berghang an, die er im Winter gerne absolviert. Als Laie erkennt man lediglich steile Felswände. Linkerhand liegt seine Heimatgemeinde Warth, dahinter der 2.599 Meter hohe Biberkopf – Hausberg und Grenze zu Deutschland. Hier ist „der Atem der Berge“ spürbar, wie der neue Tourismusprospekt der Region pathetisch verspricht. Für Strolz Alltag. Auch sein Elternhaus sieht man von hier, eines der ältesten Häuser im Dorf, es stammt aus dem 14. Jahrhundert. Seine Frau führt das Gästehaus „Haus Hubertus“, Hubert kümmert sich um die Landwirtschaft, die Kühe. „I han des vo da Eltra überno. Des isch minne Ufgab.“ Strolz umarmt Kuh Lisi, tätschelt sie. „Des ischt dr Platz, wo i ane ghör.“

Die wohlüberlegten Fragen, die man als Journalist einem Olympiasieger stellen möchte, wirken hier und jetzt deplatziert. Strolz ist ein klingender Name im Alpinen Skizirkus, der Vorarlberger gewann bei den Winterspielen in Calgary 1988 die Goldmedaille in der Kombination, fuhr jahrelang an der Weltspitze mit, zahlreiche Podestplätze und einen Weltcupsieg ein. 1992, bei den Olympischen Spielen im französischen Albertville, scheiterte er im Kombi-Slalom – mit großen Vorsprung die Titelverteidigung vor Augen – zwei, drei Tore vor dem Ziel. Skifans leiden noch immer. Doch nicht im TV-Studio, nicht vor der Wohnzimmer-Vitrine mit Pokalsammlung: Strolz trifft man auf der Alm. Er ist mit Herzblut Bergbauer.

Die Bergdörfer Warth (auf rund 1.500 Meter) und Schröcken (gut zweihundert Meter tiefer) sind noch stark von der Besiedlung der Walser geprägt. Die Walser kamen vor über siebenhundert Jahren aus dem Südschweizer Kanton Wallis quer über die Alpen, um sich am „Tannberg“ anzusiedeln. Die Berge, die harte Arbeit, der Dialekt, der Menschenschlag, hier bildet alles noch eine Einheit. Sein Vater war Bergbauer, Jagdaufseher, Skiführer. Hubert wurde streng katholisch erzogen. „Der Vater ging am Sonntag drei Mal in die Kirche. Frühmesse, Hochamt, Vesper.“ 150 bis 200 Menschen leben in Warth, die Einwohnerzahl ist über die Jahrhunderte trotz karger Jahre und damit einhergehender Abwanderungswellen konstant geblieben.

Vor Jahrzehnten, bevor die Touristen dann auch auf diese ruhige Seite des Arlbergs kamen, haben fast alle ansässigen Familien von der Landwirtschaft gelebt, „alles von Hand gemacht“. Früher habe es „dreiundzwanzig Höfe gegeben, jetzt sind es nur mehr fünf“. Natürlich, heute gehe die Arbeit schneller voran. Strolz zeigt auf den grünen Einachsmäher, führt ihn vor. Zweieinhalb Meter breiter Mähbalken, statt normalen Reifen mit Profil ist eine Stachelwalze montiert. Die frisst sich in die Almwiese, gibt beim Mähen Halt. „Des isch genial.“ Trotzdem: Die Arbeit ist mühselig, so ein Hightechgerät koste oft mehrere Zehntausend Euro – gebraucht. „Da kriegscht a Auto ums Geld. Brutal.“ Er bekomme als Biobergbauer auch Förderung, ansonsten sei dies nicht möglich. „Du musst aber wirklich Idealist sein.“

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Skifahren ist auch schön

Seine große Leidenschaft sind – und das verhehlt er keine Sekunde – die Kühe. Sechs Stück besitzt er, dazu einige Kälber. Rasse „Brown Swiss“. Strolz züchtet aber seit einiger Zeit zurück auf Original Braunvieh, das dauere so vier Kuhgenerationen. Original Braunvieh „ist kleiner, leichter, wendiger, kommt auf den steilen Hängen wie bei mir besser zurecht“. Eigentlich eine robuste Zweinutzungsrasse (Milch, Fleisch), aber bedroht. Denn die Rasse habe man ursprünglich hier im Vorarlberger Alpenraum gehalten, aber mit anderen Kühen gekreuzt und so auf mehr Milch getrimmt. „Ich bin da zurück auf dem Weg zum Ursprung.“ Von Ende Mai bis – wenn das Wetter passt – Ende September lässt er die Kühe auf der Weide. Die Milch liefert Strolz an die lokalen Hotels und für die Käseherstellung an die Wälder Metzge in Warth.

Am Ende bleibt die Frage nach den zwei Brettl, die in Österreich so viel bedeuten, unausweichlich. Die Skikarriere sei eine glückliche Fügung gewesen – neben den natürlichen Voraussetzungen, Warth-Schröcken zählt zu den schneereichsten und schneesichersten Skigebieten Europas: Volksschüler „Hubsi“ ist zehn, als die Skischule in Schruns im Montafon eröffnet wird. Er wechselt dorthin, kommt oft sechs oder sieben Wochen nicht heim zu den Eltern. „Wir haben für damalige Verhältnisse schon professionell trainiert.“ Der Rest ist Geschichte. Heute ist er auch Skilehrer, trifft manchmal noch alte Weggefährten wie die miteinander verheirateten Skistars Anita Wachter und Rainer Salzgeber, beide aus Schruns. Und ja, sein Sohn Johannes, Technik-Spezialist, ist im A-Kader des Österreichischen Skiverbands. Nun muss aber die Mahd fertig werden, Bauern soll man nicht vor der Arbeit abhalten. Zum Abschied grüßt Strolz herzlich und startet den Balkenmäher.

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Weiter Richtung Schröcken, auf halbem Weg zwischen den beiden uralten Walser Dörfern, liegt der Hochtannbergpass. Er verbindet das Lechtal mit dem Tal der Bregenzer Ach bei Schoppernau, ist Teil der Europäischen Hauptwasserscheide. Und wichtig aus touristischer Sicht: Im Winter Talstation etlicher Seilbahnen und im Sommer Ausgangspunkt traumhafter Wanderungen. Unweit davon liegt der besonders schöne Körbersee: Trinkwasserqualität, nur zu Fuß erreichbar und im Jahr 2017 in der ORF-Sendung „9 Plätze – 9 Schätze“ zum schönsten Platz Österreichs gewählt. Aber in dieser landschaftlich gesegneten Region zwischen Lechtaler Alpen, Bregenzerwald und Allgäuer Alpen kann man es sich bei einem Besuch ungeniert leisten, den Körbersee links liegen zu lassen. Das Ziel ist die Höferspitze (2.131 Meter) mit wunderbarem Blick ins Kleine Walsertal. Spielt das Wetter mit, sieht man über drei Länder und bis zum Bodensee.

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Christian Fritz, Skilehrer und Bergführer-Weltmeister 2012, ist für die Wanderung gebucht, aber nicht an vereinbarter Stelle am Tannbergpass anzutreffen. Stattdessen wartet sein Vater Gebhard Fritz, ein weiteres Urgestein. Braungebrannt, grauweißer Vollbart. Die Sonnenbrille steckt an der Kappe. Eine charmante Kreuzung aus Reinhold Messner und Alm-Öhi. „Meine Frau sagt, ich soll den Bart abrasieren, ich schaue so alt aus“, sagt Gebhard und schmunzelt. Dass er bereits in seinen Siebzigern ist, merkt man ihm nicht an. Gebhard (auf dem Berg ist man ja per Du) ist seit mehr als vier Jahrzehnten geprüfter Bergführer, betreibt gemeinsam mit seinen beiden Söhnen die Alpinschule Widderstein. Und improvisiert kurzerhand: Wegen des Regens am Vortag ändert er von der geplanten Gratwanderung zur Höferspitze auf einen Schmugglerpfad hinauf zur Widdersteinhütte.

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Unterwegs unterhält Gebhard mit historischen Anekdoten. Erzählt von Pionieren wie dem Warther Pfarrer Müller, der schon im 19. Jahrhundert mit Ski unterwegs war. Erklärt die Pflanzenpracht am Wegesrand. Kohlröschen (riecht getrocknet nach Vanille), Gelbe Arnika, Knabenkraut. „Da, aus dem Roten Enzian wird Schnaps gemacht.“ Zeigt auf den Biberkopf, „unser schönster und höchster Berg.“ Auch die schneebedeckte Braunarlspitze im Südwesten ist ein Blickfang. „Ah, schau, mein Neffe fängt an zu mähen“, sagt er und zeigt auf eine Almwiese. „In der Früh, wenn’s nass ist, dann haut’s schön“, fügt Gebhard lachend hinzu.

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Kurz vor der Widdersteinhütte, taucht eine ganze Murmeltierfamilie auf. Sie lassen sich beim Vorbeigehen nicht Verschrecken, gucken tiefenentspannt aus ihren Löchern, es können nur Vorarlberger Murmeltiere sein. Am Ende der Wanderung lässt sich Gebhard noch entlocken, warum er für seinen Sohn eingesprungen ist. Am Vortag kam seine Enkeltochter zur Welt. Ein schöner Platz für den ersten Atemzug.

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Klimafreundliche Anreise
Mit dem ÖBB-Railjet direkt von Wien nach St. Anton am Arlberg (5:55 Std.), weiter mit Regionalbus über Lech/Zürs nach Warth-Schröcken

„Outdoor Big Five“
Das neue Angebot kombiniert fünf Abenteuer – jeden Tag eine  neue Herausforderung: Kraxelei auf dem Klettersteig, Canyoning in  Schluchten, Flying Fox, Hindernisparcours im Abenteuerpark und  Wildwasserschwimmen im Lech. Tourismusverband: warth-schroecken.at Tel. 05583/351 50

Programm
Bergtouren organisiert die alpinschulewidderstein.com

Flying Fox und Hochseilgarten in  Schröcken bietet der abenteuerpark.net.

Kräuterwanderungen mit Veronika Walch (jeden Di., auch bei Schlechtwetter) auf kraeuterwerkstatt-lech.at;

Kaum Lichtverschmutzung: Perfekte Bedingungen für Sternenbeobachtung gibt's beim Weltfriedenskreuz am Simmel

Essen & Unterkünfte
– Hotel Gasthof Tannberg in Schröcken (Wild, Schwammerl etc.), tannberg.at
– Tirolerhof (zünftig, Steaks) restaurant-warth.at
– Ski- und Wanderhotel Jägeralpe (4-Sterne, direkt an der Talstation) jaegeralpe.at