Was Frauen Wollen
Von Annemarie Josef
Wenn Paare in die Praxis kommen, um der Wiener Paartherapeutin und Sexualmedizinerin Elia Bragagna ihr Leid anzuvertrauen, klingt das etwa so – Er: „Sie verführt mich nie“. Sie: „Es ist alles so fad, immer der gleiche Griff an den Busen, zwischen die Beine und das soll es dann sein.“
In vielen österreichischen Schlafzimmern herrscht Flaute. Das ist in ganz Europa nicht besser und in Amerika sowieso nicht. David Schnarch, amerikanischer Sexualtherapeut: „Untersuchungen zeigen, dass Störungen des sexuellen Verlangens so weit verbreitet sind, dass man sie als normal bezeichnen muss.“
Oft sind es Frauen, die keinen Spaß am Sex haben. Laut einer Untersuchung am Donauspital in Wien aus dem Jahr 2004 leiden 22 Prozent der Frauen an Luststörungen, 35 Prozent an Erregungsstörungen. In neueren, internationalen Studien ist sogar von bis zu unvorstellbaren 50 Prozent die Rede. Dabei ist das weibliche Verlangen „eine unterschätzte und unterdrückte Kraft“, schreibt Daniel Bergner. In seinem aktuellen Buch „Die unentdeckte Lust der Frauen“, versucht der US-Autor mithilfe von Forschungsergebnissen veraltete Mythen über das weibliche Begehren zu entlarven. Die Kernaussage: Das Verlangen der Frauen ist vielschichtiger, animalischer und größer, als sie es sich selbst eingestehen. Das geht sogar soweit, dass sie sexuelle Erfahrungen leugnen. Warum sie das tun? Sexualmedizinerin Bragagna: „Frauen merken oft nicht, dass sie vieles erregt. Sie warten auf die Erregung vom Herzen. Dabei existiert eine Vielfalt an Sinnlichkeit, die sie nicht zulassen. Weil es etwa ihrer Vorstellung von Treue nicht entspricht.“
Kaum zu glauben, leben wir doch im Zeitalter von Lady Gaga, in dem Frauen ihre scheinbar enthemmte Lust vor sich hertragen wie eine Trophäe. Es sind immer noch alte, tradierte Rollenbilder und kulturell verankerte Werte, welche die Sexualität von Mann und Frau in ein Korsett zwängen. Vor allem die Sexualität der Frau hat man gerne unter Kontrolle. Die Frau darf und soll Lust haben, aber bitte nicht zu viel, zu stark und nur innerhalb der Ehe. Dabei sucht die Wissenschaft längst nach neuen Erklärungsmodellen, die unsere Vorstellung von alten Rollenbilder widerlegen sollen. Zum Beispiel, dass Frauen für die Monogamie eigentlich gar nicht geschaffen sind.
Primatologin und Anthropologin Sarah Blaffer-Hrdy zeigt etwa anhand von Beobachtungen an Langurenweibchen ein evolutionäres Erklärungsmodell dafür, dass Frauen alles andere als treu und beständig sind: Die Affenweibchen paaren sich mit möglichst vielen Männchen, um die Chance auf eine Schwangerschaft zu erhöhen, aber auch um zum Höhepunkt zu gelangen. Neue Partner heizen ihre Aktivität an.
Die Erfindung einer Sexpille wird gerne als „Retterin der Ehe und der Monogamie“ bezeichnet. Seit mehr als 15 Jahren wird eifrig an der so genannten „Lustpille“ gebastelt. Doch bisher sind fast alle Forschungs-Projekte gescheitert. Erst vor Kurzem wurde dem vielversprechenden Wirkstoff Fibanserin nach Europa auch in Amerika eine Absage von der Zulassungsbehörde FDA erteilt. Die Begründung: Die mäßige Wirksamkeit könne nicht die bestehenden Nebenwirkungen und Risiken rechtfertigen. Das Problem ist, dass die Lust der Frau nicht so einfach zu beinflussen ist. Dennoch sind die Hoffnungen groß, dass es bald mit einer anderen Pille klappen könnte. Genauer gesagt, sind es zwei Pillenvarianten mit Wirkstoffkombinationen, die unterschiedliche Probleme der Frau beheben sollen: Lybrido ist für jene Frauen gedacht, die aufgrund ihres verminderten sexuellen Verlangens für sexuelle Signale relativ unempfänglich sind, und Lybridos soll jenen helfen, die aufgrund ihres überaktiven, sexuellen Hemmsystems im Gehirn unter Unlust leiden.
Elia Bragagna: „Der Haken bei der Geschichte ist, dass ein diagnostizierender Arzt sexualmedizinisch sehr gut geschult sein muss, um die zwei Unterschiede erkennen zu können, sonst wird das Medikament nichts bewirken.“ Zu bedenken ist auch, dass traumatische Erfahrungen und psychische Probleme damit nicht gelöst werden können.
Erfinder der Pillen ist der holländische Biochemiker Adriaan Tuiten. Er möchte sie am liebsten schon 2016 auf den Markt bringen. Wann kann man in Österreich damit rechnen? Dazu gibt es aus seinem Labor „Emotional Brain“ keine konkreten Angaben. Bisher bekannte Nebenwirkungen: Kopfweh und leichter Schwindel.
Erhält die Frau durch eine Lustpille ihre verlorene Freude am Sex zurück, wird das sicher ein noch größeres Milliardengeschäft, als Viagra bisher gebracht hat. 38 Millionen Männer haben bis heute weltweit 1,8 Milliarden Viagrapillen zu sich genommen. Dabei bietet Viagra keine Orgamsusgarantie für Männer. Univ.-Prof. Karl Pummer, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Urologie und Andrologie: „Sie können eine ganze Schachtel Viagra einwerfen – wenn Sie sich nachher an die Buchhaltung setzen und keinen sexuellen Anreiz haben, wird sich nichts tun.“
„Mich turnt an, wenn er mir ins Ohr flüstert“, „Es wäre so schön, wenn wir gemeinsam joggen gehen und dann duschen und schon sind wir mittendrin.“ Solche Sätze von Patientinnen, die mit ihren Männern in die Praxis von Sexualmedizinerin Bragagna kommen, weil im Schlafzimmer nichts mehr passiert, sprechen Bände. Es klingt die Sehnsucht durch, nach dem, was einmal war. Als man einander begegnete, sich verliebt hat, alles wie von selbst geklappt hat, leicht war und unverkrampft. Der Mann fühlte sich begehrt, die Frau fühlte sich begehrt. Keiner hatte Grund zur Klage. So ist das zu Beginn: Das Testosteron fährt in den Körper der Frau, macht sie aktiv und sie muss gar nicht drüber nachdenken, ob sie ihn verführt, sie tut es einfach. Der Mann seinerseits verfügt durch den Liebesrausch über weniger Testosteron, was ihn zum zärtlichen Zuhörer und kuscheligen Händchenhalter macht. Mit der Zeit verliert sich der rauschhafte Zustand, wird gegen etwas eingetauscht, was wir gerne Geborgenheit und Vertrautheit nennen. Doch die Hoffnung, die Verliebtheit vom Anfang neu beleben zu können, bleibt. Genauso wie die Sehnsucht nach Treue und Monogamie. David Schnarch sieht sexuelle Probleme in einer Paarbeziehung übrigens als Chance, sich als Mensch weiterzuentwickeln. Er sagt in einem Zeit-Interview: „Wer sich nicht entwickeln will, wird eine Affäre haben, sich scheiden lassen oder in völlige Gleichgültigkeit verfallen und eine schreckliche Beziehung führen.“
Eine Partnerschaft ist für ihn etwas Elegantes. „Du musst wachsen. Das ist die einzige Möglichkeit, sich sexuell weiterzuentwickeln und die Leidenschaft zu entfachen.“
Was ist los mit der Lust der Frau?
Frauen haben Lust, aber die Vorgaben passen nicht zu ihrem Empfinden. Viele glauben, dass sie dem Bild von der Frau aus dem Porno entsprechen müssen, die kein Vorspiel braucht, immer bereit und willig ist, sich nimmt, was sie will. Und dabei auch noch einer konstruierten Ästhetik entspricht. Dabei ist doch klar: Je mehr Performance, desto weniger Sinnlichkeit.
Was empfehlen Sie Frauen, die mehr lustvollen Sex wollen?
Schluss mit dem „Ich-bin-eh-Brav“. Ich hätte so gerne, dass Frauen das Risiko eingehen, nicht auf das Lust zu haben, von dem sie glauben, dass es sie begehrenswert macht. Sondern vielmehr spüren und leben,
was sie wollen.
Wie spürt sie, was sie will?
Durch ihre Körperkompetenz, das heißt, den eigenen Körper erfahren, kennen- und wahrnehmen lernen, seine Grenzen und seine Vielseitigkeit. Anlagen werden oft in der Kindheit gesetzt. Laufen, hüpfen, sich erforschen, die Erfahrung machen: Mein Körper ist gut. Leider müssen oft schon Kinder einem Ideal entsprechen, erfahren Verbote und müssen akzeptieren, was angeblich gut für sie ist, ohne sich eine eigene Körperkompetenz zulegen zu können.
Was sollten Paare, die eine Sexflaute erleben, wissen?
Dass das kein Problem und völlig normal ist. Will man es aber ändern, weil es die Partnerschaft belastet, ist wichtig zu wissen: Der Körper des anderen ist kein Selbstbedienungsladen. Der andere schuldet es einem nicht, sich hinzugeben. Es geht vielmehr darum, gemeinsam Einstiegsszenarien zu entdecken.
Was sollten Männer wissen?
Männer schauen oft nur, ob ihre Antenne funktioniert. Das reicht nicht. Es geht auch darum, dass der Mann ausstrahlt, dass er ein sinnliches Wesen ist.
Können Lustpillen der Frau wirklich helfen?
Wenn es der Psyche nicht in den Kram passt, dann hilft auch keine Pille.