Christian Seilers Gehen: Kennen Sie die Katsushikastraße?
Von Christian Seiler
Ich gehe die Brünnerstraße stadteinwärts, überquere die Katsushikastraße, deren Namen ich langsam und aufmerksam lesen muss, so wie viele Fahrgäste der U-Bahn ihre Gratiszeitung, und lerne dabei, dass Floridsdorf einen Schwesternbezirk in Tokio hat: Katsushika (damit auch Sie ein bisschen üben können). Der Verkehr tost. Es regnet. Der 31er gleitet vorbei, beschlagene Scheiben, Maskengesichter. Gut gelaunt sind nur die Typen, die im Garten vom „Brünner Stadl“ unter einem Blechdach Bier trinken und rauchen. Auch für Verpflegung ist gesorgt. Der Stadl ist „Spareribsland“ und Heimat des XXL-Burgers.
Ich biege in die Werndlgasse ein, betrachte Wohnhäuser, die einen neuen Anstrich gut vertragen würden, marschiere über die Lottgasse bis zum Floridsdorfer Markt, der sich in die offenherzige Krümmung des Schlingerhofs schmiegt. Dieser schöne, alte Gemeindebau hat sogar Arkaden verpasst bekommen, unter denen man auch bei Regen promenieren kann, wenn man beim Installateur oder in der „Esoterischen Kunsthandlung“ etwas einkaufen will. In die ehemalige „Gaststätte Schlingerhof“ ist die Gebietsbetreuung Stadterneuerung eingezogen, gerade wird an einer Reihe von Herdplatten „Marktküche“ ausprobiert.
Ich gehe vorbei, um nachzuschauen, was der Markt zu bieten hat. Obst, Gemüse, die Weinhandlung „Schling’l – Spezialitäten aus Österreich – Wien, Spezialitäten aus Deutschland – Rhein“ hat leider schon geschlossen, von der wunderbaren Hauswarenhandlung Lackstätter brauche ich gerade nichts, und beim Imbiss treffe ich drei Herren, die den hereinbrechenden Abend mit Jägermeister aus der XXS-Flasche begrüßen. Die „Russischen Delikatessen“ im Durchgang zur Brünner Straße haben auch schon den Rollladen hinuntergelassen, ich sehe nur die Werbung für verschiedene Wodkasorten, die in Originaltypografie angepriesen werden: Schon wieder Schwierigkeiten mit dem Buchstabieren.
Der Regen wird stärker. Vom Markt gehe ich weiter Richtung Bahnhof, amerikanischer Foodstore, türkischer Friseur, katholische Pfarre: Auf dem Pius-Barsch-Platz vor der modernen Kirche St. Jakob aus den Dreißigerjahren, von deren schlichter Fassade die zwölf Apostel lebensgroß grüßen, ist noch ein Wasserspiel in Betrieb, das den Platz kühlen soll. Wasser zu Wasser, Laub zu Laub.
Ich überquere den Franz-Jonas-Platz, unterquere den Bahnhof, gehe an ein paar Wohnhauskomplexen aus den Dreißigerjahren vorbei, bis ich in einem Floridsdorf ankomme, das nur noch in Spurenelementen vorhanden ist: einstöckige Häuser in der Mühlschüttelgasse, kleine Vorgärten, viel Grün, dann biege ich auch schon zum „Gasthaus Birner“ ab, dessen Garten zu den schönsten Wiens gehört, wenn es nicht regnet, steige hinunter zur Alten Donau und gehe über den Bruckhaufen zum Donaupark, über dem der vereinsamte Donauturm wacht, keine Busse, keine Touristen, keine Sonne, gehe weiter zur Neuen Donau und betrachte die Skyline, die sich hier aufbaut und prächtig vermittelt zwischen dem Wien, das war, und dem Wien, das sein wird.
christian.seiler@kurier.at