"Als Österreicherin hat man den Vorteil der Wischiwaschineutralität"
Von Bernhard Praschl
Mittlerweile lebt sie länger in der deutschen Hauptstadt als in ihrer Heimat Österreich: Sophie Rois, die wilde Stimme des deutschsprachigen Theaters. Geboren in Linz, aufgewachsen in Ottensheim, OÖ, studierte die Unverwechselbare von 1983 bis 1986 am Max Reinhardt Seminar in Wien und ließ sich dann bald von einem Fieber namens Berlin anstecken. Ein Fieber, das seither nie vergangen ist. Mit dem Autor verbindet sie eine gemeinsame Jugend: Die beiden waren Sitznachbarn im Englischunterricht im BORG Honauerstraße in Linz.
Freizeit: Sophie, wir gingen beide nach der Schule nach Wien studieren. Du am Max Reinhardt Seminar, ich an der Universität Wien. Irgendwann verloren wir uns aus den Augen. Dann erfuhr ich, du seist nach Berlin gegangen und nicht mehr zurückgekehrt. Warum eigentlich?
Sophie Rois: Ich bin im Winter 86, ohne Gastspiel und Aussichten nach Berlin gegangen. Ich habe, ohne dass ich das hätte formulieren können, einen anderen Blick gesucht, ich wollte den von zu Hause loswerden, ich wollte fremd sein. Hier in Berlin war ich im ´richtigen´ Leben gelandet, die Zombiejahre waren vorbei. Wahrscheinlich ist es bei mir die nicht enden wollende Freude des Provinzlers an der Großstadt.
Wie hast du den Mauerfall erlebt? In einem Interview hast du einmal erwähnt, dass du genau an diesem Tag nach Österreich fahren wolltest, wegen dem Stau, dann aber doch in Berlin geblieben bist.
Wirklich, das habe ich gesagt? Da habe ich gelogen. Mein Freund und ich haben diesen Tag im Radio mitverfolgt und unsere Reaktion war sofort: Oh, Gott, jetzt ist die U-Bahn voll! Weihnachten wegfahren kannst du bei der überfüllten Transitstrecke auch vergessen. Aber ich kann mich jetzt nicht erinnern, ob ich dann zu Weihnachten nicht doch nach Hause gefahren bin.
Habt ihr an diesem Tag mitgefeiert oder mitdemonstriert?
Um Gottes willen, nein. Die Leute wurden ja an den folgenden Tagen teilweise mit Bananen empfangen. Bei diesem Schauspiel wollten wir nicht dabei sein.
Hast du dich als Österreicherin eher den Ostberlinern nahe gefühlt oder doch den Westberlinern?
Als Österreicher hat man ja den Vorteil der Wischiwaschineutralität. Es gibt aber eine Gemeinsamkeit von Österreichern und Ostdeutschen: Das Verhältnis zum großen westdeutschen Bruder, das aus einer Mischung von Minderwertigkeitskomplex und Verachtung besteht. Was ich an dieser Stadt von Anfang an mochte: Niemand verlangt von dir, dich zu integrieren, sondern die Haltung ist: Na, was bringst du denn mit ...?
Wie hat sich deiner Meinung nach Berlin in den letzten 30 Jahren, seit dem Fall der Mauer, verändert?
Berlin hat sich drastisch verändert. Aber dieser Tatsache wohnt hier nichts Wehmütiges bei. Schon früher im 20. Jahrhundert gab es hier ja ein paar drastische Veränderungen. Das macht einfach die Charakteristik dieser Stadt aus, dass immer wieder alles Kopf steht. Zuerst die Kämpfe in der Weimarer Republik, dann Reichshauptstadt, dann geteilt. Diese Stadt steht auf einem historisch extrem aufgeladenen Gelände und ist eigentlich traditionslos.
Hat hat sich in dieser langen Zeitspanne auch dein Beruf, das Theater, verändert? Und wie?
Dem Theater, das ich bis dahin gesehen hatte, haftete meistens etwas von einem evangelischen Kirchentag an. Kritisch, kritisch, voll von moralischer Anklage und ein bisschen wehleidig.
Wenn man dich so hört, war das wohl nicht dein Ding?
Genau. 1992 kam Frank Castorf an die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz und hat die dramatische Veränderung am Theater eingeläutet. So etwas hatte ich noch nicht gesehen. Er und seine Leute waren in der Lage, auf diesen historischen Moment zu reagieren – schnell, intelligent und ohne Bildungsbürgerdünkel. Und das mit ausgeprägtem Sex-Appeal und auch äußerst unterhaltsam. Ästhetisch und formal weit voraus. Das nur von wegen geknechtete Ostler. Wenn etwa Henry Hübchen – seit DDR-Zeiten in Theater, Film und Fernsehen erfolgreich – in Schillers Sturm-und-Drang-Drama „Die Räuber“ als Franz Moor den Mund aufmachte, dann schwappte da was von der Bühne nach unten und wieder zurück, Bumm! Also, so konnte Theater sein. Keine zugerichtete Kunstanstrengung, sondern Kompetenz für das, was da verhandelt wurde. Nicht nur das Bühnengeschehen, auch das, was gegenüber im Zuschauerraum passierte, war auf einmal ganz anders.
Sophie Rois steht auch ihren Mann:
Wie machte sich diese Veränderung bemerkbar?
Es kamen plötzlich jene Leute, die die Institution Theater sonst nur als deprimierend empfanden. Die billigste Eintrittskarte kostete fünf Deutsche Mark. Endlich konnte man ins Theater wie sonst in die Kneipe oder ins Kino gehen. Einfach aufstehen, Zähne putzen, ins Theater gehen.
Apropos neue Erfahrung: Wann warst Du das erste Mal im Berliner Konsumtempel „Kaufhaus des Westens“? Shoppingmäßig war in Österreich Ende der 1980er-Jahre ja noch nicht wirklich viel los.
Na, hör mal. Ich bin das Mädchen aus der Greißlerei. Ich möchte nicht übers KaDeWe sprechen. Als Konsumentin bin ich dem kleinen Einzelhandel in immerwährender Loyalität verbunden.
Schön gesagt.
Danke!
Am Deutschen Theater in Berlin bist du zur Zeit an gleich drei verschiedenen Abenden zu erleben. In René Polleschs „Cry Baby“, in „Sophie Rois macht Theater“, einer szenischen Lesung mit Musik und in „Have a Cup of Tea mit Sophie Rois“. Damit kommst du Ende November auch nach Wien ins Rabenhoftheater. Was dürfen wir erwarten?
Irgendwie ist es eine Art „Tribute to Peter Donke“ (Mitbegründer der Linzer Rockband Willi Warma, Anm. der Red.). Meinen großen Freund, den Verstorbenen, habe ich durch dich kennengelernt. Er war meine erste entscheidende Prägung nach dem Elternhaus. Mein Verhältnis zu Musik, mein Geschmack an Literatur, die Art zu denken, so grundsätzlich, das habe ich alles von ihm. Ohne, dass er mir da etwas aufgedrängt hätte. Ich habe den Typen nur so eingesogen. Und von ihm, dem großen Anglophilen, kamen auch die Musik der Kinks („Sunny Afternoon“, „Waterloo Sunset“) und die scharfen und präzisen Texte von Ian McEwan, voller Witz und sehr zart auch.
Deine berühmte raue Stimme ist auch Fans von Hörbüchern ein Begriff. Kinks-Fans weniger. Wirst du im Rabenhof auch singen?
Na, sicher, zu dritt. Die Musiker Mark McRae und Clemens Maria Schönborn werden mich auch an der Gitarre begleiten. Aber zurück zu meiner Liebe zu dem Anglophilen. Das ist immer das Schöne an den Engländern: Sie sind nicht immer so gerührt von sich selbst. Die Lieder von Ray Davies von den Kinks, so melancholisch, spinnig und rückwärtsgewandt sie auch sind, sie haben auch immer diese zutiefst englische Distanz zum eigenen Schmerz. Songs und Stories beleuchten einander.
Hast du ihn auch einmal live erlebt?
Mitte der 1990er-Jahre habe ich ihn auf seiner Promotiontour für seine unautorisierte Autobiografie ´„X-Ray“ gesehen. Als echter Engländer, dem das platte Bekenntnis zutiefst zuwider ist, erzählt er sein Leben natürlich fiktional und hangelt sich an seinen Songs entlang. Es hatte so etwas von einer Vaudeville-Show. Ein bestechendes Format. Es wollte nicht zu viel, war kompakt, unangestrengt und extremely charming. Das war so das nie erreichte Vorbild für unseren Abend, ich wollte was machen, was ich selber gerne sehen würde. Du musst kommen, ich werde alles tun, um dich zu unterhalten!
Der Klang von Sophie Rois Stimme ist ein Genuss:
Anlässlich 30 Jahre Mauerfall empfiehlt Freizeit-Redakteur, Bernhard Praschl, auch unseren aktuellen Weekender nach Berlin