Ein Büro aus Holz und Lehm
In keinem Land in Europa wird so viel Beton vergossen wie in der Schweiz. Auch weltweit liegt die Alpenrepublik beim Pro-Kopf-Verbrauch des CO₂-intensiven Baustoffs im Spitzenfeld und trägt damit zur Erhitzung des Klimas bei. Während wir heute schon sehr gut Häuser bauen können, die de facto keine Energie mehr benötigen, steht man bei der Frage der Herstellungsenergie noch ganz am Anfang. Eine Frage, die sich angesichts der Klimakrise mit immer größerer Dringlichkeit stellt. Wollen wir die Klimaziele erreichen, dann müssen wir bis 2050 sowohl beim Betrieb als auch beim Bau von Gebäuden das Netto-Null-Ziel schaffen.
Wie das gehen könnte, zeigt ein Pionierprojekt, das derzeit in der Schweizer Gemeinde Allschwill umgesetzt wird. Auf dem BaseLink Areal entsteht im Auftrag des Entwicklers Senn und nach dem Entwurf des internationalen Architekturbüros Herzog & de Meuron das fünfgeschossige Bürogebäude HORTUS, House of Research, Technology, Utopia and Sustainability. Es besteht aus einem innovativen Mix aus Naturmaterialien und zahlt seine Erstelllungsenergie in Form von produziertem Sonnenstrom innerhalb einer Generation zurück. Es ist also nach rund 30 Jahren energiepositiv.
Form folgt Zahlen
„Das war wirklich eine Herausforderung, wir mussten unseren kompletten Designprozess überdenken. Es waren sehr viele Spezialisten, Planer und die ganze Bauindustrie involviert“, erklärt Stefan Marbach, Senior Partner bei Herzog & de Meuron, in der Dokumentation „Uns eine Zukunft bauen“. Gemeinsam mit den Ingenieuren von ZPF entwickelte man im Vorfeld ein Analyseprogramm, um schnell sehen zu können bei welcher Bauweise und bei welchem Material wieviel CO₂ entsteht.
Das war wirklich eine Herausforderung, wir mussten unseren kompletten Designprozess überdenken.
Auf diese Weise wählten sie bis ins kleinste Baudetail die geringstmögliche Herstellungsenergie. Plakativ könnte man in diesem Fall sagen: Form folgt Zahlen. Das Resultat dieser Strategie ist, dass vormoderne Bauweisen und Materialien in den Vordergrund rücken. Holz und Lehm ersetzen den Stahlbeton, Stroh und Altpapier die synthetischen und mineralischen Dämmstoffe.
Ein Verbund aus Holz und Lehm
Dass man mit Holz bauen wollte, stand schnell fest. Schließlich wächst der Baustoff nach und bindet langfristig CO₂. Doch Holz allein bietet noch keine thermische Masse, die nötig ist, um die Temperatur in einem Gebäude stabil zu halten. So kam der Lehm ins Spiel, der ein Null-Kilometer-Material ist. Er wird direkt vor Ort aus dem Aushub hergestellt, der damit vom Abfall zum Wertstoff wird. Die große Frage war nun: Wie bekommt man diese beiden Baumaterialien in einen Verbund? Denn während der Holzbau heute großteils automatisiert abläuft, ist der Lehmbau noch mit viel Handarbeit verbunden.
Bei der Herstellung des Lehm-Holz-Deckensystems entstehen zehnmal weniger CO₂-Emissionen als bei einem herkömmlichen Betonboden.
Der Vorarlberger Lehmbaupionier Martin Rauch von Lehm Ton Erde entwickelte den Prototypen für eine Holz-Lehm-Verbund-Decke, die zum Schlüsselelement für die CO₂-schonende Bauweise wurde. In einer Arbeitsgemeinschaft richteten Holz- und Lehmbauer schließlich eine Feldfabrik vor Ort ein, wo die 800 Deckenelemente für das Gebäude produziert wurden. An die zehn bis zwölf Menschen waren damit beschäftigt und kamen auf einen Output von sechs bis sieben Elemente pro Tag. „Bei der Herstellung des Lehm-Holz-Deckensystems entstehen zehnmal weniger CO₂-Emissionen als bei einem herkömmlichen Betonboden“, rechnet das Team von Herzog & de Meuron vor.
Brandtest erfolgreich bestanden
Um den Lehm gleichmäßig in den vorgefertigten Holzelementen zu verteilen, entwickelte das Schweizer Holzbauunternehmen Blumer Lehmann gemeinsam mit Lehm Ton Erde eine eigene Befüllmaschine, und damit konnte man den Prozess ein Stück weit automatisieren. Damit der Lehm später nicht aus dem Element rutscht, ist er zu einem kleinen Gewölbe verdichtet und macht sich so die selbsttragende Konstruktion zunutze.
Ob diese neuartige Bauweise allerdings tatsächlich den Bauanforderungen genügte, musste erst unter Beweis gestellt werden. Ein erstelltes Mockup von Leimbinder-Stützen und Holz-Lehm-Deckenelementen wurde einem Brandversuch unterzogen und musste dem Feuer eine Stunde lang standhalten. „Wir waren sehr nervös, denn zu dem Zeitpunkt steckte bereits viel Aufwand und Geld in dem Projekt“, erzählt Nico Ros, Bauingenineur von ZPF. Doch die Konstruktion hielt, und Hortus bekam daraufhin die Baugenehmigung erteilt.
Flächensparendes Mietkonzept
Die Eröffnung des Bürogebäudes ist für das Jahr 2025 geplant. Laut dem Immobilienentwickler Senn forscht das Projektteam auch „an behaglichkeits- und gesundheitsförderlichen Konzepten sowie an einer neuen Form der Miete“. Während er üblicherweise Gebäude im Rohbau vermietet, ist man bei diesem Projekt einen andern Weg gegangen. Künftige Mieterinnen und Mieter bekommen fertig ausgebaute Arbeitsflächen, von der Kaffeemaschine im Gemeinschaftsraum bis hin zu den fertigen Büroeinheiten – alles CO₂-schonend geplant von Herzog & de Meuron. Nur die Möbel müssen sie selbst mitbringen.
Selten genutzte Flächen wie große Meetingräume, die Cafeteria und ein Präsentationsraum werden in diesem Konzept geteilt. Im Gegensatz zu genossenschaftlichen Modellen handelt es sich hierbei einfach um effiziente Raumnutzung. Die eigentlichen Büroflächen werden somit reduziert und durch eine Vielfalt an gemeinschaftlichen Räumen ergänzt. Zwar ist der Mietpreis pro Quadratmeter ein höherer, dafür braucht man weniger Fläche und spart beim Ausbau.
Pilotprojekt zur Förderung von Biodiversität
Laut Masterplan für das BaseLink-Areal zwischen Allschwil und Basel sollte die Bepflanzung vor allem auf den Dächern und in einer zentralen Grünbrücke stattfinden. Doch weil am Dach des Hortus Sonnenstrom produziert wird und das Regenwassermanagement noch nicht gelöst war, entschied man sich dazu, einen begrünten Innenhof in den Baukörper zu integrieren. Dieser ist als nicht begehbare Wasserlandschaft geplant, die von einer Grünzone und einem umlaufenden Holzsteg eingefasst ist.
Der Teich ist so modelliert, dass es tiefere Stellen gibt, die dauerhaft überflutet sind, und seichtere Stellen, die je nach Niederschlag unterschiedlich gefüllt sind und eine wechselfeuchte Zone bilden. Die Initiative Siedlungsnatur gemeinsam gestalten möchte mit diesem Pilotprojekt die Biodiversität fördern. Um Vögeln und Insekten den Weg in diese abgeschottete Grünoase zu weisen, sollten die ursprünglich vorgesehenen PV-Fassadenpaneele im Innenhof einer vertikalen Begrünung weichen. Wuchskräftige Kletterpflanzen wie Hopfen, Waldrebe oder Geissblatt werden sich künftig bis zum fünften Stock ranken und im Sommer zur Beschattung des Innenraums beitragen.
Der Anspruch der geringstmöglichen Herstellungsenergie gilt auch im Innenhof. Als Folge gibt es kaum versiegelte Flächen. Sogar das Fundament ist betonfrei, denn die Holzdecks sind mit Schraubpfählen verankert.
Mit seiner radikalen CO₂-Rechnung und der Feldfabrik auf der Baustelle ist Hortus ein Leuchtturm des nachhaltigen Bauens, der den Weg in die Zukunft weisen kann. Eine Zukunft, in der Beton nicht mehr maßlos vergosssen, sondern auf Gebäude gesetzt wird, die kompostierbar sind.
Text: Gertraud Gerst Visualisierungen: Herzog & de Meuron
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