Mit großer Leidenschaft Favoritnerin
Kathrin Gaál ist die Wiener Stadträtin für Wohnen, Wohnbau, Stadterneuerung und Frauen. Wir befragen sie zu aktuellen Themen rund ums Wohnen in Wien.
KURIER: Wie hat die Corona-Krise das Thema Wohnen verändert?
Kathrin Gaál: Im geförderten Wohnbau, wo mehr als 60 Prozent der Menschen in Wien leben, hat die Stadt die Wohnsituation wirklich gut im Griff. Wir sehen während der Corona-Krise einmal mehr, wie wichtig es ist, dass die Stadt Wien ihre Hand schützend über den Wohnungsmarkt hält und somit regulierend eingreifen kann. Sei es etwa in Form einer Mietstundung oder mit einem Delogierungsstopp. Im privaten Bereich gibt es aber natürlich Herausforderungen.
Muss man beim Wohnungsbau jetzt anders denken: Künftig größere Wohneinheiten, mehr Freiflächen?
Zum Glück sind großzügige Grün- und Freiflächen bereits jetzt fixer Bestandteil des Wiener Wohnbau-Modells. Und allein der Gemeindebau trägt überhaupt enorm zur Begrünung Wiens bei. Wiener Wohnen betreut sechs Millionen Quadratmeter Grünraum. Nicht umsonst war das Motto des historischen Gemeindewohnprogramms im Roten Wien „Licht, Luft und Sonne“. Das war damals unglaublich visionär, davon profitieren wir bis heute. Eine Verbauung dieser Grünflächen, wie von Oppositionsparteien immer wieder gefordert, kommt für mich nicht infrage. Bei der Größe der Wohneinheiten ist es mir wiederum wichtig, dass wir uns dabei an den ganz konkreten Wünschen der Menschen orientieren und Wohnraum für unterschiedliche Bedürfnisse schaffen. Der eine will es so, die andere so – auf den richtigen Mix kommt es an.
Heuer werden in Wien viele neue Wohnungen gebaut – 20.000 sollten es sein. Was hat die Corona-Krise mit diesem Plan gemacht?
Corona ist für uns alle eine sehr große Herausforderung und natürlich kann es bei dem einen oder anderen Bauträger zu kleineren Verzögerungen kommen. Unser grundsätzliches Programm ist davon aber nicht betroffen: Aktuell sind in Wien rund 24.000 geförderte Wohnungen in Bau oder Planung, die insgesamt mit rund 900 Millionen Euro von der Stadt subventioniert werden. Zusätzlich sind gerade 4.000 Wohnungen im Gemeindebau Neu auf dem Weg.
Viel Wohnbau heißt auch, viel Flächenversiegelung, also Beton und Verbauung. Das wiederum ist ein Problem, wenn es durch den Klimawandel heißer wird. Schließt sich Wohnbau und Natur generell aus?
Klare Antwort: Absolut nein. Wir planen und bauen im Einklang mit der Natur und legen größten Wert auf „grüne Infrastruktur“. Ein Beispiel: Vor wenigen Wochen hat die Wiener Stadtregierung die Zukunftspläne für den Nordwestbahnhof präsentiert; dort entsiegeln wir Boden und schaffen somit im Herzen der Stadt zehn Hektar neuen Grünraum für die Wienerinnen und Wiener. Insgesamt, und das wissen nur wenige, ist der Grünraum in den vergangenen Jahren in Wien nicht weniger geworden, sondern gewachsen.
Der Prammer-Hof ist Wiens jüngster Gemeindebau. Was kommt danach?
Ich freue mich sehr, dass wir aktuell fast in der ganzen Stadt neue Gemeindewohnungen planen und errichten. Etwa am Handelskai und der Engerthstraße im 2. Bezirk, auf den alten Aspang-Gründen im 3. Bezirk, am Gelände des ehemaligen Sophienspitals im 7. Bezirk, neben der Landgutgasse im 10. Bezirk oder eben am Nordwestbahnhof im 20. Bezirk. Das sind nur ein paar Beispiele von vielen weiteren Projekten. Wichtig ist mir dabei vor allem, dass wir hier nicht „nur“ Wohnungen bauen, sondern auch gleich die ganze Infrastruktur mitschaffen. Das macht Wien zur Welthauptstadt des Wohnens.
Hundert (und eins) Jahre Gemeindebau: Warum ist dieses Konzept so einzigartig und erfolgreich?
Goethe hat einmal geschrieben: „Eine schlechte Wohnung macht brave Leute verächtlich.“ In diesem Satz findet sich ein zentraler Gedanke der Wiener Wohnbaupolitik, die aus der Not nach dem Ersten Weltkrieg entstanden ist. Damals erkannte die Politik, dass Wohnen mehr ist als nur ein Dach über dem Kopf. Dass leistbares und lebenswertes Wohnen ein Grundrecht ist, das für den sozialen Frieden, Zusammenhalt und die Lebensqualität in einer Stadt entscheidend ist. Die Wiener Wohnbaupolitik hat eine preisdämpfende Wirkung auf den gesamten Wohnungsmarkt, ist die größte Förderung der Mittelschicht in der Stadt und ist ein Sicherheitsnetz nach unten und ein Sprungbrett nach oben.
Aus Ihrer Sicht: Wie hat sich das Leben im Gemeindebau in den vergangenen Jahren verändert?
Die großen Veränderungen der Zeit machen natürlich auch vor den Toren des Gemeindebaus nicht halt. Aus meiner Sicht zeichnet sich der Gemeindebau aber dadurch aus, dass er ein Biotop des Wienerischen geworden ist. Der vielseitige Charakter unserer wunderbaren Stadt findet sich nirgendwo sonst so sehr in seiner Reinform wie im Wiener Gemeindebau; das Miteinander in diesen „Dörfern in der Großstadt“ ist wirklich einzigartig und etwas ganz Besonderes.
Welcher ist Ihr Lieblingsbezirk und warum?
Ich liebe ganz Wien, aber ich lebe seit meiner Geburt mit großer Leidenschaft in Favoriten. Daher kann ich mit reinem Gewissen sagen, dass Favoriten für mich die Nummer eins ist. Dieser Mix aus Urbanität und Grünraum im 10. Bezirk ist einzigartig.
Wie sieht Ihr persönlicher Wohntraum aus?
Ich habe die ersten sechs Jahre meines Lebens in der Per-Albin-Hansson-Siedlung verbracht. Bin dort also aufgewachsen. Und ich habe wirklich wunderbare Erinnerungen an diese Zeit und bin dort vor allem sehr gerne in den Kindergarten gegangen. Den Volkspark Laaerberg, der gleich ums Eck der Gemeindewohnung meiner Eltern war, habe ich nur als „Entenpark“ gekannt – und geliebt. Ich habe in dieser Wohnanlage und rund um sie herum wirklich eine traumhafte Kindheit verbracht, an die ich mit großer Freude zurückdenke.
Kathrin Gaál
Seit Mai 2018 ist Kathrin Gaál unter Bürgermeister Michael Ludwig Amtsführende Stadträtin für Wohnen, Wohnbau, Stadterneuerung und Frauen in Wien. Davor war sie Abgeordnete zum Wiener Landtag und Gemeinderat (2005–2018) bzw. Mitglied der Bezirksvertretung Wien-Favoriten (2001–2005).
Kathrin Gaál, Jahrgang 1976, hat an einer AHS maturiert, gefolgt vom Studium der Rechtswissenschaften. Sie war ihr gesamtes Berufsleben lang politisch aktiv. Aufgewachsen ist sie in Favoriten, wo sie auch heute noch lebt. Gaál ist verheiratet und hat eine Tochter.