Chronik/Wien

Wiener ÖVP will „harte Debatten, aber keine Wadlbeißerei“

Herr Juraczka, als Dritter Landtagspräsident dürfen Sie ab sofort Ordnungsrufe erteilen. Erinnern Sie sich noch an den letzten Ordnungsruf, den Sie als Abgeordneter erhalten haben?

Manfred Juraczka: Ich glaube, es ging um das Wort „Lüge“ im Zusammenhang mit falsch wiedergegebenen Zahlen vonseiten der Mobilitätsagentur. Da habe ich mich vielleicht zu einem Ausdruck hinreißen lassen, den man tunlichst in diesem Haus nicht gebrauchen soll.

Wir haben die Protokolle durchgesehen. Ihren letzten Ordnungsruf haben Sie kassiert, als Sie den Neos-Abgeordneten Markus Ornig einen „Pausenkasperl“ genannt haben.

Juraczka: Da schau her. Das wäre mir nicht mehr präsent gewesen. Das Archiv ist für einen Politiker immer ganz gefährlich.

Wie beurteilen Sie denn jetzt als Landtagspräsident die Debattenkultur im Gemeinderat?

Juraczka: Ich bin immer ein Freund davon gewesen, dass auch heftiger diskutiert wird. Aber allen 100 Mandataren muss klar sein, dass es so etwas wie die Würde des Hauses gibt. Für die Menschen draußen, die den Verlauf der Sitzungen verfolgen, soll nachvollziehbar sein, warum hier hart diskutiert wird. Es sollte nicht nur Wadlbeißerei sein. Wir müssen zum Wohle der Bevölkerung arbeiten und dürfen uns nicht vorrangig um Eitelkeiten oder Zank kümmern. Kritik braucht auch ein bisschen Substanz.

Gibt's diese Substanz im Wiener Gemeinderat?

Juraczka: In den Ausschüssen wird viel wichtige Arbeit geleistet. Aber ich glaube, es wäre notwendig, in einer Zeit, in der die Leute parteipolitischer Auseinandersetzungen müde sind, stärker zu transportieren, was die Politik leistet. Und gegebenenfalls, was sie vielleicht nicht leistet.

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Frau Olischar, Sie bekleiden das Amt der Dritten Gemeinderatsvorsitzenden, das man gemeinhin wohl eher mit älteren Männern verbindet. Wie legt man so ein Amt als junge Frau an?

Elisabeth Olischar: Es ist gut, wenn sich da jetzt eine Trendwende ergibt. Für uns in der ÖVP ist nicht das Alter relevant, sondern das Engagement. Das ist mir auch ganz besonders wichtig in diesem Amt. Und ich glaube, es ist auch gut zu zeigen, dass Frauen, die sich engagieren, unterschiedliche Positionen bekleiden.

Sehen Sie das als Chance, das Amt ein bisschen zu entstauben?

Olischar: Sicher. Manfred Juraczka hat die Verdrossenheit der Menschen vorher schon angesprochen. Wir müssen wieder stärker nach außen zeigen, dass sich da was tut bei uns. Dass nicht nur etablierte Menschen in der Politik ihren Weg gehen, sondern auch junge, engagierte.

Herr Juraczka, Sie gelten innerhalb Ihrer Partei als einer, der sich auskennt, der weiß, wie der Gemeinderat funktioniert, vielleicht auch abseits des offiziellen Prozederes. Wie erklären Sie den neuen Abgeordneten, wie der Gemeinderat so tickt?

Juraczka: Es ist immer wichtig, eine Gesprächsbasis aufrechtzuerhalten, auch wenn man anderer Meinung ist. Das habe ich immer gelebt, obwohl ich oft eine politisch andere Meinung habe als andere in diesem Haus. Das werde ich auch so fortführen und den vielen neuen, ambitionierten Abgeordneten in unserem Team weitergeben. Die Quintessenz: Hart in der Sache, freundlich und verbindlich im Umgang. In der Opposition dürfen wir nicht zulassen, dass unsere Inhalte verwaschen werden, aber wir müssen für die Argumente der anderen offenbleiben.

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Wenn wir an das Sondierungsgespräch mit der SPÖ denken: Gab es da diese ehrliche Gesprächsbereitschaft? Oder war das nur ein politisches Schaulaufen?

Wir haben diesen Termin dazu benutzt, um unsere Unterschiede aufzuzeigen. Etwa beim sozialen Wohnbau oder bei der Mindestsicherung. Da haben wir gegenseitig versucht, die Standpunkte dem anderen näherzubringen. Dass es massive Auffassungsunterschiede in manchen Bereichen gibt, hat aber nichts daran geändert, dass es ein amikal-freundliches Gespräch war.

Sie beiden standen bei der ÖVP-Wahlniederlage 2015 an vorderster Stelle. Versuchen wir nach fünf Jahren eine etwas distanziertere Analyse: Was ist 2015 falsch gelaufen, was jetzt funktioniert hat?

Olischar: Damals haben wir eine ganz andere Ausgangslage vorgefunden. Aber ich glaube auch, dass wir mit unserem Landesparteiobmann Gernot Blümel auf gute Inhalte gesetzt haben. Wir wurden für unsere Mitte-Rechts-Politik mit Anstand gewählt. Zudem konnten wir im Corona-Wahlkampf unsere über die Jahre aufgebaute Stärke im Online-Wahlkampf gut nutzen.

Jetzt haben wir gehört, was 2020 funktioniert hat. Was hat 2015 nicht funktioniert?

Juraczka: Wir haben jetzt massiven Rückenwind von der Bundesebene. Im Jahr 2015 hatten wir Gegenwind. Auch andere Landtagswahlen und die Bundespräsidentenwahl sind da nicht in unserem Sinn verlaufen. Durch Sebastian Kurz und sein Team, dem ja Gernot Blümel ganz eng angehört, hat sich jetzt aber vieles zum Besseren gedreht. So hatten wir im Wahlkampf 2020 stärker die Möglichkeit, unsere Themen zu transportieren, als das 2015 geklappt hat. Und, so ehrlich muss man sein: 2015 sind wir neben dem Match Häupl gegen Strache einfach untergegangen..

Sie sind 2015 mit dem Konzept der liberalen Stadtpartei in den Wahlkampf gegangen. Jetzt ist eine andere liberale Partei in einer Koalition mit der SPÖ. Wie sehr schmerzt Sie das?

Juraczka: Ich war immer wertkonservativ und wirtschaftsliberal. Wenn Sie das so an Begriffen festmachen wollen, dann war ich nie linksliberal, so wie sich die Neos jetzt in Wien präsentieren. Wenn man sich das Regierungsübereinkommen ansieht, dann haben die Neos ja alles abgelegt, was sie im Wahlkampf noch gefordert haben. Von der Sonntagsöffnung bis zu den Hearings für die Mitglieder der Stadtregierung. Oder glauben Sie, dass wir Christoph Wiederkehr noch in einem Hearing sehen werden? Ich verstehe, dass es natürlich einen Reiz hat, an so eine wichtige Position wie die des Vizebürgermeisters zu kommen. Ob man deshalb inhaltlich so viel hinter sich lassen sollte, das muss jeder für sich entscheiden. Ich würde mich an seiner Stelle wahrscheinlich nicht sehr wohl fühlen.

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Der ÖVP-Klub ist rasant gewachsen – von 7 auf 22 Abgeordnete. Frau Olischar, Sie waren zuletzt Klubchefin: Welchen Herausforderungen muss sich Ihr Nachfolger Markus Wölbitsch jetzt stellen?

Olischar: Markus Wölbitsch hat schon in anderen Funktionen bewiesen, dass er ein sehr strategischer Kopf ist und ein hohes politisches Gespür hat. Das sind wesentliche Punkte. Wichtig ist auch die Kommunikation untereinander und dass man sich gut abstimmt. Aber das wird er sicher gut machen.

Die neuen ÖVP-Abgeordneten sind zugleich vielfach sehr unerfahren. Eine Chance oder ein Risiko?

Juraczka: Ich erlaube mir, zu widersprechen. Viele von den Neuen haben politische Erfahrung in anderen Bereichen, sei es in den Bezirken oder in den Interessenvertretungen. Ein so vielfältiges Team ist ein Vorteil.

Frau Olischar, die ÖVP ist nun die größte Oppositionspartei in Wien. Da wachsen auch die Erwartungen. Im Wahlkampf hat man fast nur auf das Thema Integration gesetzt. Wie kann es gelingen, sich jetzt inhaltlich breiter aufzustellen?

Olischar: Wir haben in den Ausschüssen jetzt viel mehr Möglichkeiten. Wir stellen vier Mitglieder pro Ausschuss, da kann man ganz anders in die Tiefe gehen und einzelne Themen noch stärker besetzen.

Im jüngsten KURIER-Interview meinten Sie, die rot-grüne Stadtregierung sei Ihnen „zu wenig grün“. Ist Ihnen Rot-Pink jetzt grün genug?

Olischar: Wenn ich mir das Koalitionsabkommen ansehe, dann finde ich einerseits viele alte Hüte wie Nebelduschen, andererseits viele türkise Forderungen. Etwa die Photovoltaik-Offensive, auf die ich schon lange gedrängt habe.

Das klingt wie Zustimmung zu Rot-Pink. Nur weil jemand anderer eine türkise Idee umsetzt, wird sie dadurch ja nicht schlechter.

Olischar: Naja, die Pop-Up-Politik, die wir schon in der Vergangenheit kritisiert haben, die wird in vielen Punkten offensichtlich weitergezogen. Gerade beim Klimaschutz sehen ich keinen großen Wurf. Die Neos sind ein billiger Koalitionspartner. Also bleibt unsere Kritik aufrecht.

Ein S-Bahn-Ring um Wien, der Ausbau der Radwege: Das sind doch Dinge, bei denen auch die ÖVP zustimmen kann.

Olischar: Wir werden sehen. Papier ist geduldig. Wir messen die Regierung an der Umsetzung.

Juraczka: Bei der Parkraumbewirtschaftung war ja Brigit Hebein fast schon konkreter als Rot-Pink. Daher heißt es: abwarten.

Wie sehr vermissen Sie Birgit Hebein?

Juraczka: Wir sind durchaus bereit, uns den neuen Gegebenheiten zu stellen.

Die neuen Gegebenheiten im Bereich Stadtplanung und Verkehr heißen Ulli Sima. Wird sie ein härteres Gegenüber?

Juraczka: Ich kenne Ulli Sima als pragmatische, aber durchsetzungsstarke Politikerin. Mit ihr zu diskutieren wird sicher Spaß machen. Ich glaube, sie könnte durchaus etwas weiterbringen, allerdings nur, wenn es da auch Willen in der Koalition gibt. Das wird die entscheidende Frage sein. Gerade mit der Sozialdemokratie ist es ja oft so: Wenn man sich nicht einig ist, macht man das, was man im Zweifel am besten kann – also nichts. Das wäre vor allem in der Verkehrspolitik ein fatales Zeichen.

Olischar: Ich sehe die neue Ressortverteilung mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Dass die Stadtplanung in den Händen von Ulli Sima liegt, macht mich nicht glücklich. Wir haben in der Vergangenheit mit ihr beim Thema Transparenz keine guten Erfahrungen gemacht. Das wäre aber gerade im Stadtplanungsbereich extrem wichtig - die Kooperation, das Einbinden von allen Stakeholdern. Das Miteinander hat in der Vergangenheit nicht besonders zu Simas Stärken gezählt.

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Die ÖVP ist eine ernst zu nehmende Partei…

Juraczka: Na, ich hoffe doch.

Wenn Ihre Kollegen jetzt im ganzen Rathaus die Spiegel mit Stickern bekleben, auf denen „Genosse Wiederkehr, können Sie sich noch in den Spiegel schauen?“ steht: Wie staatstragend ist das auf einer Skala von 1 bis 10?

Juraczka: Das ist pointierter Aktionismus. Die Neos haben uns im Wahlkampf viel Schlimmeres zugemutet. Ja, die Post-Its sind überspitzt, aber ich glaube, sie sind zumutbar, um zu zeigen, wie substanzlos dieses Koalitionsübereinkommen ist.