Streitgespräch: "Das ist Wien, Herr Juraczka"
Wenige Tage vor der Befragung zur Mariahilfer Straße diskutieren Wiens ÖVP-Chef Manfred Juraczka und Grünen-Urgestein Alexander Van der Bellen über das derzeitige Gesprächsthema Nummer eins.
KURIER: Herr Van der Bellen, Sie sind als Anrainer direkt von der Verkehrsberuhigung betroffen. Aber Sie, Herr Juraczka, wohnen nicht hier. Warum ist Ihnen das Thema so wichtig?
Manfred Juraczka: Weil ich Politiker in dieser Stadt bin und weil ich mit Überraschung wahrnehme, dass die Mariahilfer Straße zurzeit das dominierende Thema ist. Und weil es – und das halte ich für durchaus problematisch – auch ein sehr polarisierendes Thema ist. Ich meine: wir haben in dieser Stadt erstmals seit 1945 eine Arbeitslosigkeit im zweistelligen Prozentbereich, aber das geht gegenüber einer Diskussion um eine Straße fast unter. Das ist schon skurril. Darum appelliere ich, das Thema jetzt schnell zu klären und dann wieder zu wichtigeren Themen überzugehen.
Alexander Van der Bellen: Ich profitiere davon. In der Nacht kann ich das Fenster offen lassen, ohne von einem einsamen Auto aus dem Schlaf geschreckt zu werden. Und auch tagsüber genieße ich das – selbst bei geschlossenem Fenster. Ich merke auch, dass das Flanieren auf belebter Fußgängerstraße mit jeder Woche beliebter wird.
Trotzdem haben es die Grünen offenbar nicht ganz geschafft, die Bevölkerung von der Verkehrsberuhigung zu überzeugen. Jetzt nehmen sie für eine Werbekampagne viel Geld in die Hand. Haben die bisherigen Argumente nicht ausgereicht?
Van der Bellen: Naja, 100 Prozent werden wir nicht überzeugen. Ich bin aber überzeugt, dass wir die Mehrheit schaffen – voraus gesetzt, dass alle, die eine Verkehrsberuhigung wollen, den Zettel dann auch tatsächlich in den Postkasten werfen. Das ist ein gewisses Risiko. Wenn ein Fehler passiert ist, dann der, dass manche Infos sehr spät kommen. Ich hoffe, nicht zu spät. Die Schwierigkeit ist ja, Leute über etwas zu befragen, das sie noch nicht erfahren haben; wovon sie noch kein richtiges Bild haben. Die Leute bräuchten ein klareres Bild, wie das im Endausbau ausschauen soll. Aber umgekehrt: Wenn man zuerst baut und dann fragt – was wäre dann gewesen?! So geht’s ja auch nicht.
Juraczka:Ich gebe Ihnen Recht, wenn Sie von Chancen und Fehlern sprechen. Fußgängerzonen gibt es weltweit und Anrainer nehmen natürlich auch positive Effekte wahr. Aber ich habe Frau Vassilakou schon vor der Planung gesagt, dass es ein Problem sein wird, wenn es zwischen Westbahnhof und Zweierlinie kaum Querungen gibt. Wurde aber so realisiert. Das führt natürlich bei jenen zu Ablehnung, die jetzt über exorbitante Umwege klagen. Auch der Einbahn-Zirkus in der Umgebung wurde nicht bedacht. Begegnungszonen halte ich durchaus für ein interessantes Modell – aber so was in einer Straße mit dieser Frequenz erstmals einzuführen, das kann nur schief gehen. Wir sehen ja, dass sich viele Menschen gerade in den Begegnungszonen nicht auskennen. Vor allem ältere Menschen sind irritiert. Handwerklich sind da viele Fehler gemacht worden.
Herrscht in der Fußgängerzone das Chaos?
Van der Bellen: So ein Blödsinn! Was ich mir nicht alles hab anhören dürfen: etwa dass die Mariahilfer Straße zur Radrennbahn wird. Das ist ja alles nicht wahr. Begegnungszonen sind für Wien neu und das glaub ich schon, dass das am Anfang Irritationen auslöst. Ich will nicht prognostizieren, wie das in 10 Jahren ausschaut. Vielleicht wird es bis dahin zu einer reinen Fußgängerzone. Aber jetzt probieren wir es einmal so aus.
Juraczka: Wenn eh alles in perfekter Ordnung ist, wie erklären Sie sich dann die extreme Polarisierung? Und zum Thema rechtzeitiger Information: Wenn die Grünen ein Projekt bewerben, das ihnen wichtig ist, ist das völlig legitim. Ich erachte es aber als problematisch, wenn eine Stadt so viel Geld in die Hand nimmt und vorgibt, zu informieren – aber in Wahrheit ganz klar Stellung bezieht. und für ein Ergebnis kampagnisiert. Die Steuerzahler, die jetzt befragt werden sollen, müssen selbst finanzieren, dass sie von Rot-Grün in eine Richtung gedrängt werden. Da wird für zwei Bezirke mehr ausgegeben als bei der Information zur Europa-Wahl für 23 Bezirke.
Van der Bellen: Wo ist das eine Kampagne, wenn die Verkehrsstadträtin sagt, wie sie sich das Projekt vorstellt. Sie wird ja wohl das Recht haben, zu sagen, was sie will. Und ja, es gibt auch Unmut. Aber ich bezweifle, dass das die Stadtpolitik erzeugt hat. Das ist Wien, Herr Juraczka. Solche Projekte werden in Wien mit einer Inbrunst diskutiert, wie es anderswo nicht nachvollziehbar ist. Denken Sie ans MuseumsQuartiers, ans Haas-Haus oder die Kärntner Straße. Das ist immer die Gratwanderung mit dem perfekten Zeitpunkt für eine Befragung. Wie man’s macht, ist es falsch. In Wien gehört das einfach dazu, sich erst einmal gegen etwas Neues aufzuregen – in manchen Dingen haben wir da eine konservative Einstellung. Aber sobald, das Ding einmal da ist, wird es gerne angenommen.
Juraczka: Man macht es sich schon einfach, wenn man sagt: Es ist eh alles leiwand – schuld ist der Wiener, weil er so reaktionär ist.
Van der Bellen: Nicht reaktionär, aber misstrauisch und vorsichtig. Das ist ja auch nicht illegitim.
Juraczka: Apropos Wiener: Im Wahlprogramm der Grünen stand, dass man Bürgerinitiativen im Kampf gegen die öffentliche Hand unterstützen muss. Aber jetzt gibt’s fünf, die gar keine Mittel kriegen.
Van der Bellen: (lacht) Ich hätt’ das sicher nicht rein geschrieben.
Die ÖVP hat Unternehmer befragt. Mit wie vielen wurde schon gesprochen und wie ist die Stimmung?
Juraczka: Mit rund 600. Wir hoffen, dass wir bis Anfang nächster Woche mit allen Geschäften auf der Mariahilfer Straße und in den angrenzenden Seitengassen fertig sind. Die Reaktionen waren ganz unterschiedlich. Die einen haben keine Umsatzeinbußen, viele klagen aber darüber. Das kann man nicht von der Hand wischen.
Sind die Grünen eine wirtschaftsfeindliche Partei?
Van der Bellen: (lacht) Geh, hören S’ auf damit. Vassilakou wäre eine politische Selbstmörderin, wenn sie es drauf anlegen würde, die Wirtschaft in der Mariahilfer Straße zu ruinieren. Jedes Mal, wenn ein Geschäft zusperrt, heißt es stante pede, das ist weil die Mariahilfer Straße seit Mitte August Versuchszone ist. Es gibt 100 Gründe, warum ein Geschäft zusperrt. In jeder Straße sperrt immer irgendein Geschäft zu und ein anderes auf.
Juraczka: Tatsache ist nur, dass mehrere dieser Unternehmen gesagt haben, dass sie seit August mit Umsatzeinbußen zu kämpfen hatten. Warum sollten sie das sagen?!
Van der Bellen: Na, weil’s eine gute Ausrede für schlechtes Wirtschaften ist.
Braucht es mehr Querungen?
Van der Bellen: Es kann durchaus sein, dass es für mehr Querungen und gegen die armen Radfahrer ausgeht. Große Sympathie für Querungen hab ich nicht, aber das wird das Projekt nicht umbringen. Sogar den Graben quert der Bus – und da hat die Gewerkschaft der Wiener Linien keinen Einwand.
Juraczka: Ich hab immer gesagt, dass ich diesen Schutzwall-Effekt nicht möchte. Wenn überhaupt eine Fußgängerzone, dann nur mit Querungen. Aber was heißt „mehr Querungen“? Eine? Zwei? Alle? Genauso: Wenn Radfahrer nicht erwünscht sein sollten – wo fahren die denn dann. Leider sind da schon noch ein paar Fragen offen.
Was sagen Sie zum Thema Radfahren in der Fußgängerzone?
Van der Bellen: Wenn in der Mariahilfer Straße jemals so viele Fußgänger gehen, wie in der Kärntner Straße, dann hört sich das eh auf. Aber das dauert noch lang. Das mit dem Rennfahren in der Fuzo stimmt einfach nicht. Ich fühle mich nicht gefährdet.
Juraczka: Ich bekomme das Feedback, das manche Fußgänger wirklich Angst haben. Aber warten wir das Ergebnis ab.
Wie geht die Befragung aus?
Juraczka: Haben Sie Ihre Kristallkugel dabei? Ich nicht.
Van der Bellen: Wenn die Beteiligung hoch ist, kommt eine Zustimmung zur Fußgängerzone heraus. Mich beunruhigt, ob die jungen Leute, die das ganz toll finden auch zum Postkasten gehen, um den Stimmzettel einzuwerfen. Tut das, bitte! Ich schätze, die Stimmung ist 50 bis 60 Prozent pro. Aber die Gegner werden natürlich ordentlich mobilisieren.
Juraczka: Sollte eine Ablehnung herauskommen, sind zu viele Fehler passiert. Sagt die Bevölkerung Ja zur Fußgängerzone – dann nicht wegen, sondern trotz der Grünen. Weil da sind viel zu viele Fehler passiert.
Die geplanten Neuerungen auf der Mahü:
Erwartungsgemäß negativ ist eine Umfrage der Wirtschaftskammer zur neuen Verkehrslösung auf der Wiener Mariahilfer Straße ausgefallen. Demnach sprechen sich 70 Prozent der Betriebe auf der "Mahü" gegen den Mix aus Fußgängerzone und Begegnungszone aus. Auffallend kritisch sind dabei der Handel und kleinere Betriebe. Die Klagen sind jedoch an und für sich nicht neu: Bereits in den vergangenen Monaten hatten mehrere Firmen ihre Bedenken geäußert und Umsatzrückgänge gemeldet.
"Das ist eine Umfrage, die pickt", versichert Meinungsforscher Peter Hajek, dessen Public Opinion Strategies GmbH die Erhebung für die Kammer durchgeführt hat. Gut 1.000 von insgesamt rund 8.000 Unternehmern im 6. und 7. Bezirk wurden - quer durch alle Sparten - zwischen 13. Jänner und 3. Februar telefonisch befragt, die Schwankungsbreite sei mit plus/minus 2,8 Prozent sehr gering.
Die Ergebnisse im Detail:
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Mehr als zwei Drittel der Wirtschaftstreibenden (70 Prozent) sprechen sich "ganz sicher" oder "eher" gegen die Beibehaltung der jetzigen Verkehrslösung aus.
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27 Prozent sind "eher" oder "unbedingt" pro Fußgänger- und Begegnungszone bzw. die neuen Einbahnregelungen. Der Rest macht dazu keine Angaben.
- Überdurchschnittlich auf der Anti-Fuzo-Seite sind mit je 78 Prozent die Sparten Handel sowie Gewerbe und Handwerk, im Informations- und Consultingbereich gibt es "nur" 52 Prozent Ablehnung. https://images.kurier.at/46-60060684.jpg/51.209.385APAMariahilfer Straße - Das aktuelle VerkehrskonzeptKarte mit Fußgängerzone und Begegnungszone, Linienführung Bus 13A Grafik 0165-14-Wien.ai, Format 134 x 92 mm
Jank: "Konzept ist durchgefallen"
Für Jank sprechen die Zahlen eine klare Sprache: "Das Verkehrskonzept ist durchgefallen." Wobei sie klarstellte: "Ich habe mich nie gegen ein Stück Fußgängerzone ausgesprochen, aber die Verbindung beider Bezirke muss erhalten bleiben", plädierte die Kammerchefin für Querungen. Denn durch die derzeitigen Sackgassen-und Einbahnregelungen würden vor allem Geschäfte in den Mahü-Seitenlagen leiden, da sie mit dem Auto nur noch schwer erreichbar seien und dadurch Kunden frustriert würden. Jank forderte neuerliche Verhandlungen mit der Stadtregierung: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein derartiges Votum negiert wird."
Vassilakou gesprächsbereit
Verkehrsstadträtin Maria Vassilakou (Grüne) signalisierte postwendend Gesprächsbereitschaft. "Meine Tür ist offen", versicherte sie per Aussendung: "An Querungen soll es meiner Meinung nach nicht scheitern, denn schließlich sind wir als Stadt immer dafür eingetreten, dass es Querungen geben soll. Allein, es fand nicht die Zustimmung eines der beiden Bezirke", richtete sie Jank aus. Es sei aber begrüßenswert, dass die Wirtschaftskammer für eine Fuzo auf der Mahü sei. Unbestritten gebe es nach wie vor Skepsis, zahlreiche Unternehmen seien aber auch sehr froh über die Verkehrsberuhigung, zeigte sich Vassilakou überzeugt. Die "Negativkampagne" der ÖVP schade jedoch dem Wirtschaftsstandort Mariahilfer Straße.
Bei der Befragung zur neuen "Mahü", die kommenden Montag startet, dürfen Unternehmer, die nicht gleichzeitig Anrainer im 6. und 7. Bezirk sind, nicht mitstimmen. Wirtschaftskammer und Rathausopposition gehen deswegen auf diee Barrikaden. Die ÖVP will nun eine eigene Befragung der Geschäftsleute durchführen. Auch die Grünen haben eine eigene Befragung angekündigt.
Wie von Vassilakou erwähnt, gibt es neben Gegnern auch Initiativen von Befürwortern der Verkehrsberuhigung. So hat etwa Szene-Gastronom Bernd Schlacher vor einigen Wochen die Online-Plattform http://ja-zur-neuen-mahue.at gestartet.