Eine Straße spaltet Wien

Eine Straße spaltet Wien
In einer Woche entscheiden Anrainer, ob die Verkehrsberuhigung bleibt. Der KURIER sprach mit prominenten Gegnern und Befürwortern.

Demonstrationen, Umfragen, Streitgespräche – seit mittlerweile einem halben Jahr sorgt die Mariahilfer Straße beinahe durchgehend für Gesprächsstoff. Am 16. August 2013 traten die Regelungen zur Verkehrsberuhigung in Kraft, mit denen es die Einkaufsstraße nicht nur in die Schlagzeilen der österreichischer Zeitungen schaffte: Ob Frankfurter Rundschau oder Neue Zürcher Zeitung – die Mariahilfer Straße wurde im gesamten deutschsprachigen Raum zum Thema.

Eine Straße spaltet Wien
Verkehrsschilder mussten nachträglich angebracht, und die Busroute des 13A geändert werden. Von unglücklichen Unternehmern, verwirrten Autofahrern und Staus in den Seitengassen war die Rede. Aber auch von Anrainern, die sich über bessere Luft freuen, und von Verkehrsexperten, die autofreie Stadtzentren als das Konzept der Zukunft erachten.

In gut einer Woche können die Anrainer des sechsten und siebten Bezirks nun entscheiden, ob das Projekt weitergeführt oder rückgängig gemacht werden soll.

Der KURIER sprach mit prominenten Gegnern und Befürwortern des Projekts. Beide Gruppen hoffen, bis zum Beginn der Abstimmung möglichst viele Anrainer auf ihrer Seite zu haben.

„Eine derartige Fehlplanung habe ich noch nicht erlebt“, lautet Christian Muchas Urteil über die neue Mariahilfer Straße. Der Verleger nennt sich selbst den erbittertsten Gegner der Verkehrsberuhigung und hofft, dass die Befragung Mitte Februar zu seinem Gunsten ausfällt. Bei einem Rundgang über die Einkaufsstraße nennt Mucha dem KURIER dafür einige Gründe.

Den Anfang macht Mucha auf Höhe der Schottenfeldgasse. Hier steht ein „Einfahrt-Verboten-Schild“, das Autofahrer an der Querung der Mariahilfer Straße hindern soll. Mucha zeigt auf den Betonpflock, in dem das Verkehrsschild steckt. Dieses Schild sei von Passanten bereits vier Mal umgenietet worden. „Aus Wut, Verzweiflung oder zivilem Ungehorsam“, sagt der Unternehmer. „Deshalb wurde es jetzt möglichst stabil fixiert.“

Querungen

Mucha hadert selbst mit dem Fakt, nicht mehr queren zu können: „Durch die neuen Regelungen wurde die Straße zu einer chinesischen Mauer.“ Früher war er innerhalb weniger Minuten auf der Gumpendorfer Straße. Jetzt müsse er dazu ein Dutzend Mal abbiegen.

Eine Autofahrerin aus Deutschland will von der Schottenfeldgasse in die Mariahilfer Straße einbiegen. Mucha hält sie an, fragt, ob sie sich auskennt. Die Dame verneint. Eine von vielen, meint Mucha.

Es geht weiter die Straße entlang, stadteinwärts. Ein Radfahrer zischt an ihm vorbei. „Schritttempo“, ruft ihm der Unternehmer verärgert nach. Bei der Kreuzung zur Otto-Bauer-Gasse weist Mucha auf den abgetragenen Zebrastreifen hin. „Der Schutz für die Passanten ist weg“, sagt der Unternehmer. „Dabei fahren die Autos weiterhin durch. Ich fühle mich hier nicht sicher.“

Ausgeschlossen

Doch am meisten verärgert ist Mucha über die Tatsache, dass er bei der kommenden Befragung nicht mitstimmen darf. „Ich arbeite seit 37 Jahren an der Mariahilfer Straße – und ich darf nicht mitreden?“, fragt er ungläubig. 60.000 Arbeitsplätze gäbe es an und um die Mariahilfer Straße. Für Unternehmer sei die Zukunft der Straße ebenso wichtig wie für Anrainer. „Uns auszuschließen, ist nicht richtig.“ Er ergänzt: „Wenn die Unternehmer allerdings mitstimmen dürften, dann wäre jetzt schon klar, wie die Abstimmung ausgeht.“ Der gelernte Markt- und Meinungsforscher stellt zudem fest: Die gesamte Befragung sei unseriös. Sie habe Suggestiv-Charakter und könne wissenschaftlich gesehen nicht ernst genommen werden.

Dabei räumt Mucha ein: „Gegen eine Fußgängerzone an sich hätte ich ja nichts.“

Rudolf Taschner schlendert mit Ehefrau Bianca mitten auf der Mariahilfer Straße. Einige Autofahrer schauen irritiert, weil sie bremsen und ausweichen müssen, um vorbeizukommen. Doch Rudolf Taschner ist überzeugt: „Es braucht einfach Zeit, bis sich die Leute an die neue Situation gewöhnt haben.“ Für den Mathematiker und Autor ist die Verkehrsberuhigung der Einkaufsstraße in jedem Fall ein Schritt in die richtige Richtung: „Eine Straße sollte für Menschen da sein, nicht für Autos.“

Die Aufregung und das Gejammer können die beiden Begründer des math.space-Projekts im MuseumsQuartier nicht nachvollziehen. „Wenn es ein paar Querungen gibt, sehe ich überhaupt kein Problem“ sagt Bianca Taschner. Das Argument der Unternehmer, ohne Autos Kunden zu verlieren, kann Rudolf Taschner auch nicht nachvollziehen. Selbst in Einkaufszentren gäbe es nicht neben jedem Geschäft einen Parkplatz. „Und wenn ich etwas Schweres kaufe, dann ärgere ich mich schon, wenn ich das zum Auto schleppen muss. “ Sein Vorschlag an die Geschäftsleute: Zustelldienste organisieren.

Zukunft

Auch wenn die Einführung holprig war, sei das kein Grund, das Konzept an sich infrage zu stellen. Für Bianca Taschner ist die Beibehaltung der Fußgängerzone auch für zukünftige Projekte wichtig: „Wenn die Maßnahmen rückgängig gemacht werden, dann traut sich kein Bezirksvorsteher je wieder eine Fußgängerzone einzurichten.“

Die math.space-Leiterin erinnert an die Einführung der Fußgängerzone auf der Kärntner Straße vor 40 Jahren. „Damals haben die Unternehmer auch Trauermärsche veranstaltet. Und heute kann sich niemand mehr Autos am Graben vorstellen.“

Der Wunsch der Taschners: Die Verkehrsberuhigung ausweiten.

Ab 17. Februar werden die ersten Fragebögen verschickt. Danach haben die Bürger zweieinhalb Wochen Zeit, um zu entscheiden, ob die Fußgängerzone auf der Mariahilfer Straße beibehalten oder die Verkehrsberuhigung rückgängig gemacht werden soll.

Alle Bewohner des sechsten und siebten Bezirks – inklusive knapp 7000 EU-Bürger – werden dazu befragt. Geschäftsleute dürfen nicht mitstimmen, außer sie sind in diesen Bezirken hauptgemeldet.

Die Fragebögen müssen bis 7. März retourniert werden. Wer sicher sein will, dass seine Karte auch ankommt, kann den Fragebogen persönlich in den Amtshäusern des 6. und 7. Bezirks vorbeibringen.

Stimmen die Bürger gegen die Verkehrsberuhigung, werden die Maßnahmen wieder rückgängig gemacht. Bei einem Ja zur Fuzo starten im April die Bauarbeiten. Der Umbau sollte im Herbst 2015 abgeschlossen sein. Die Kosten liegen bei rund 25 Mio. Euro.

Die Neuerungen auf der MaHü

Ab 17. Februar werden die ersten Fragebögen verschickt. Zweieinhalb Wochen haben die Bürger dann Zeit, zu entscheiden – ob das Projekt Mariahilfer Straße fortgesetzt wird oder nicht. Der KURIER hat die Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Wer darf an der Bürgerbefragung teilnehmen?
Alle Bewohner des sechsten und siebenten Bezirks, die bis zum 7. März das 16. Lebensjahr vollendet haben. Dazu zählen auch knapp 7000 EU-Bürger. Geschäftsleute, die nicht im Bezirk hauptgemeldet sind, dürfen dagegen nicht mitstimmen.

Wann beginnt die Bürgerbefragung?
Die Fragebögen werden, aufgeteilt auf mehrere Tranchen, zwischen 17. und 21. Februar an die Teilnahmeberechtigten verschickt. Schon ab 27. Jänner werden die ersten Infofolder an die Haushalte geschickt, die den Ablauf der Umfrage erklären sollen.

Wie lange können sich die Bürger mit ihrer Antwort Zeit lassen?
Die Fragebögen müssen bis spätestens 7. März, 10 Uhr retourniert werden. Wer ganz sichergehen will, kann seine Karte auch persönlich in den Amtshäusern im sechsten und siebenten Bezirk abgeben.

Gibt es weitere Möglichkeiten, den Fragebogen abzugeben?
Ja. Im gesamten Befragungszeitraum werden an zehn frequentierten Stellen der Bezirke Mariahilf und Neubau Infotürme mit Postkästen für die Abgabe der Fragebögen aufgebaut.

Wie viel gibt die Stadt für die Befragung aus?
Die Befragung wird aus formalen Gründen von den Bezirken betrieben, ausgeführt wird sie vom Presse- und Informationsdienst der Stadt (MA 53). Jeder Bezirk hat dafür ein Budget von 283.000 Euro beschlossen, insgesamt sind das 566.000 Euro.

Warum ist die Befragung zur Mariahilfer Straße um so vieles teurer als die Pickerlfrage in den VP-Bezirken?
Neben der Abwicklung informiert die Stadt auch mit Inseraten über die Vorgangsweise der Bürgerbefragung.

Wie viel gibt die Stadt also insgesamt aus?
Zu den 566.000 Euro für die Durchführung der Befragung kommen weitere 850.000 Euro, die das Büro der Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou (Grüne) für eine breite Werbekampagne einsetzt. Dabei sollen den Bürgern die Vorzüge einer Verkehrsberuhigung der Mariahilfer Straße präsentiert werden. Insgesamt werden also mehr als 1,4 Millionen Euro in die Umfrage investiert. Zum Vergleich: Die Volksbefragung im Frühjahr 2013 hat die Stadt 7 Millionen Euro gekostet, 4,4 Millionen davon entfielen auf die Infokampagne. Allerdings konnten damals die Bürger aller 23 Bezirke abstimmen.

Ist das Ergebnis der Befragung bindend?
Rein rechtlich ist das nicht der Fall. Rot und Grün versichern allerdings mehrfach, das Ergebnis der Befragung umzusetzen. Dies war auch bei der Wien-weiten Volksbefragung 2013 der Fall.

Wie sieht der weitere Fahrplan aus?
Stimmen die Bürger gegen eine Verkehrsberuhigung, werden die bisherigen Maßnahmen wieder rückgängig gemacht.

Bei einem Ja zur Mariahilfer Straße neu starten im April 2014 die Bauarbeiten zur Umgestaltung. Sie umfassen unter anderem eine Pflasterung der gesamten Verkehrsfläche zwischen Kaiserstraße und Museumsplatz. Auch neue Beleuchtungsanlagen, Sitz- und Spielmöglichkeiten sollen installiert werden. Der Umbau soll in zwei Etappen zu jeweils sieben Monaten erfolgen. Das Projekt wäre somit im Herbst 2015 fertig. Die Baukosten liegen bei rund 25 Millionen Euro.

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