Chronik/Wien

Spaltpilz Begegnungszone: Warum sie aufregt und was sie leistet

Die Begegnungszonen werden immer mehr: Sieben davon - Herrengasse, Wehrgasse, Schleifmühlbrücke, Mariahilfer Straße, Lange Gasse, Reschgasse und Probusgasse - gibt es inzwischen in Wien.  Mindestens drei folgen bis nächstes Jahr: die Rotenturmstraße, die Otto-Bauer-Gasse und die Neubaugasse

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Das besondere an ihnen: Fußgänger dürfen die gesamte Fahrbahn nutzen. Auto- und Radfahrer müssen auf sie Rücksicht nehmen und dürfen im Regelfall nur mit Tempo 20 unterwegs sein.

Und noch etwas haben die meisten Begegnungszonen gemeinsam: Sie sind – zumindest im ersten Reflex – ein Aufreger. Berechtigterweise? Der KURIER erklärt, was für und was gegen dieses Modell spricht.

Pro: Mehr Sicherheit

Wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind (zum Beispiel ein ausgeglichener Anteil von Pkw, Radfahrern und Fußgängern, kein Schwerverkehr), führen Begegnungszonen zu einer deutlichen Verbesserung der Verkehrssicherheit, schildert Klaus Robatsch vom Kuratorium für Verkehrssicherheit, der Begegnungszonen in ganz Österreich analysiert hat.

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Der simple Grund: Mit der Verringerung der Geschwindigkeit sinkt die Unfallgefahr.

Pro: Effiziente Raumnutzung

Wenn sich die unterschiedlichen Verkehrsteilnehmer eine Fläche teilen, ist das in bestimmten Fällen hinsichtlich Raumnutzung wesentlich effizienter als konventionelle Lösungen.

Bei getrennten Verkehrsflächen kann es hingegen dazu kommen, dass eine völlig überlastet ist, während andere gleichzeitig weitgehend ungenutzt sind.

Pro: Zeitgemäße Lösung

Die Aufteilung des Straßenraums entspricht nach wie vor der Logik der 70er-Jahre, als es – auch in Städten – eine Selbstverständlichkeit war, ein eigenes Auto zu besitzen.

In Zeiten, in denen die Zahl der Autos pro Einwohner konstant zurückgeht, ist es nur konsequent, über eine alternative Aufteilung des Straßenraums nachzudenken. Und zwar über eine solche, in der sich nicht alle anderen Verkehrsteilnehmer dem Auto unterordnen, sondern umgekehrt.

Pro: International bewährt

Begegnungszonen sind kein österreichisches Unikum, sondern vielerorts Realität. In der Schweiz, einem der Pionierländer, wurden etwa bereits rund 300 davon verwirklicht – 51 davon in Zürich, 38 in Bern und 33 in Lausanne. In Belgien, Frankreich, Luxemburg und den Niederlanden gibt es ähnliche Modelle.

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Mit der 2013 geschaffenen Möglichkeit, Begegnungszonen zu schaffen, wurde also internationaler Standard auch in Österreich umgesetzt. Das Konzept findet Anklang: Mehr als 120 Begegnungszonen gibt es hierzulande mittlerweile – nicht nur im rot-grün regierten Wien.

Contra: Verlust von Parkplätzen

Begegnungszonen bedeuten in der Praxis meistens, dass Parkplätze wegfallen. In der Rotenturmstraße wird es statt 43 Stellplätzen nur mehr zehn Parkplätze geben (allerdings nur außerhalb der Lieferzeiten). 

Ausnahmen bestätigen die Regel: Als zuletzt die schmale Probusgasse in eine Begegnungszone mit Gehsteigen und Fahrbahn auf einem Niveau umgebaut wurde, entstanden sogar Parkplätze.

Contra: Scheinlösung

Eine Fußgängerzone wäre in manchen Fällen wohl ehrlicher als das Mischsystem Begegnungszone. Aber um die Autofahrer nicht komplett

zu verärgern, ermöglicht man ihnen die Zufahrt. Angenehm ist es aber nicht, ein Auto durch eine Begegnungszone zu steuern: Wegen der Fußgänger gilt es, besonders Acht zu geben.

Contra: Disziplinlosigkeit

Begegnungszonen verlangen ein hohes Maß an Eigenverantwortung von den Verkehrsteilnehmern. Tendenziell sind jene in den ländlichen Regionen oder kleinen Orten rücksichtsvoller als in anonymen Großstädten.

Eine potenzielle Gefahrenquelle: Viele wissen nicht, was in einer Begegnungszone erlaubt ist und was nicht.

Contra: Verdrängungseffekte

Weil die Autolenker nicht so zügig durch die Begegnungszone fahren dürfen, suchen sie sich Ausweichrouten – meistens liegen diese in den Seitenstraßen. Während sich Bewohner einer Begegnungszone also über mehr Ruhe freuen können, kommt auf die Nebengassen mehr Lärm zu.