304 Anzeigen bei verbotener Pro-Palästina Demo in Wien
Obwohl eine für Mittwochabend angemeldete Pro-Palästina-Demo in der Wiener Innenstadt von der Polizei kurzfristig untersagt wurde, versammelten sich zahlreiche Teilnehmer am Stephansplatz. Beobachter vor Ort sprachen zunächst von rund Tausend Teilnehmern. In Polizeikreisen war am Donnerstagvormittag hingegen die Rede von 500 Demonstranten bei der Pro-Palästina-Demo.
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Laute Sprechchöre waren zu hören: “Freiheit, Freiheit für Palästina”, “Lasst Gaza leben, lasst Gaza frei”, “Kindermörder Israel” - die Stimmung war aufgeheizt. Unter lauten „Allahu akbar“-Rufen versammelten sich immer mehr Aktivisten. Auch die WEGA war vor Ort und kesselte die Demonstranten ein. Die Menge versuchte in Richtung Schwedenplatz zu ziehen, wurde jedoch von der Polizei aufgehalten.
Versammlung nicht aufgelöst
"Trotz der Untersagung der Versammlung am Stephansplatz, haben sich dort Menschen versammelt. Da es sich um eine nicht ordnungsgemäß angezeigte Versammlung handelt, wird den Teilnehmer*innen die Auflösung via Lautsprecher bekannt gegeben", hieß es von der Polizei via X (vormals Twitter). Bereits um kurz vor 19 Uhr drohte die Polizei mit der Räumung des Platzes.
Aufgelöst wurde die Pro-Palästinenser-Demo erst, als die Gedenkveranstaltung für die Opfer des Hamas-Terrors zu Ende war. Rund die Hälfte der Teilnehmer durfte gehen, der Rest musste bleiben, damit ihre Personalien festgestellt werden konnten, zum Teil gab es Anzeigen.
Wie ein KURIER-Lokalaugenschein zeigte, kam es - trotz erhitzter Gemüter - zu keinen Ausschreitungen, obwohl die Polizei laut Augenzeugen "Körperkraft gegen pro Palästina-Demonstranten" einsetzen musste. Festnahmen gab es - entgegen einiger Medienberichte - keine.
Die Polizei führte lediglich 304 Identitätsfeststellungen durch, die in Anzeigen resultierten:
- 1 Person wurde nach dem Strafgesetzbuch
- 292 Personen nach dem Versammlungsgesetz und
- 11 wurden wegen anderer verwaltungsrechtlicher Delikte angezeigt
Überdies konnten im Zuge des Einsatzes laut Polizei zahlreiche "staatspolizeiliche Erkenntnisse" gewonnen werden.
Vor Ort soll einer der Beamten zu einem anderen Polizisten gesagt haben, man habe nicht genug Leute, um die Demonstranten einzukesseln. Schlussendlich gelang das aber. Dementsprechend lobte die Exekutive den Einsatz am Tag danach - man habe eine Eskalation verhindern können. Außerdem habe man die Teilnehmer der untersagten Demo davon abhalten können, die Gedenkveranstaltung für Israel am Ballhausplatz zu stören.
Kritik an Vorgehensweise der Polizei
Auf X (vormals Twitter) wurde bereits Kritik an der Vorgehensweise der Polizei laut. "So sieht in Österreich also eine "verbotene"/"abgesagte" Demo aus. Mit freundlicher Unterstützung einer inkompetenten @LPDWien. Aber bei Studenten die fürs Überleben demonstrieren, da sind sie stark die Deix-Figuren, da gehen Schmerzgriffe", schreibt eine Userin.
Die Polizei antwortete via Social Media: "Auch wenn eine Versammlung aufgelöst wurde, ist es aus einsatztaktischen Gründen nicht immer von Vorteil diese auch physisch aufzulösen."
Eine der Demonstrantinnen am Mittwochabend war Mira (siehe Foto unten). “Wir sind hier, weil wir gegen Krieg und Gewalt sind. Es werden Kinder bebombt und getötet, dagegen treten wir ein. Meine Familie stammt aus der Türkei, ich bin hier geboren, aber heute sind wir hier für Palästina", sagte die 28-Jährige dem KURIER.
Auch Adam, 30, Palästinenser (siehe Foto unten), fand sich am Mittwoch am Stephansplatz ein. "Wir sind hier, weil Israel und die USA uns unser Land weggenommen haben. Jetzt töten sie unsere Kinder. Dagegen demonstrieren wir heute. Wir wollen nichts anderes als die Ukrainer", sagte der 30-Jährige.
Gegen 21 Uhr löste sich die Demonstration langsam auf - ohne, dass die Polizei aktiv eingriff.
Die Stimmung am Ballhausplatz war hingegen andächtig. Rund 700 Personen haben sich am Mittwochabend hier versammelt, um der Opfer der Terroranschläge in Israel zu gedenken. Israel-Fahnen wurden geschwenkt, Plakate in die Luft gehoben. "Wie kann es sein, dass man sich im Jahr 2023 nicht offen jüdisch zeigen kann, ohne Angst, angegriffen oder ausgeschlossen zu werden?", sagte etwa Alohn Ishay, Vertreter der Jüdischen österreich Hochschülerschaft.
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Auch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, Bundeskanzler Karl Nehammer (beide ÖVP), Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ), NEOS-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger waren bei der Veranstaltung.
„Wir stehen in diesen schweren Zeiten an Israels Seite.“ Das ließ etwa Bundespräsident Alexander van der Bellen am Mittwoch im Rahmen der Gedenkveranstaltung für die israelischen Opfer des Hamas-Terrors wissen. In einer von der Schauspielerin Mercedes Echerer vorgetragenen Botschaft erklärte Van der Bellen zudem: „Kein politisches Anliegen rechtfertigt solche Verbrechen.
"Gräueltaten sind reiner Hass"
Bei den Gräueltaten durch Hamas-Terroristen, die bisher unvorstellbar erschienen seien, handle sich um „reinen Hass“, so der Bundespräsident in seiner Stellungnahme. Es war mit einem Gebet von Oberrabbiner Jaron Engelmayer eröffnet worden.
„Wir dürfen nicht schweigen, wenn erneut Juden zum Opfer fallen. Die ganze Welt, jede Institution und jeder Staat, muss Einfluss nehmen, um die Gewalt zu beenden. Alle Geiseln sind sofort freizulassen - Menschen dürfen nicht als Faustpfand missbraucht werden“, betonte das Staatsoberhaupt, das laut Veranstaltern krankheitsbedingt nicht selbst teilnehmen konnte.
Brutal seien etwa tausend Menschen ermordet worden, darunter viele Frauen und Kinder, erinnerte Van der Bellen. „Ein Pogrom von unfassbarem Ausmaß entfaltet sich vor unseren Augen. Die Terroristen filmen diese Gräueltaten und stellen sie triumphierend ins Netz.“
"Israel ist ein Zufluchtsort"
Israel sei für viele Juden „nicht nur ein Land“, ließ der Bundespräsident verlauten. „Es ist mehr als das - nach dem Holocaust ein Zufluchtsort. Ein Garant dafür, dass Juden nie wieder verfolgt werden.“ „Niemals wieder“ gelte weiterhin, auch angesichts dieser Tragödien. Viele Juden in Österreich würden trauern oder um Verwandte und Freunde in Israel bangen, hielt Van der Bellen fest. „Mein tief empfundenes Mitgefühl gilt Ihnen.“
IKG-Präsident Oskar Deutsch schilderte zu Beginn des Gedenkens einige der zahlreichen Schicksale von Menschen, die den Angriffen zum Opfer fielen. „Die Bestialität ist grenzenlos“, sagte Deutsch darüber. Man habe sich bewusst entschieden bei auf der Veranstaltung keine Bilder oder Videos von den Ereignissen zu zeigen. „Wir alle kennen sie und werden sie wohl nie vergessen“, sagte Deutsch. „Wir dürfen und werden das nie vergessen“, führte er aus.
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Der IKG-Präsident verwies auf den Fall eines Österreichers, der ebenfalls bei den Angriffen getötet wurde. Denn gerade österreichische Jüdinnen und Juden hätten eine besondere Beziehung zu Israel, so Deutsch. Israel sei die spirituelle Heimat des Judentums. „Wir sind Österreicher und tragen Israel im Herzen.“ Nun müsse dafür gesorgt werden, dass ein Massaker wie am Samstag nie wieder geschehe, hieß es von ihm.
Deutsch bedankte sich bei allen Sicherheitskräften für das Ermöglichen der Veranstaltung, kritisierte jedoch auch, dass Jüdinnen und Juden weltweit nach wie vor vor Angriffen geschützt werden müssten. „Wie lange noch?“, fragte er. Die israelitische Kultusgemeinde (IKG) hatte im Vorfeld ersucht auf dem Weg zum Ballhausplatz bzw. beim Verlassen der Veranstaltung, mitgeführte Israelfahnen, Transparente etc. zu verdeckt zu führen und den Bereich rund um den Stephansplatz zu meiden, wo ursprünglich eine propalästinensische Demo geplant war.
"Auch in Wien Unterstützer der Hamas"
Gegen die Gefährdung müssten nun nicht nur die Sicherheitskräfte vorgehen, sondern die ganze Zivilgesellschaft. Das gelinge auch durch solche Veranstaltungen. Auch in Wien gebe es Unterstützer der Hamas, die deren Entführungen und Morde gutheißen würden.
Sie haben aber auch Verbündete, die nicht so offen den Terror der Hamas bejubeln. Vereinzelte Hamas-Apologeten in Medien und Wissenschaft, die täglich eine mediale Bühne für ihre Relativierungen erhalten. Dabei gebe es - egal ob in Gaza oder Israel - nur einen klaren Verantwortlichen für Tote: „Die Hamas“, so Deutsch.
Die IKG warnte die Teilnehmer des Gedenkens für die Opfer des Hamas-Terrors bereits im Vorfeld, sie sollten am Weg zum Ballhausplatz bzw. beim Verlassen der Veranstaltung mitgeführte Israelfahnen und Transparente verdeckt führen und weiter: "Bitte meiden Sie außerdem den Bereich rund um den Stephansplatz, zumal hier am Abend eine pro-palästinensische Demonstration stattfinden soll."
Polizei mit Strategieänderung
Seitens Wiener Polizei hieß es ursprünglich, dass beide Versammlungen angemeldet wurden und auch stattfinden würden, ehe am Mittwochnachmittag plötzlich zu einem eilig einberufenen Hintergrundgespräch geladen wurde. Anlass dafür: "neue Entwicklungen bezüglich der Kundgebung ´Mahnwache in Solidarität mit Palästina´". Die Rede war von umfassenden Einsatzplanungen, um einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten.
Landespolizeipräsident Gerhard Pürstl wollte sich im Zuge des Gesprächs nicht äußern, ob konkrete Hinweise auf geplante Gewaltakte vorliegen. Er verwies auf laufende nachrichtendienstliche Ermittlungen. Im Internet sei allerdings gemeinsam mit den Demo-Einladungen Gedankengut der Hamas verbreitet worden. Unter anderem die Parole "Palestine musst be free, from the river to the sea" - dabei handle es sich um eine Gewaltaufforderung.
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Die Demoveranstalter hätten sich davon nicht distanziert, der Verfassungsschutz sei in der Sache bereits eingeschaltet worden. "Der Konflikt darf nicht auf die Straßen Wiens getragen werden", so Pürstl.
Trotz der Absage wurde am Mittwoch für die Abendstunden verstärkte Polizeipräsenz am Stephansplatz angekündigt.
Vorbild Berlin
Die Berliner Polizei hat eine für Mittwoch angekündigte palästinensische Unterstützer-Demonstration ebenfalls verboten. Auch eine geplante Kundgebung zur Solidarität mit Palästina am Pariser Platz sowie etwaige Ersatzveranstaltungen würden untersagt, teilte die Polizei am Abend auf X (vormals Twitter) mit.
Eine Durchführung der Demonstrationen stelle eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar, hieß es von der Polizei zur Begründung. „Unsere Versammlungsbehörde nimmt in ihrer Begründung sowohl Bezug auf die aktuelle Lage in Nahost und Straftaten bei vergleichbaren Versammlungslagen in der Vergangenheit als auch den Ereignissen am letzten Wochenende in Berlin“, hieß es weiter.
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Die österreichische Polizei zog jetzt nach, wenngleich in dem Zusammenhang einmal mehr betont wurde, dass das Recht sich zu versammeln ein verfassungsrechtlich geschütztes Recht ist. Eine Untersagung bzw. eine Auflösung sei nur in absoluten Ausnahmefällen zulässig. Dies wäre der Fall, wenn die Kundgebung gegen Strafgesetze verstößt od. wenn dadurch die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet ist. Das heißt, es muss konkrete Hinweise geben, dass eine Straftat bevorsteht oder erhebliche Teile der Bevölkerung in Furcht versetzt werden.