Bis zum letzten Rhino
Von Martin Burger
KURIER: Der erste Teil des Titel Ihrer Ausstellung, die derzeit im Naturhistorischen Museum läuft, lautet „Das Geschäft mit dem Tod“, wo gehen denn die Geschäfte besonders gut?
Frank Zachos: In der Forschung gibt es den Begriff des Biodiversitäts-Hotspots, das sind 35 Gebiete weltweit, die sich dadurch auszeichnen, dass sie besonders viele Arten aufweisen, von denen viele nur dort vorkommen. Gleichzeitig weisen diese Gebiete bereits ein gewisses Ausmaß an Zerstörung auf. Die allerstärkste Bedrohung gibt es für die Hotspots in Südostasien. Die Zerstörung des Primärlebensraumes ist dramatisch, mehr als in allen anderen Gebieten, mit Ausnahme von Madagaskar.
Der Idealismus steigt mit dem Abstand vom Problem. Wir haben gut reden hier. Natürlich ist es so, dass in diesen Gebieten Raubbau betrieben wird für uns, für die Industriestaaten, für die erste Welt. Da machen viele Leute gute Geschäfte. Etwa mit der Abholzung von Primärvegetation und dann mit der Erschließung für den Tourismus oder die Ausbeutung von Rohstoffen.
Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Der Regenwald wird immer noch vor Ort abgeholzt.
Stimmt, aber wieso. Es ist zu einem nicht unerheblichen Teil so, dass dort Menschen von der Hand in den Mund leben und Brandrodung betreiben, um sich und ihre Familien zu ernähren. Das muss man getrennt sehen, das eine passiert aus der Not heraus und das andere aus Gier. Das Geschäft mit dem Tod ist also nur eine Seite der Medaille.
Gehört der Amazonas, für den sich schon in den 1980ern der Popstar Sting engagiert hat, auch zu den Biodiversitäts-Hotspots?
In Brasilien gibt es einen solchen Hotspot, aber nicht den Amazonas, der ist, was die Artenvielfalt angeht, vermutlich unerreicht, aber dort ist auch Gottseidank noch nicht so viel kaputt, dass er die Aufnahmebedingungen erfüllen würde. Diese Bedingungen lauten u.a.: 70 Prozent der Primärvegetation müssen zerstört sein. Aber vom Atlantischen Küstenregenwald, die Mata Atlântica , sind nur noch acht Prozent des Ursprungsgebietes vorhanden. An der Küste gibt es auch die größte Bevölkerungsdichte. Würde in Brasilien eine sozial gerechte, vernünftige Verteilung herrschen und eine vernünftige Nutzung der Ressourcen, wäre das kein armes Land. Was Rohstoffe angeht, ist das Land ausgesprochen reich. Aber das gilt nicht für den Großteil der Bevölkerung, die überleben so wie sie eben können.
Es gibt immer mehr Schutzgebiete, vor allem an Land, nützt das denn gar nichts?
Das eine ist die Theorie, das andere ist die Praxis, es gibt viele Naturschutzgebiete, die nur auf dem Papier bestehen. Mittlerweile sind 15 Prozent der Landoberfläche in irgendeiner Form geschützt, das nutzt aber nichts, wenn es nicht umgesetzt wird. Dieses Umsetzen geht nicht, wenn der Raubbau für wirtschaftlichen Profit nicht eingedämmt wird, zum anderen muss man aber der lokalen Bevölkerung unter die Arme greifen, ihnen Alternativen zeigen und sie dabei unterstützen ihren Lebensunterhalt anders zu bestreiten. Das ist nicht so einfach, zwei Milliarden Menschen leben auf den ca. 2,5% Landfläche der Erde mit der höchsten und bedrohtesten Biodiversität, viele davon bitterarm, da sind Schwierigkeiten vorprogrammiert.
Sicher nicht, der Titel ist wohl eher rhetorisch zu verstehen. Das Leben werden wir nicht vollständig ausrotten, nach uns werden weitere Massensterben kommen. Erdgeschichtlich betrachtet gab es bereits fünf Massen-Aussterbe-Ereignisse Das jetzige 6. Artensterben ist - noch - nicht das größte. Es hat eine Reihe von Ursachen, die von Menschen gemacht sind. Man nennt das auch mit einem Akronym „Hippo+“, Die Buchstaben stehen für: „Habitatverlust“ (Lebensraumvernichtung), invasive Arten (durch Globalisierung und Klimawandel gefördert), Population (ungebremstes Wachstum der Menschheit), Pollution (Verschmutzung), Overharvesting (Übernutzung der natürlichen Rohstoffe), das Plus steht für den Klimawandel. Wie viele Arten sterben, weiß man gar nicht, weil viele Arten sterben, ohne, dass man sie überhaupt gekannt hat. Es gibt Schätzungen, die besagen, dass mehr als zehn Arten jeden Tag aussteben, bis zum Jahre 2022 könnten mehr als 20 Prozent aller Arten verschwunden sein.
Hat Aussterben von Arten auch Vorteile?
Aussterben führt immer dazu, dass danach Nischen frei sind, die von anderen Arten besetzt werden können, von Vorteil würde ich da nicht sprechen, Evolution ist weder gut noch schlecht, das ist ein Prozess, der einfach abläuft. Arten entstehen und vergehen, das ist weder gut noch schlecht. Die großen Aussterbe-Ereignisse der Erdgeschichte dürften einen erheblichen Anteil an Zufall enthalten. Wer ausstirbt, hat weniger damit zu tun, wie angepasst eine Art ist - das wäre eher bei schleichenden Umweltänderungen der Fall, wo es darum geht, wer kann da mithalten und wer nicht, aber wenn Vulkane ausbrechen oder Meteoriten einschlagen oder Urwald radikal gerodet wird, dann ist das weniger eine Frage der Anpassung als vielmehr vom Zufall abhängig. Eine Art stirbt aus, weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort ist.
Es gibt Menschen, die sagen, es ist ihnen egal ob der Eisbär, der Blauwal oder das Java-Nashorn ausstirbt, an ihrem Leben ändert das gar nichts. Steckt ein Körnchen Wahrheit in dieser Aussage?
Ich persönlich würde es schade finden, wenn wir unsere technologische Überlegenheit derart ausnützen, dass wir die biologische „Schöpfung“ immer weiter reduzieren. Es gibt einige Schlüsselstellen im Ökosystem, die, wenn sie ausfallen, erhebliche Probleme bereiten. Das ist vermutlich nicht beim Eisbären der Fall, weil der am Ende der Nahrungskette steht. Groß wird das Problem, wenn man am Anfang der Nahrungskette herumschraubt. Ein nicht unerheblicher Grund für Massensterben in der Erdgeschichte dürfte darin begründet sein, dass das marine Phytoplankton zusammengebrochen ist, biomassemäßig ein gewaltiger Anteil der Nahrungskette. Ein Absterben hätte Dominoeffekte die Nahrungskette hinauf. Dazu kommt der Nutzen der Biodiversität für den Menschen, zum Beispiel in Form von noch unbekannten potenziellen Nutzpflanzen in tropischen Regenwäldern, die Krankheiten heilen könnten.
Aber was verlieren wir eigentlich, wenn wir eine Art ausrotten?
Dann verlieren wir einen Ast am Baum der Evolution. Ich finde, wir tragen eine gewisse Verantwortung, die Möglichkeiten, die wir haben, um Schaden anzurichten sind dramatisch.
Ich als Einzelner, als Tourist in exotischen Ländern, was kann ich da falsch machen?
Es gibt verschiedene Probleme. Die Schlangenledertasche oder die ausgestopfte Cobra, die man in Asien auf dem Markt kaufen kann. So etwas sollte man tunlichst unterlassen. Es gibt aber auch andere Gefahren. Amphibien haben weltweit mit einer Pilzinfektion zu kämpfen, vermutlich die Hauptbedrohung für die Tiergruppe, die Chytridiomykose. Wenn man Amphibien zum privaten Halten nach Hause mitbringt, verbreitet man unter Umständen auch diesen Erreger weltweit. Auf Madagaskar gibt es mehrere Hundert endemische Froscharten. Bis jetzt ist dieser Pilz dort noch nicht angekommen, aber das muss nicht so bleiben.
Welche Gruppen sind bei den Säugetieren besonders bedroht?
Gazellen sind sehr stark bedroht, vor allem die, die im nördlichen Afrika und im Nahen Osten und im Mittleren Osten. In Afrika südlich der Sahara geht es noch wesentlich besser, aber im Norden sind viele Arten vom Aussterben bedroht oder ausgestorben. Eine andere Gruppe sind die Nashörner, die fast schon sinnbildlich für das sinnlose Ausrotten von Arten stehen.
Warum ist die Jagd auf Nashörner so stark angestiegen?
Es gab vor einigen Jahren einen vietnamesischen Politiker, der das Feuer neu angefacht hat, indem er behauptet hat, Nashornpulver hätte ihn von Krebs geheilt. Seither geht die Nachfrage dramatisch hoch. Es werden auf dem Schwarzmarkt Preise gezahlt, die mehr als doppelt so hoch sind wie der Goldpreis. Ein Kilo Horn bringt bis zu 70.000 US-Dollar. Ein großes afrikanisches Nashorn mit zwei Hörnern ist heute fast eine Million US-Dollar wert.
Es gibt Stimmen, die, ähnlich wie beim Elfenbein, sagen, lasst uns den Markt schwemmen. Es gibt tonnenweise beschlagnahmtes Elfenbein in Asservatenkammern. Wenn wir den Markt schwemmen, dann drücken wir die Preise, und damit würde die Wilderei zurückgehen. Beim Nashorn überlegt man Ähnliches. Es gibt auch andere Stimmen, die sagen, das wird nichts bringen, sondern nur die Nachfrage weiter anheizen. Es ist ein Akt der Verzweiflung, und es wird letzten Endes eine Frage nach dem kleineren Übel sein.
Frank Zachos ist Leiter der Säugetierabteilung am Naturhistorischen Museum in Wien.