Chronologie des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche
Die Skandalserie um den sexuellen Missbrauch Minderjähriger in der römisch-katholischen Kirche hält diese bereits seit Jahrzehnten im Atem. Ein von Papst Franziskus einberufener, hochrangig besetzter Kongress soll nun den weltweiten Umgang mit der Problematik vereinheitlichen. Im Folgenden eine Chronologie der Skandale:
1985: Erstmals kommen Berichte über sexuellen Missbrauch Minderjähriger durch Kleriker in den USA an die Öffentlichkeit. In den folgenden Jahren gibt es immer wieder Medienberichte über Missbrauchsfälle, die zunächst noch kaum öffentliche Reaktionen vonseiten offizieller kirchlicher Stellen auslösen.
1995: Der Wiener Erzbischof Kardinal Hans-Hermann Groer wird von ehemaligen Schülern des sexuellen Missbrauchs beschuldigt. Groer tritt im gleichen Jahr als Erzbischof zurück, gibt aber bis zu seinem Tod 2003 keine Schuld zu.
1996: Die Bischofskonferenzen in den USA und in Irland erstellen erste Leitlinien zum Umgang mit Missbrauchsvorwürfen.
2001: Die Glaubenskongregation, die damals unter der Leitung von Kardinal Joseph Ratzinger (dem späteren Benedikt XVI.) steht, erhält die Zuständigkeit zur Durchführung von kirchlichen Strafprozessen gegen beschuldigte Kleriker. Dadurch soll die Verfolgung der Täter effizienter werden.
2002: Der Missbrauchsskandal in der US-Erzdiözese Boston wird durch eine Artikelserie der Zeitung "Boston Globe" in seinem riesigen Ausmaß erkennbar. Erzbischof Bernard Law tritt daraufhin zurück.
2006: Der Gründer des Ordens Legionäre Christi und der Laiengemeinschaft Regnum Christi, Marcial Maciel Degollado, wird vom Vatikan zum Rückzug gezwungen. Der mexikanische Priester hatte sich über Jahre an zahlreichen, teils minderjährigen Schülern und Seminaristen seiner Gemeinschaft vergangen. Auch zeugte er mit zwei Frauen mehrere Kinder, die teils ebenfalls von ihm sexuell missbraucht wurden.
April 2008: Papst Benedikt XVI. trifft als erstes Kirchenoberhaupt am Rande eines Besuchs in den USA Missbrauchsopfer. Diese Treffen werden in den folgenden Jahren zu Fixpunkten päpstlicher Reisen.
2009: Eine vom irischen Staat eingesetzte Kommission veröffentlicht einen umfassenden Bericht ("Ryan Report") über die Misshandlungen und auch den sexuellen Missbrauch, denen Kinder und Jugendliche in von katholischen Ordensleuten geführten Schulen und Erziehungsheimen in Irland ausgesetzt waren. Der bereits seit den 1990er Jahren schwelende Missbrauchsskandal entfremdet große Teile der bis dahin als "sehr katholisch" geltenden irischen Bevölkerung der Kirche.
März 2010: Papst Benedikt XVI. drückt in einem Hirtenbrief an die irischen Katholiken sein Bedauern über die Missbrauchsfälle aus und bittet um Verzeihung.
2010: Durch die Bekanntgabe von Missbrauchsfällen im von Jesuiten geführten Berliner Canisius-Kolleg erfasst eine neue Welle von Enthüllungen Deutschland. Unter anderem ist auch das Benediktinergymnasium Ettal in Bayern betroffen.
Auch in Österreich wird der Missbrauch erneut ein Thema. Die Kirche setzt die frühere steirische Landeshauptfrau Waltraud Klasnic (ÖVP) als Opferbeauftragte ein. In den folgenden Jahren geraten Missbrauchsereignisse in mehreren kirchlichen Schulen - u. a. in der Gymnasien in Kremsmünster und Mehrerau - in das Visier der Justiz.
2017: In Australien veröffentlicht die Royal Commission eine umfassende Studie über sexuellen Missbrauch Minderjähriger in Institutionen. Der Bericht bezieht sich nicht allein auf Einrichtungen der katholischen Kirche, sondern verschiedenster - darunter auch staatlicher - Träger.
Jänner 2018: Papst Franziskus besucht Chile und verteidigt dabei - offenbar aus Unkenntnis - Bischof Juan Barros, der den in einen Missbrauchsskandal verwickelten charismatischen Priesterausbildner Fernando Karadima gedeckt haben soll. Im Mai bietet die gesamte chilenische Bischofskonferenz dem Papst ihren Rücktritt an.
Juli 2018: Erneuter Missbrauchsskandal in den USA: Der emeritierte Erzbischof von Washington, Kardinal Theodore McCarrick, soll jahrzehntelang junge Männer, darunter auch Minderjährige, missbraucht haben. Papst Franziskus entzieht ihm daraufhin die Kardinalswürde - nach jüngsten Medienberichten könnte er sogar aus dem Priesterstand ausgeschlossen (laisiert) werden. Der Ex-Vatikanbotschafter in den USA, Carlo Maria Vigano, wirft Franziskus öffentlich vor, nichts gegen McCarricks Umtriebe unternommen zu haben, und ruft ihn zum Rücktritt auf.
Oktober 2018: Die Generalstaatsanwaltschaft des US-Staates Pennsylvania veröffentlicht einen Bericht über jahrzehntelangen sexuellen Missbrauch durch katholische Priester. Kardinal Donald Wuerl, Erzbischof von Washington, der zuvor Bischof von Pittsburgh in Pennsylvania gewesen war, tritt daraufhin zurück. Papst Franziskus stellt fest, dass Wuerl zwar "Fehler" gemacht, aber keine Vertuschung begangen habe.
Dezember 2018: In Australien wird Kardinal George Pell, Finanzchef des Vatikan und früherer Erzbischof von Melbourne und Sydney, der als enger Vertrauter von Papst Franziskus gilt, wegen des sexuellen Missbrauchs von zwei Buben verurteilt. Pell wies die Anschuldigungen zurück. Die gerichtlich verordnete mediale Schweigepflicht über den Fall sorgt ebenfalls für Aufregung.
Jänner 2019: In Frankreich beginnt ein Prozess gegen mehrere hohe Würdenträger, darunter Kardinal-Primas Philippe Barbarin, Erzbischof von Lyon, wegen des Vorwurfs der Vertuschung von sexuellem Missbrauch.
21.-24. Februar 2019: Im Vatikan findet ein Kongress zum Thema sexueller Missbrauch in der Kirche statt. Geladen sind die Vorsitzenden aller Bischofskonferenzen und führende Vertreter vieler Ordensgemeinschaften. Vorgesehen sind auch Zeugnisse von Missbrauchsopfern.