Widerstand am Stimmzettel: Wenn die Bürger Nein sagen
Von Christian Willim
Die Opposition im Tiroler Landtag ist sich einig, wie das Ergebnis einer am Sonntag in Nassereith durchgeführten Volksbefragung zu lesen ist. Es sei eine „bittere Ohrfeige“ für die schwarz-rote Landesregierung, finden die Neos. Die FPÖ vernimmt einen „Hilfeschrei der Bevölkerung“. Die Liste Fritz sieht ein Signal gegen „Drüberfahrerpolitik“.
Bei einer Wahlbeteiligung von rund 49 Prozent haben sich fast 100 Prozent der Teilnehmer dagegen ausgesprochen, dass die Gemeinde an der bekannten Stauroute B179 Grundstücke für den Bau eines Fernpass-Scheiteltunnels sowie einer Mautstation abgibt. Bindend ist das Ergebnis, wie bei Volksbefragungen üblich, aber nicht.
Nicht ignorieren
Signalwirkung haben solche Abstimmungen für die Politikwissenschafterin Kathrin Stainer-Hämmerle aber dennoch: „Wenn eine öffentlich bekannte Willensbekundung der Bevölkerung schwarz auf weiß da liegt, dann kann man das nicht ignorieren.“
Dass Volksbefragungen auf Gemeindebene politische Debatten – teilweise auch überregional – befeuern oder gar Projekte kippen können, hat sich in den vergangenen zwei Jahren gerade in Westösterreich mehrfach gezeigt.
In St. Leonhard, Standortgemeinde der Pitztaler Gletscherbahnen, haben sich die Bürger vor zwei Jahren bei reger Beteiligung knapp aber doch gegen die vom Unternehmen forcierte Verbindung mit dem Ötztaler Gletscherskigebiet ausgesprochen. Die Pläne wurden fallen gelassen.
Große Ablehnung aber geringe Beteiligung zeigte sich bei Volksbefragungen im vergangenen November in Vorarlberg und Salzburg bei landesweit bedeutenden Verkehrsprojekten:
Gegen Verkehrsprojekte
In Lustenau sprachen sich die Bürger gegen die von der Asfinag favorisierte Variante der S18 aus, in der Landeshauptstadt Salzburg gegen den Bau des S-Link – einer unterirdischen Führung der Lokalbahn.
Dass Parteien die Abstimmungsergebnisse abhängig von Beteiligung und Deutlichkeit der Zustimmung bzw. Ablehnung interpretieren, ist laut Stainer-Hämmerle legitim. „Aber man muss Bürger schon ernst nehmen, auch wenn es nicht viele sind.“
Für sie ist auch klar: „Der größte Fehler ist es, wenn man den Wunsch nach mehr Mitsprache kleinredet, bagatellisiert oder gar lächerlich macht.“
Schweigende Mehrheit
Stimmt nur ein kleiner Teil der Wahlberechtigten ab, mag es zwar eine schweigende Mehrheit geben. „Aber man kann nicht sagen, ob die dafür oder dagegen waren.“ Deshalb dürfe man auch nicht „die Gruppe, die nicht teilnimmt, für eine bestimmte Seite vereinnahmen “, so Stainer-Hämmerle.
Sie weiß: „Bürger sagen in allen Umfragen, dass sie mehr auf der Sachebene mitreden wollen.“ Wenn es aber in einer Gemeinde zu einer Volksbefragung kommt, „ist es meistens der letzte Notstopp.“
Kommt die Initiative von der Politik selbst, kann das Instrument helfen, „Blockaden zu überwinden, wenn sich Parteien lange nicht einigen konnten.“ Mitunter würde aber auch versucht, die Verantwortung für unangenehme Entscheidungen an die Bevölkerung zu übertragen.
Gemeinsam dagegen
Oft sind es aber Bürger selbst, die Befragungen ins Rollen bringen. Und fast immer geht es dann darum, ein Projekt zu verhindern. „Bürgerbeteiligung ist meistens Verhindern, egal auf welcher Ebene“, so die Expertin.
Das ist aber nicht weiter verwunderlich. „Veränderungen machen Angst. Gegen Veränderung zu sein, eint sehr schnell eine Gruppe über andere Differenzen hinweg.“
Widerstand ist zudem leichter zu organisieren, als eine alternative Lösungen zu finden. Aber eigentlich sollte es Ziel sein, „dass sich die Menschen nicht in einer Protestbewegung sammeln müssen und auf diese Weise Entscheidungen kippen oder verhindern. Sondern, dass man sie so einbindet, dass es gar nicht so weit kommt.“
Gegen Kraftwerkspläne
Dem Tiroler Landesenergieversorger ist das nicht gelungen. Für den Mega-Ausbau des Kraftwerks Kaunertal wollte das Unternehmen - trotz zunehmender Widerstände - in großem Stil Wasser aus dem Ötztal ableiten.
Wenige Tage vor einer parallel zur EU-Wahl im Juni abgehaltenen Volksbefragung in Sölden vollzug die Tiwag dann eine Kehrtwende, legte das Vorhaben von Wasserableitungen auf Eis. Das Votum der Bürger fiel dennoch eindeutig aus. 96,2 Prozent der Teilnehmer stimmten gegen die ursprünglichen Pläne.
Dass eine Volksbefragung mitunter auch FÜR ein Vorhaben ausgehen kann, hat sich eine Woche vorher im oberösterreichischen Rainbach gezeigt. Da haben sich bei einer Volksbefragung, an der 61 Prozent der Wahlberechtigten teilnahmen, 56 Prozent für einen neuen Windpark ausgesprochen.