Andrang auf Notquartiere: "Das Wichtigste ist, dass niemand erfriert"
In den heimischen Wohnzimmern hat die Heizsaison spätestens mit dem markanten und ungewöhnlich frühen Wintereinbruch richtig Fahrt aufgenommen. Für Menschen, die kein Dach über dem Kopf haben, hat sich die Situation durch die klirrende Kälte nunmehr hingegen dramatisch zugespitzt.
„Heftig ist, dass wir bereits erste obdachlose Menschen mit Erfrierungen versorgen mussten“, beschreibt Klaus Schwertner, Caritasdirektor in Wien. Die Streetworker-Teams seien derzeit sieben Tage die Woche auf den Straßen unterwegs, um Obdachlose in warme Notquartiere zu vermitteln oder sie mit winterfesten Schlafsäcken, Isomatten und Decken auszustatten.
Insgesamt 1.000 Betten stehen in den Notquartieren der Stadt zur Verfügung. Durch den Kälteeinbruch stieg der Andrang seit dem Wochenende deutlich an, 95 Prozent der Plätze sind belegt. „Es gibt aber noch freie Plätze“, betont Schwertner.
"Hinsehen statt Wegsehen"
Um jene zu finden, die Hilfe am dringendsten benötigen, bittet die Caritas um Hinweise beim Kältetelefon ( 01/4804553). „Allein am Sonntag haben wir 256 Anrufe verzeichnet“, sagt Schwertner. Und er betont: „Im Zweifelsfall immer anrufen – lieber einmal zu oft anrufen als einmal zu wenig. Hinsehen statt Wegsehen lautet aktuell unsere Devise.“
Obdachlos: Die Angst vorm Monatsende und der eiskalten Delogierung
Das ist auch bei der Emmausgemeinschaft in St. Pölten zu spüren. „Die Nachfrage ist groß, die Notschlafstelle mit ihren 18 Plätzen ist voll ausgelastet“, sagt Sprecherin Stephanie Stadler. Dabei trieben schon im Oktober die ersten kalten Nächte etliche Obdachlose in die Einrichtung. „Wir sind in der Szene gut bekannt, viele kommen immer wieder zu uns“, so Stadler. Manche bleiben nur eine Nacht, manche auch länger.
Insgesamt bietet Emmaus drei Notschlafstellen: zum Auffangnetz für obdachlose Männer mit 18 Plätzen kommen noch die Jugend-Notschlafstelle Comepass für 14- bis 25-Jährige sowie die Frauen-Notschlafstelle. Generell steige der Bedarf, man müsse auch manchmal jemand abweisen, versuche dann aber immer, woanders einen Platz zu finden. Zusätzlich wird in den Tageszentren warmes Essen angeboten.
Winter in Wien
Dabei „flüchten“ viele Obdachlose aus Niederösterreich im Winter nach Wien. Was vor allem soziale Gründe hat. „Dort ist die Szene einfach größer“, erklärt Stadler. Und auch Angebote, wie etwa mit aufsuchender Sozialarbeit, gibt es in der Bundeshauptstadt mehr.
Aktiviert wurde im November auch wieder das Traiskirchner Kältetelefon (0681/10851116). „In der Einsatzzentrale der Samariter ist eine Winternotschlafstelle eingerichtet, in der neben einer warmen Schlafstelle auch heiße Suppe und Getränke angeboten werden. Das Telefon ist rund um die Uhr besetzt“, erklärt Stadtchef Andreas Babler. Der Bedarf in der Region ist allerdings überschaubar.
Im Westen Österreichs wiederum kommt verschärfend hinzu, dass es aufgrund der hohen Mieten auf dem freien Markt besonders schwer ist, leistbaren Wohnraum zu finden. Erst im Sommer haben Tiroler Sozialvereine „eine fehlende Wohnraumversorgung der öffentlichen Hand“ angeprangert.
Wie prekär die Lage ist, zeigt sich in der Notschlafstelle der landeseigenen Tiroler Soziale Dienste (TSD) in Innsbruck, die seit 2019 ganzjährig geöffnet ist.
Ganzjährige Nachfrage
Selbst in den Sommermonaten übernachten in der auf maximal 99 Personen ausgelegten Unterkunft an die 70 Menschen. Im Winter spitzt sich die Lage zu. „Wir sind ziemlich am Anschlag“, sagt TSD-Bereichsleiterin Andrea Cater-Sax. Auch sie registriert, dass „die Zahl an Anrufen am Kältetelefon raufgeht. Das Wichtigste ist, dass niemand erfriert.“
Obdachlose Frauen: Ein Leben auf der Straße ist ein Leben in Angst
Von Anfang November bis Ende April gibt es mit einer Notschlafstelle des Roten Kreuzes mit 20 Betten übrigens eine Erweiterung des Angebots in Innsbruck. Hier wiederholt sich, was sich bereits im vergangenen Winter gezeigt hat:
„Wir kommen immer wieder in die Situation, dass wir Menschen wegschicken müssen. Nicht immer gelingt es, einen Alternativplatz zu finden“, sagt Stefan Biebel, Leiter des Bereichs Gesundheit und soziale Dienste des Roten Kreuzes Innsbruck.
„Ist lebensgefährlich“
In Linz spricht Christian Gaiseder vom Verein B37, der die Notschlafstellen in Linz betreut, zwar von einer „Vorzeige-Situation“, was die Versorgung in der Stadt betrifft, die Zahlen sind aber durchaus hoch. 350 Personen werden aktuell täglich beherbergt, es gibt aber (noch) Reserven. Die regelmäßige Zählung in Linz ergibt seit Jahren, dass rund 50 Menschen tatsächlich auf den Straßen leben.
Gratwanderung in Linz ohne Dach über dem Kopf
Gaiseder: „Für sie ist es aktuell lebensgefährlich, deshalb suchen wir sie auch auf und versorgen sie mit Isomatten und wintertauglichen Schlafsäcken.“ Zusätzlich sei oft eine Ärztin dabei, das helfe, medizinische Notfälle rasch zu erkennen, und schaffe Vertrauen. Dass es aber auch Klienten gibt, die sich nicht helfen lassen wollen, muss er mit Bedauern zur Kenntnis nehmen: „Das ist dann eine Sache für Rettung und Polizei.“
In Salzburg wiederum stehen zwei Notschlafstellen zur Verfügung – 90 Plätze plus 20 ausschließlich für Frauen, sagt Thorsten Bichler von der Caritas Salzburg. Wobei Bichler lieber nicht mehr Notschlafstellen fordern will, sondern auf leistbares Wohnen pocht, damit Obdachlosigkeit nicht entstehe. Dass die Kälte die Situation jetzt verschärft, stellt er auch fest – in Salzburg ist zuletzt 2019 eine Person am Kapuzinerberg erfroren.
Abhilfe schafft auch die Initiative „Biwak“, die von der Diözese Salzburg unterstützt wird: Kirchenräume werden in der kalten Jahreszeit geöffnet. In der Nacht auf Montag suchten 30 Menschen plus fünf Kinder dort Zuflucht vor der Kälte.