Der Moment des rasenden, rothaarigen Bubens
Von Anja Kröll
Sehen Sie genau hin. Nicht auf das Thermometer, das uns tropische 37 Grad verspricht und mit jedem weiteren Grad das Gestöhne über das Wetter nach oben gehen lässt. Vergessen Sie für kurze Zeit sogar die furchteinflößenden Meldungen rund um die Delta-Variante, die uns im Herbst wohl wieder ein Stück zurückgewonnene Freiheit rauben wird.
Sehen Sie genau auf etwas anderes hin: die kleinen Momente. Die unscheinbaren, die im Getose des Großen meist ungeachtet vorüberstreichen.
Wie dieser: Neben dem Haus, in dem einst die Polizei in meinem Bergdorf untergebracht war – zu einer Zeit als die Polizei noch Gendarmerie hieß und nicht im Zuge der Polizeireform mit der Dienststelle im Nachbarort fusioniert wurde – steht seit einigen Tagen eine Geschwindigkeitstafel. In roten Ziffern leuchtet dort seither auf, wie schnell man fährt. So weit, so unsensationell.
Bis in meinem Rückspiegel auf dem Weg zur Arbeit der kleine, stämmige, rothaarige Bub mit den Sommersprossen auftauchte. Die erkannte man allerdings nicht, weil er einen Helm mit Visier trug, und obendrein Ellbogen- und Knieschützer. Auf seinem Rad raste er hinter mir her, als ob es kein Morgen gäbe. Bis zu der Tafel mit den roten Ziffern.
Dort ertönte ein lauter Freudenschrei hinter mir, und ich sah im Rückspiegel zwei Arme mit Ellbogenschützern als Zeichen des Triumphes blitzschnell in die Höhe schnellen.
Der persönliche Geschwindigkeitsrekord auf der Anzeigentafel war an diesem Morgen, in diesem Moment gefallen. Und ich musste lächeln. Freute mich, über einen dieser kleinen Momente.
Und hätte dabei fast die Wettervorhersage im Radio über die Hitze überhört.