Chronik/Österreich

„Dein Graz!“ aus der Schuhschachtel

Wer je das Glück hatte, in Karl Kubinzkys Sammlung stöbern zu dürfen, kam beim ersten Besuch aus dem Staunen nicht heraus. Der Professor hatte ein System, auf das nur ein Begriff passte: Chaos. Da quollen Schachteln über, in Regalen lag alles kreuz und quer -  und doch fand sich Kubinzky in seinem „Kabinett der Verunordnung“ zurecht.

Der Hauptplatz und das Rathaus

Allerdings behielt wohl nur er mühelos Überblick über gut 100.000 Postkarten und 30.000 Fotos, die Graz seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundertes zeigen.

Museum katalogisiert

Seit rund einem Jahr jedoch katalogisieren Mitarbeiter des Museum Joanneum die Sammlung Kubinzky: Der Historiker vermachte sie der Einrichtung testamentarisch und überlässt die Stücke bereits zu Lebzeiten dem Museum. „Der Notar, der das festgehalten hat, hat gesagt, er hat zum ersten Mal das Wort Schuhschachtel in einem Vertrag verwendet“, schmunzelt Kubinzky. Tatsächlich bewahrt Kubinzky seine Fotos und Ansichtskarten in Schuhkartons auf.

Der Jakominiplatz um 1870 versus 2020

Diese wurden (und werden noch) sukzessive vom Joanneum übernommen und aufgearbeitet. Eine Auswahl der Ansichten von Graz, unterfüttert auch mit Stadtplänen oder Autokennzeichen aus diversen Jahrzehnten, floss in eine Ausstellung im „Museum der Geschichte“ ein, die am Donnerstag eröffnet wird.

Der Landhaushof diente bis in die 1970er Jahre als Parkplatz

Das älteste Objekt stammt aus 1844, ein Gemälde, die älteste Fotografie aus 1875, es zeigt den Lendplatz. Der Großteil kommt aus der Zeit um 1900 und aufwärts, beschreibt Kuratorin Astrid Aschacher. Die schlicht „Dein Graz!“ genannte Ausstellung führt vom Stadtrand ins Zentrum und schließt somit alle 17 Bezirke der Landeshauptstadt ein, wobei einige die Außenbezirke bis 1938 eigenständige Gemeinden waren, Andritz im Norden etwa oder Liebenau im Süden.

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Kubinzky schlendert am Mittwoch mit Museumsvertretern und Journalisten durch die noch nicht ganz fertiggestellte Ausstellung und verrät dabei, wie er denn an so eine Menge an Objekten gekommen sei. „Man kauft, tauscht, erbt, kopiert. Man geht einfach viele Wege.“

Aus dem Ballon

Ein Weg führte den Grazer auch in die Luft: Als passionierter Ballonfahrer fotografierte Kubinzky Graz von oben und dokumentierte die Veränderung der Stadt über Jahrzehnte hinweg. In der Ausstellung sind auch einige dieser Aufnahmen zu sehen. Schon in früher Jugend habe er seine Sammelleidenschaft entwickelt, betont Kubinzky. Die Affinität zu Grazer Ansichten sei auch durch das Geschichte-Studium gekommen und durch seinen Studentenjob als Fremdenführer: „Ich sammle in Graz für Graz.“

Blick in die Annenstraße, links um 1920

Finanziell beziffern lässt sich so eine Sammlung nicht, doch ihr Wert ist unbezahlbar für Historiker oder Museen. Im Joanneum sei man glücklich, diese Sammlung übernehmen zu dürfen, betont Bettina Habsburg-Lothringen, Leiterin der Abteilung Kulturgeschichte. „Wir bieten Vollpension auf ewig für die Objekte und auch die Würdigung für Sammler, indem wir ihre Sammlung geschlossen erhalten.“

Um 1910 hieß der heutige Südtirolerplatz Murplatz

Zusätzlich würden rare Stücke erhalten. „Es geht auch um die Sicherung eines solchen Schatzes für die Nachwelt durch Institutionen wie unsere“, beschreibt Habsburg-Lothringen. „Sie werden länger da sein als wir alle zusammen.“