Chronik/Oberösterreich

Warten kann richtig schön sein

Diesmal fand ich die Idee aber gar nicht so cool. Und ich habe schon einige Zeit dafür gebraucht, bis ich daraufgekommen bin, was Omama damit sagen wollte. Sie hat einen wunderschönen Adventkalender gemacht. Sie hat aus alten Stoffresten bunte Sackerl genäht, sie von Nummer eins bis vierundzwanzig bestickt und an einer bunten Schnur befestigt. In jedem dieser Adventsackerl ist sicher etwas Gutes drin, dachte ich, und ich freute mich schon sehr auf die vielen kleinen Schätze.

Doch heute war ich ein bisserl überrascht. Eigentlich nicht ein bisserl, sondern schon sehr! Vor lauter Neugier habe ich nämlich nicht nur das erste Tascherl mit der Schokolade, sondern gleich auch das zweite aufgemacht, und was war da drin? Ein Faden! Ein ganz gewöhnlicher Wollfaden. Zum Stricken oder Häkeln zu wenig und nur um den Finger zu wickeln, dann doch zu viel. Im dritten Täschchen war dann ein Buchstabe drin, ein G, aber nicht aus Schokolade, sondern aus Holz. Im nächsten Täschchen war ein hölzernes D. Es folgten ein U, E, L und noch ein D. Soll das ein Christbaumschmuck sein, oder was?

Der Geduldsfaden

Da kam Omama lächelnd auf mich zu. „Hast du die Buchstaben schon zusammengestellt?“, hat sie mich gefragt. Hatte ich natürlich noch nicht. Herausgekommen ist dann das Wort „GEDULD“. Also hatte mich Omama wieder einmal durchschaut. Aber was hat es mit dem Faden auf sich? Omama lachte: „Der Faden ist der Geduldsfaden, den solltest du niemals reißen lassen. Alles hat seine Zeit – neugierig zu sein ist gut, aber auch Warten kann manchmal richtig schön sein.“

Christa Koinig ist die künstlerische Leiterin des Linzer Puppentheaters