Chronik/Oberösterreich

Von Adleraugen und Falkenschwingen

Als Chef-Falkner Juraj die Seeadlerdame Debby aus ihrer Voliere durch den großen Torbogen der historischen Burgmauern auf die Flugwiese trägt, weiß Falkner-„Lehrling“ Lennards Dackeldame Elli genau: ab unter die Überdachung im Burghof und „Platz“. Mit stolzer Haltung und wachem Blick sitzt der Vogel mit einer Flügelspannweite von bis zu 2,80 Metern auf der Faust des Falkners und hat alles im Blick. Auch den Dackel. „Der würde sich schon wehren, Dackel sind zäh“, schmunzelt Jungfalknerin Barbara. Aber Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Vor allem bei Wildtieren, wie es die Greifvögel sind, und ihrem potenziellen Futter.

Die Adlerwarte in Obernberg am Inn ist die einzige Falknerei Oberösterreichs und ist mit März in die erste richtige Saison gestartet. „Wir haben die Falknerei erst vergangenen Sommer übernommen und von Null auf aufgebaut“ erzählt Christine Derler, Geschäftsführerin der Adlerwarte. Die ehemalige Polizistin hat auf leisen Schwingen die doppelte Liebe gefunden: Sie heiratete Falkenflüsterer Christian Schweiger. Zwei Kinder später machte sie das Hobby zum Beruf.

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Christian und Juraj haben selbst schon Adleraugen, die erkennen Vögel am Himmel, die sehe ich noch nicht einmal“, erzählt Falknerin Barbara über ihre Chefs. Christian hat die Höhenmeter im Blut: Mit sieben Jahren hatte er zum ersten Mal einen Falken auf der Faust. Groß geworden neben einem kleinen Falkenhof in der Lobau, baute der 51-Jährige die Adlerwarte Kreuzenstein in Niederösterreich auf. „Ich bin mit dem Kleinen auf dem Schoß an der Kassa gesessen, wir haben damals mit vier Vögeln angefangen“, erinnert sich Christine. Daraus wurde in 25 Jahren eine erfolgreiche Flugshow inklusive internationaler Falkenzucht. 2018 folgte dann die Adlerwarte in Obernberg, auf der mittlerweile 37 Greifvögel immer wieder zum Falkner zurückkehren.

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Falkenflug

„Jeder Flug eines Greifvogels bei der Show ist für den Vogel quasi ein Jagdflug“, verwahrt sich Christine dem Vorwurf, Falknerei sei Käfighaltung. „Natürlich sitzen die Vögel in einer Voliere, aber Greifvögel fliegen in der freien Natur auch nicht den ganzen Tag spazieren, sondern nur aus drei Gründen: zur Nahrungssuche, Revierverteidigung und zur Paarung“. Bis zu fünfmal am Tag fliegen die Greifvögel in Obernberg. „Wenn der Vogel beschließt, hier geht es mir nicht gut, dann muss er nicht mehr zurückfliegen. Da ist es ihm auch egal, ob ich dann traurig bin oder ihn stundenlang suche. Greifvögel kann man nicht domestizieren“, weiß Christine.

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Dafür liefert Rotmilan-Dame Hilde während der Flugshow das Beispiel: Nach dem Federspiel, einer Beuteattrappe, die den Fasan in der freien Natur simuliert und die der Falke im Sturzflug zu fangen versucht, beschließt sie weiter Kreise zu ziehen, während nacheinander Steinadler, Kordillerenadler, Wüstenbussard, Kolkrabe und Truthahngeier zeigen, was sie können. Neben Größe, Gewicht, Flughöhe und Technik schätzen die Falkner die Tiere vor allem für ihre Charaktere: „Der Wüstenbussard ist sehr sozial und gesellig, das sind auch die einzigen Greifvögel, die in Familien auf die Jagd gehen. Der Uhu ist generell stur, den vergleiche ich gerne mit einem Esel“, erklärt Christine und lacht. „Und bei Steinadlern muss man aufpassen, die haben teils ein hohes Aggressionspotenzial.“ Ihr Lieblingsvogel ist der Gerfalke, „weil das hochintelligente Tiere sind, die merken sich alles“. Christian hat keinen Liebling unter seinen vielen Vögeln: „Wir trainieren alle gleich. Wenn Sie das nicht machen, dann ist das wie mit Kindern: Irgendwann haben Sie ein Problem“, sagt er lachend.

 

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Bei Greifvögeln spricht man auch nicht von Abrichten, sondern von „Abtragen, weil das ist keine Dressur“, erklärt Falknerin Barbara. „Die Schwingen sind die Flügel und der Schnabel ist der Beck. Beim Gewicht ist der Vogel entweder hoch oder tief und daran erkennt man auch, ob es ihm gut geht oder nicht, weil Schwäche zeigen die ansonsten keine.“ Die imposanteren Vögel sind oft die Weibchen, denn die Dame ist bei den Greifvögeln größer als das Männchen, das deshalb auch Terzel heißt, weil er im Schnitt um ein Drittel kleiner ist.

 

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Mehr als ein Hobby

Die Arbeit mit einem Greifvogel ist sehr zeitintensiv. Im Idealfall trägt ein Falkner einen jungen Vogel acht Stunden am Tag auf der Faust, um ihm zu zeigen: Ich bin nicht dein Feind. „Einem Greifvogel kann ich nicht wie einem Hund etwas befehlen. Ich muss eine Situation schaffen, in der er seiner Natur getreu handeln wird, ihn verführen und das mit Belohnung untermauern. Aber einen Falken zu etwas zwingen: unmöglich“, weiß Christian aus Erfahrung. Diese Kunst der „Falkenverführung“ geht auf eine mehr als 3000 Jahre alte Praxis in den Steppen Asiens hervor und hatte schlicht den Sinn, Fleisch auf den Speiseplan der Menschen zu bringen. „Natürlich ist die Jagdmethode heute nicht mehr notwendig, geblieben aber ist die Faszination, gemeinsam mit dem Greifvogel auf die Jagd zu gehen – die heutige Beizjagd“, erklärt Christine. „Auch bei uns waren früher in den mittelalterlichen Burgen die Greifvögel dem Adel und Klerus vorbehalten, heute ist eher die Mittelschicht der Falknerei zugetan“, so der Falkenflüsterer weiter.

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In der Zucht in Niederösterreich werden jährlich zwischen 60 und 100 kleine Falken geboren, die großteils in den arabischen Raum exportiert werden. „Dort ist die Falknerei eine sehr wichtige Tradition, das ist fast eine Glaubensfrage und jeder, der etwas auf sich hält, hat einen Falken. Und die Vögel sind keine Haustiere, sondern Familienmitglied und Statussymbol“, weiß Christine, die sich mehrmals davon überzeugt hat, wie ihre Falken in den Vereinten Arabischen Emiraten und Nachbarländern leben. Den Stellenwert der Falknerei sehen beide in Österreich geringer, aber auf Grund des wachsenden Wunsches der Menschen nach Natur als im Steigen begriffen. Auch die UNESCO hat 2006 die älteste Jagdform der Welt anerkannt und die Falknerei als immaterielles Weltkulturerbe klassifiziert.

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Sonnenuntergang

Um Riesenseeadler Ivan die Show zu stehlen, beschließt Rotmilan-Dame Hilde kurz vor Ende der Flugshow, dass sie jetzt lange genug ihre Kreise gezogen hat. Mit einem Kontaktschrei verlangt sie, auf der Faust des Falkners zu landen, im Falkner-Jargon „beireiten“. Sobald alle Vögel zurück in den Volieren sind, beginnt wieder die Wache von Dackeldame Elli, die nun ihrerseits ein wachsames Auge auf die Vögel hat.