ÖVP-Politikerin Jachs: „Nein zu sagen, fällt manchmal sehr schwer“
Als das Parlament nach seiner Sanierung wieder die Pforten öffnete, war das für Johanna Jachs „auch ganz persönlich ein historischer Moment“, wie sie erzählt. Denn die 31-jährige ÖVP-Mandatarin aus Freistadt ist nicht die erste aus ihrer Familie, die in den Abgeordnetenreihen im Sitzungssaal Platz genommen hat. Ihr Vater Christian Jachs war nicht nur Bürgermeister in Freistadt, sondern auch Bundesrat. Der Ururgroßvater saß in der Zeit der Monarchie im Reichsrat.
Johanna Jachs schaffte bei der Wahl 2017 über ein gutes Vorzugsstimmen-Ergebnis den Sprung in den Nationalrat – und sieht sich seither als ein „Sprachrohr“ und „Bindeglied“ zwischen ihrer Heimat, dem Mühlviertel, und der Bundespolitik in Wien. Mit dem KURIER hat sie über die Politik-Skepsis ihrer Landsleute (Details Seite 3), fehlende Kinderbetreuung und Qualitätsmängel bei der oberösterreichischen Polizei gesprochen.
KURIER: Sie wollen den Menschen in Ihrer Heimat vermitteln, dass Wien gar nicht so weit weg ist. In kaum einem Bundesland ist die Skepsis gegenüber der Bundespolitik aber so stark ausgeprägt wie in Oberösterreich. Sieht ganz so aus, als hätten Sie noch einiges an Arbeit vor sich.
Johanna Jachs: Ich bin viel in meinem Bezirk unterwegs und da sehe ich tagtäglich, dass das Bedürfnis der Menschen nach Gesprächen mit uns Politikern extrem groß ist. Das Problem ist, dass immer mehr über Social Media kommuniziert wird. Das greift aber zu kurz – und eignet sich für manche Themen nicht. Da ist die persönliche Präsenz wichtiger. Genau das zeigt für mich auch die Umfrage. Sie ist ein Auftrag für mich und meine Partei, noch mehr bei den Menschen zu sein.
Worüber beklagen sich die Menschen bei Ihnen im persönlichen Gespräch?
Die unsicheren Zeiten – von Corona bis zum Krieg und zur Teuerung – sind für viele ein Thema. Oft sind es aber auch die scheinbar kleinen Dinge: Mehr Geld für die Feuerwehr. Mehr Posten für die Polizei im Bezirk. Oder die Antwort einer Behörde, auf die man wartet und die einfach nicht kommt. Die Gespräche finden ja auch anders statt, als man sich das denkt. Nicht am Rande von Parteiveranstaltungen, sondern im Wartezimmer beim Arzt oder im Supermarkt. Die Menschen haben da zum Glück keine Scheu.
Können Sie diese Wünsche dann erfüllen?
Der vorrangige Wunsch besteht oft nur darin, einmal von einer Politikerin gehört zu werden und drüber reden zu können. Bei manchen Dingen kann ich natürlich nicht helfen. Nein zu sagen, fällt einer Politikerin, die wieder gewählt werden will, manchmal natürlich schwer. Aber es ist wichtig. Ein „Nein“ kann verstanden werden und schafft mehr Klarheit, als Dinge in Aussicht zu stellen, die man sicher nicht einhalten kann. Das ist unfair gegenüber den Menschen.
Wie erklären Sie den Menschen das, was sie zuletzt in diversen ÖVP-Chats lesen konnten?
Ich habe die Chats nicht geschrieben. Und viele davon sind selbsterklärend. Es ist so unglücklich, dass ich gar nichts dazu sagen will. Mein Selbstverständnis als Politikerin ist ein anderes.
Was muss sich in der Bundespolitik ändern, um das Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen?
Die Menschen vertrauen der Kommunalpolitik auch deshalb so sehr, weil dort die Parteipolitik weniger Gewicht hat. Das wünsche ich mir auch für den Bund. Dort kommt derzeit die Parteipolitik vor der Sachpolitik. Sobald in der Öffentlichkeit vor Kameras diskutiert wird, sind alle Ideen der anderen nur noch „schlecht“ oder „ein Wahnsinn“. Das ist falsch.
Dieser Appell richtet sich an alle Parteien?
Ja, da nehme ich meine eigene nicht aus.
Corona hat in Oberösterreich tiefe Spuren hinterlassen – gesellschaftlich und politisch. Die Impfquoten waren schlecht, die MFG hat es sogar in den Landtag geschafft. Haben Sie eine Erklärung, warum der Oberösterreicher so widerständig ist?
Die Mühlviertler haben ab und zu einen Dickschädel – im positiven Sinn gemeint. Sie sind kritisch und direkt. Aber eine allgemeine Erklärung habe ich nicht. Ich merke, dass es Gräben gibt, die fortbestehen. Während der Lockdowns ist es uns augenscheinlich nicht gelungen, Menschen zu vermitteln, warum die Maßnahmen wichtig waren.
Was braucht es genau, damit die Versöhnung gelingen kann, die Bundeskanzler Karl Nehammer nun aktiv betreiben will?
Ich bleibe dabei: Es braucht das persönliche Gespräch. In der digitalen Welt ist kein ordentlicher Diskurs möglich. Jeder ist in seiner Blase unterwegs, da wird nur noch die eigene Meinung hingerotzt.
Kann mit Menschen, die zu Herbert Kickls Hetze in Ried applaudieren, eine Versöhnung gelingen?
Wir müssen miteinander reden. Danach lebe ich. Meine persönliche Geschichte ist bekannt: Ich habe ein Kind mit einem FPÖ-Politiker, meine beste Freundin sitzt für die Grünen im Freistädter Gemeinderat, mein engster Freundeskreis teilt nicht meine politische Überzeugung.
Wäre die FPÖ noch ein tauglicher Koalitionspartner für die ÖVP?
Die FPÖ ist eine demokratisch legitimierte Partei. Es kommt auf die handelnden Personen an. Herbert Kickl hat sich mehrfach im Ton vergriffen, über ihn müsste man sich sicher Gedanken machen.
Mit den Grünen tun Sie sich leichter?
Die Zusammenarbeit funktioniert gut. Es ist uns trotz Krisen gelungen, auch in anderen Bereichen vieles weiterzubringen. Wir haben etwa die kalte Progression abgeschafft. Darüber haben Regierungen der vergangenen Jahrzehnte nur gesprochen, wir haben es getan.
Sie setzen sich stark für das Thema Sicherheit ein. Die oberösterreichische Polizei hat sich zuletzt mehrere schwerwiegende Fehler erlaubt – etwa im Fall Kellermayr, rund um den Mord an einer Prostituierten oder als man den Notruf einer Frau nicht ernst nahm, die von ihrem Ex-Partner kurz darauf attackiert wurde.
Sie haben unter anderem zwei Femizide angesprochen – ein gesellschaftliches Problem, für das die Polizei nichts kann. Die Polizei arbeitet sehr gut, auch in Oberösterreich.
Wenn man eine junge Frau abweist, die den Notruf wählt, dann ist das „gute Arbeit“?
Nein, das ist keine gute Arbeit. In diesem konkreten Fall haben Sie recht, das muss evaluiert werden. Gott sei Dank ist das nicht der Regelfall. Wir müssen Frauen ermutigen, sich Hilfe zu holen – und wenn sie sich Hilfe holen, dann müssen wir sie ernst nehmen. Gleiches gilt für Missbrauchsopfer.
Blicken wir noch in Ihren Wahlkreis: Welche Themen nehmen Sie von dort mit nach Wien mit?
Klar ist, dass viele Dinge am Land ganz anders wahrgenommen werden als in Wien. Wir haben keine U-Bahn – sondern sind froh, wenn der Bus ein Mal in der Stunde fährt. Das Thema Verkehr ist daher auch ein ganz zentrales für uns im Bezirk, insbesondere der Ausbau der S10, die jetzt weitergebaut wird. Da ist der Lückenschluss zur Grenze wichtig. Die Tschechen werden in ein paar Jahren an der Grenze sein und bei uns fehlen dann noch fünf Kilometer. Das ist – gelinde gesagt – eine unglückliche Situation. Ein zweites Thema, das für mich sehr wichtig ist, ist eine bedarfsorientierte, flächendeckende, flexible Kinderbetreuung in den Gemeinden.
Lässt sich das finanzieren? Die Gemeinden stöhnen unter hohen Ausgaben, sie bräuchten mehr Geld vom Bund.
Wir haben ja auch Geld zur Verfügung gestellt. Das Land hat es sich auch zum Ziel gesetzt, zum „Kinderland“ zu werden – ich gehe also davon aus, dass auch da die entsprechenden Mittel geben wird. Unsere Bürgermeisterinnen und Bürgermeister im Bezirk sind bei dem Thema Kinderbetreuung jetzt schon sehr bemüht. Aber klar, es gibt noch Luft nach oben.
Woher rührt der erhöhte Bedarf?
Das liegt daran, dass die Arbeit näher zu den Menschen in ländlichen Regionen gekommen ist. Es gibt bei uns viele Betriebsansiedlungen und somit Jobs vor Ort. Da können und wollen Frauen auch mehr arbeiten. Das muss man unterstützen – und zwar mit flexiblen Kinderbetreuungsmodellen, nicht nur mit solchen von 7.30 bis 11.30 Uhr. Es gibt viele Tätigkeiten, die am Nachmittag oder sogar in der Nacht verrichtet werden, etwa in der Gastro. Dafür wird man sich Lösungen einfallen lassen müssen. Da bin ich ein bisschen eine Visionärin.
Soll Kinderbetreuung für alle kostenlos sein?
In den Kernzeiten muss die Kinderbetreuung gratis sein. Wenn es um Randzeiten oder Sonderlösungen geht, muss man über Kosten reden und eventuell über eine soziale Staffelung nachdenken.
Bürgermeister oberösterreichischer Städte bemängeln parteiübergreifend, dass Land und Bund beim Finanzausgleich gerne auf die Gemeinden vergessen.
Die Gespräche zum Finanzausgleich laufen. Ich bin sicher, dass man die Gemeinden dementsprechend berücksichtigt.
Ihr Vater war Bürgermeister in Freistadt. Hat Sie das angespornt, selbst in die Politik zu gehen? Oder hat er Sie davor gewarnt?
Politik war immer wichtig bei uns. Mein Opa, also der Vater meiner Mutter, war in der SPÖ aktiv – der Papa in der ÖVP. Da habe ich früh mitbekommen, dass es um die Menschen geht, nicht um die Ideologie. Mein Papa war dann aber schon überrascht, als ich zur Jungen ÖVP gegangen bin. „Tust du dir das an?“, hat er damals schon gefragt. Aber er hat mich immer unterstützt.