Wöginger: "Die Inflation muss abgegolten werden"
Von Josef Ertl
August Wöginger ist seit 2017 Obmann des parlamentarischen Klubs der ÖVP, Bundesobmann der Arbeitnehmerorganisation ÖAAB und Bezirksparteiobmann von Schärding. Seit 20 Jahren gehört er dem Nationalrat an. Der 47-Jährige wohnt mit seiner Familie in Sigharting (Bez Schärding).
KURIER: Die Lohn- und Gehaltsrunden starten. Jede Arbeitnehmerin, jeder Arbeitnehmer will die neunprozentige Inflation abgegolten haben, damit sie/er keine Reallohnverluste erleidet. Eine gerechtfertigte Forderung?
August Wöginger: Natürlich. Es ist wichtig, dass sie abgegolten wird. Die Inflation ist der Faktor, um der das Leben teurer wird. Das muss man abbilden. Die Bundesregierung hat es ermöglicht, dass die Unternehmen Mitarbeiterprämien steuerfrei auszahlen können. Bis zu 3.000 Euro für das heurige und auch für das nächste Jahr. Hier können die Kollektivvertragspartner zusätzliche Vereinbarungen treffen. Die Mitarbeiter sollen an den Gewinnen des Unternehmens beteiligt werden. Diese Prämie ist in Wahrheit die Ausformung der Mitarbeiterbeteiligung, die der ÖAAB vor über zehn Jahren ins Spiel gebracht hat. Deshalb ist sie steuer- und abgabenbefreit.
Identifizieren Sie sich mit der Gewerkschaftsforderung nach einem Mindestlohn von 2.000 Euro?
Das ist Angelegenheit der Kollektivvertragspartner. Ich kann mich noch an deren Einigung 2017 auf 1.500 Euro erinnern. Das wurde in einem Generalkollektivvertrag festgehalten und ist mittlerweile überall umgesetzt. Es ist nicht gut, wenn sich hier der Gesetzgeber einmischt.
Derzeit machen viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer viele Überstunden. Ich habe vorgeschlagen, dass nicht nur zehn, sondern 20 Überstunden steuerbegünstigt werden. Mit einem Wert von 200 Euro pro Monat und nicht wie bisher von 86 Euro.
Die Bundesregierung hat eine Reihe von Maßnahmen zur Abschwächung der explodierenden Energiekosten und der Inflation beschlossen. Eine Kritik entzündet sich daran, dass dabei nach dem Gießkannenprinzip und nicht nach dem Prinzip der Entlastung der Schwächeren vorgegangen wird.
Wir haben ein Mischsystem. Es gibt Maßnahmen, bei denen wir rasch zur Auszahlung kommen wollen, wie beim Klima- und Antiteuerungsbonus von 500 Euro und die zusätzliche Kinder- und Familienbeihilfe. Sie gehen in die Breite der Bevölkerung. Denn die Teuerung trifft alle. Es gibt aber auch Maßnahmen wie die 600 Euro für Mindestsicherungsbezieher, für Arbeitslose, und Mindestpensionisten. Eine Mindestpensionistin bekommt im heurigen Jahr mit allen Maßnahmen zusätzlich 2.000 Euro netto. Das sind zwei zusätzliche Pensionen. Jetzt erhalten die Pensionisten, die zwischen 1.100 und 1.800 Euro Bruttopension haben, abgestuft rund 500 Euro. Der Energiegutschein von 150 Euro ist an Einkommensgrenzen (Höchstbeitragsgrundlage zur Sozialversicherung) gekoppelt.
Wer schnell helfen will, muss in die Breite gehen. Wenn man zu differenzieren beginnt, muss man mit Anträgen arbeiten, und dann wird es kompliziert.
Die Forderung nach Erhöhung des amtlichen Kilometergeldes ist angesichts der hohen Benzin- und Dieselpreise zweifellos gerechtfertigt.
Natürlich. Es gibt neben dem Kilometergeld noch die Diätensätze für Arbeitnehmer, die man anpassen muss. Wir haben das auf der Agenda. Wir haben für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sehr viel Positives geschaffen, auch durch die Steuerentlastung. Der Steuersatz wurde von 35 auf 30 Prozent gesenkt, im nächsten Jahr wird er von 42 auf 40 Prozent gesenkt. Davon profitiert der Mittelstand stark. Die größte Errungenschaft wird nun im Herbst beschlossen: die Abschaffung der kalten Progression. Familienbeihilfen, Kinderbetreuungsgeld, Studienbeihilfen werden automatisch valorisiert.
Staatssekretärin Claudia Plakolm fordert in der Diskussion um die Pensionserhöhung Generationengerechtigkeit ein.
Wir sind hier mitten in den Gesprächen.
Es ist von 5,8 Prozent Erhöhung die Rede. Die Differenz zur neunprozentigen Inflation ist doch erheblich.
Der Wert errechnet sich innerhalb eines Jahres von Juli bis Juli. Wir müssen hier die Maßnahmen mit einrechnen, die alle schon gesetzt worden sind. Jetzt wird die Strompreisbremse umgesetzt. Für 80 Prozent des Durchschnittsverbrauchs garantieren wir den derzeitigen Strompreis.Die Forderung des SPÖ-Pensionistenverbandes von zehn Prozent für alle halte ich für maßlos überzogen. Die Inflation muss abgegolten werden. Wenn die Metaller eine Lohnerhöhung von 6,3 Prozent für Aktive fordern und die roten Pensionisten wollen zehn Prozent, dann stimmt das nicht zusammen.
Maßgebliche ÖVP-Politiker fordern Reformen im Pensionssystem. Ingrid Korosec plädiert für einen stufenweisen Übergang von der Arbeit in den Ruhestand, Landeshauptmann a. D. Josef Pühringer möchte, dass die Pensionsbeiträge für jene wegfallen, die über das Pensionsalter hinaus arbeiten. Warum greift die ÖVP das Pensionsthema nicht auf?
Wir haben das Pensionssystem immer wieder adaptiert. Ich erinnere an die Altersteilzeitregelungen, die gut funktionieren. Wir ermöglichen damit ein langsames Ausgleiten aus dem Erwerbsleben. Zum Zweiten haben wir durch die Korridorpension ein Bonus-Malus-System geschaffen. Wenn man gesund ist und arbeiten kann, ist das Ziel, bis zum gesetzlichen Pensionsalter (60 bei Frauen, 65 bei Männern) zu arbeiten.
Der Vorschlag Pühringers ist richtig. Es macht keinen Sinn, Pensionsbeiträge zu bezahlen, wenn man über das gesetzliche Pensionsalter hinaus arbeitet. Das Thema steht auf unserer Agenda und ist aktuell. Wir wollen es in die Diskussion einbringen.
Manche Experten haben schon seit Längerem vor der Inflation gewarnt. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat sehr spät reagiert. Die Inflation bedeutet Wohlstandsverlust für alle, die Schwächeren werden noch stärker getroffen. Reagiert die EZB nicht zu spät?
Die Zinspolitik der EZB ist sicherlich hinterfragungswürdig. Sie wird in Expertenkreisen viel diskutiert. Meine Interpretation ist, dass man lange mit der Zinserhöhung zugewartet hat, damit die südeuropäischen Länder aufgrund ihres Verschuldungsgrades nicht in größere Schwierigkeiten kommen. Jetzt haben wir eine Inflation, die so hoch ist, dass man sie mit den Zinserhöhungen nicht aufholt. Es ist insgesamt ein Verlust.
Wir müssen nun aufpassen, dass wir mit unseren Maßnahmen die Inflation nicht noch befeuern. Viele Preise haben wir nicht in der Hand. Wir fordern, dass der Strompreis vom Gaspreis entkoppelt wird. Wir haben nun die Strompreisbremse umgesetzt. Das kann aber kein Dauerzustand sein. Wir müssen die Inflation wieder runterbringen. Eine Studie zeigt, dass Österreich nach Luxemburg das zweitbeste EU-Land bei den Unterstützungsmaßnahmen für die Menschen ist.
Sie sind nun 20 Jahre Abgeordneter zum Nationalrat. Was hat sich verändert?
Wir regieren nun auf der Bundesebene seit 30 Jahren. Auch in den meisten Bundesländern und in vielen Gemeinden. Die vergangenen zweieinhalb Jahre sind eine Ausnahmesituation. Wir haben die Pandemie, Inflation, Krieg in Europa, Situationen, die wir so noch nicht hatten. Die Politik ist gefordert rasch Maßnahmen zu setzen. Da kann man nicht alles richtig machen. Aber wir haben uns bemüht, die Dinge im Sinne der Menschen umzusetzen. Das ist eine riesige Herausforderung für die regierenden Parteien. Gefragt wäre ein Schulterschluss aller Parteien, damit man Dinge gemeinsam macht. Wenn wir den hätten, würden die Maßnahmen von der Bevölkerung ganz anders aufgenommen und mitgetragen.
Ihr Aufstieg zum Klubobmann ist verbunden mit dem Aufstieg von Sebastian Kurz zum Bundeskanzler. Sie gehören zum engeren Führungskreis. Was ist bei Kurz schiefgelaufen?
Man kann in der Politik nie sagen, wie lange man Funktionen ausübt. Es werden persönliche Entscheidungen getroffen, ob man in der Politik verbleibt oder nicht. Ich habe mit allen sechs Parteiobleuten gut zusammengearbeitet. Sebastian hat die Partei wieder an die Spitze gebracht. Ich habe mit ihm exzellent zusammengearbeitet. das ist jetzt auch mit Karl Nehammer der Fall. Ich bin mit ihm seit vielen Jahren äußerst gut befreundet. Es ist unsere Verantwortung in der ÖVP, dass wir dieses Land gut durch die Krisensituation bringen.
Die ÖVP liegt in den Umfragen mit 23 Prozent deutlich hinter dem Wahlergebnis von 37 Prozent, die SPÖ ist wieder die Nummer eins. Was sind die Ursachen?
Umfragen sind wie Parfum, man soll daran schnuppern, aber nicht davon trinken. Ich habe in der ÖVP schon viel erlebt. Wir haben jetzt die zweite Halbzeit begonnen, wir wollen sie fertigspielen. Wir sind mit den Grünen ideologisch nicht immer auf einer Wellenlänge, aber die Bilanz dieser Regierung kann sich mehr als sehen lassen. Das mit zwei Parteien, die ziemlich unterschiedliche Grundansätze haben. Wenn die Konstellation mit Pamela Rendi-Wagner und Karl Nehammer als Spitzenkandidaten so bleibt, dann ist diese Frage für viele Menschen offen. Wer die Sommergespräche gesehen hat, dem ist klar, wer das Rennen macht. Auch für viele, die nicht Stammwähler der ÖVP sind.