Flüchtlingsbub ist zu alt für Schule
Von Stefan Sailer
Anfang September war für rund 460.000 Schüler im Osten Österreichs wieder Schulbeginn. Auch Hassan (Name von der Redaktion geändert) durfte nach seiner wochenlangen Flucht aus Syrien wieder in einem Klassenzimmer in der Polytechnischen Schule in Korneuburg, NÖ, sitzen. Die Integration war offenbar rasch erfolgreich. "Anfangs habe ich ihn alleine sitzen lassen, doch schon nach der ersten Pause war er inmitten der anderen", erzählt Direktorin Helena Fuchs-Moser.
"Ich habe nur einzelne Wörter verstanden, das hat nicht so viel Spaß gemacht", erzählt Hassan. Vom Basketball- oder Handballspielen im Turnunterricht war er umso mehr begeistert. "Das hat mir gefallen."
Doch kaum hatte das Schuljahr für ihn begonnen, war es auch schon wieder vorbei. Nach nur zehn Tagen bekam die Direktorin Post vom Landesschulrat. Die Mitteilung: Nach einer Untersuchung im Zuge des Asylverfahrens wurde bei Hassan im Juni ein Handwurzelröntgen durchgeführt. Das Ergebnis: Der Bursche ist nicht wie in seinem Reisepass angegeben 14 Jahre, sondern bereits zwei Jahre älter. Die Folge: Hassan ist nicht mehr im schulpflichtigen Alter und muss daher laut Gesetz von der Schule umgehend abgemeldet werden.
Verwunderung
Der Umstand löste sowohl in der Schule als auch im Landesjugendheim, wo Hassan seit Februar als einer von sechs unbegleiteten Minderjährigen betreut wird, Verwunderung aus. Für die pädagogische Leiterin Andrea Bereuter ist es unverständlich, dass der nunmehr 16-Jährige vom Unterricht abgemeldet wurde: "Die Schule hat eine integrative Wirkung und Hassan bekam dadurch eine geordnete Tagesstruktur." Nun müsse er den Vormittag mehr oder weniger allein verbringen.
Die Heim-Direktorin Susanne Sellner fordert hingegen eine schnelle Lösung: "Man muss eine Form finden, wie man mit solchen Fällen umgeht." Denn bereits Anfang des Jahres habe es zwei Fälle gegeben, bei denen minderjährige Asylwerber älter eingestuft und daraufhin von der Schule abgemeldet wurden. Hassan selbst meint dazu nur: "Das ist mein Geburtsdatum, ich kann gerne Urkunden vorlegen."
Von Medizinern wird das Handwurzelröntgen zur Bestimmung des Alters schon länger kritisiert. Für Siroos Mirzaei, Nuklearmediziner von Amnesty International, handelt es sich dabei "eher um Altersschätzung als um eine fundierte Überprüfung des Alters" (siehe unten). In Deutschland spreche sich hingegen sogar die Ärztekammer dagegen aus.
Als letztes Mittel
Laut Innenministerium habe sich die Methode in den letzten Jahren bewährt. Grundsätzlich werden Altersdiagnosen erst als letztes Mittel angeordnet, wenn es dem Asylwerber nicht gelingt, sein Alter mit Urkunden nachzuweisen. Wenn die Ermittlungs- oder Diagnoseergebnisse nicht eindeutig sind, ist von der Richtigkeit der Angaben des Asylwerbers auszugehen. "Im Zweifelsfall wird der Asylwerber hier also geschützt", sagt Sprecher Alexander Marakovits.
Kritik von Ärzten gebe es zwar immer wieder, jedoch würde die Untersuchung den Kriterien der Arbeitsgemeinschaft für Forensische Altersdiagnostik entsprechen.
Anstatt in die Schule zu gehen, wird Hassan nun im Landesjugendheim betreut. Mehrmals pro Woche bekommt er Deutschunterricht oder Staatsbürgerkunde. Aufgeben kennt der Bursch jedoch nicht. Sein Traumberuf ist Tischler. "Trotzdem will ich vorerst meine Ausbildung abschließen und gut Deutsch lernen. Denn das ist der Schlüssel für alles."
Siroos Mirzaei ist Nuklearmediziner bei Amnesty International und Abteilungsvorstand im Wilhelminenspital. Seine Meinung zur Altersdiagnose mittels Handwurzelröntgen ist seit jeher kritisch.
Wie funktioniert die Methode?
Siroos Mirzaei:„Anhand des Alters der Knochen kann grundsätzlich eine Aussage über die Entwicklung der Person getroffen werden. Bei Wachstumsstörungen von Kindern etwa kann das Verfahren eine Diagnose über die weitere Entwicklung geben. Dafür ist es gedacht und sinnvoll. Für eine Bestimmung des Alters ist die Methode jedoch nicht geeignet.“
Warum nicht?
Die Daten sind immer auf eine Normalpopulation genormt. Für Personen aus den Flüchtlingsgebieten gibt es jedoch keine validen Befunde als Vergleichsmaterial. Und die Leute in Europa können nicht mit jenen im Nahen Osten verglichen werden. Zudem besteht bei dem Verfahren eine Schwankungsbreite von bis zu zwei Jahren. Für mich ist das eher Altersschätzung als eine fundierte Überprüfung des Alters.
Wurden die Schwächen der Methode bereits aufgezeigt?
Wir haben im Rahmen von Amnesty International die Methode schon mehrmals beanstandet, bisher jedoch ohne jegliche Reaktion. Aus meiner Sicht könnte genauso gut ein Psychologe anhand des Verhaltens ein Alter der Flüchtlinge festlegen. Das wären die Ergebnisse nicht viel schlechter und man erspart sich viel Geld.
Wie wird Handwurzelröntgen in anderen Ländern beurteilt?
Es gibt zwar Studien aus Deutschland, aber dort wird das Verfahren nach einer öffentlichen Aufregung nicht mehr angewendet. Vor allem von der Ärztekammer und der wissenschaftlichen Gesellschaft kam diesbezüglich heftige Kritik.