Chronik/Niederösterreich

Fall Kirchstetten: Rätsel um Arznei und fehlende Dokumentation

Am 14. November 2017 betraten Ermittler des Landeskriminalamtes NÖ und ein Gerichtsmediziner den Ortsfriedhof in Stössing in Niederösterreich. Sie exhumierten den Leichnam von Aloisia M., die eineinhalb Jahre zuvor nach schwerer Krankheit im Pflegeheim Clementinum in Kirchstetten im Bezirk St. Pölten verstorben war. Nur ein paar Tage später wiederholte sich der Vorgang am Baumgartner Friedhof in Wien. Dort wurden die sterblichen Überreste von Maria P. freigelegt. In beiden Fällen stand ein schrecklicher Verdacht im Raum: Kamen die betagten Heimbewohnerinnen etwa gewaltsam ums Leben? Jetzt liegen erste Ergebnisse vor. Sie machen den Kriminalfall noch mysteriöser.

Die Exhumierungen wurden im Zuge jenes Falles angeordnet, der das ganze Land schockte . Fünf Pfleger sollen Patienten des Pflegeheimes Kirchstetten monatelang gequält, erniedrigt und missbraucht haben. Die Beschuldigten bestreiten die Vorwürfe vehement, zwei Jahre nach ihrer Entlassung und der Einvernahme durch Polizei und Staatsanwaltschaft liegt noch immer keine Anklage vor.

Bis diese fertig ist, könnte es allerdings noch dauern. Denn die Ergebnisse der gerichtlichen Obduktion von Aloisia M. und Maria P. werfen einige neue, durchaus brisante Fragen auf. So wurde bei chemischen Untersuchungen von Haar- und Fingernagelproben der Arzneistoff Furosemid festgestellt, der die Wasserausscheidung fördert.

Im Fall von Aloisia M. formuliert es der Gutachter so: „Die blutdrucksenkende und damit den Kreislauf schwächende Wirkung eines entwässernden Medikaments kann den Todeseintritt (...) erheblich begünstigt haben“, schreibt der Experte in einem dem KURIER vorliegendem Gutachten. Warum der betagten Frau dieser Wirkstoff verabreicht wurde sei unklar, „zumal dieses Präparat Aloisia M. jedenfalls in den Monaten vor dem Todeseintritt nicht verordnet worden war“.

Die Staatsanwaltschaft St. Pölten und die Kripo wollen diese Frage unbedingt beantwortet wissen, sind dabei jedoch auf einen mysteriösen Umstand gestoßen. Die Pflegeberichte enden genau 17 Tage vor dem Tod der damals 93-jährigen Heimbewohnerin, es gibt keine ärztlichen Aufzeichnungen mehr. Ebenso im Fall von Maria P., der auch Furosemid verabreicht wurde, kritisiert der Gutachter, dass die medizinische Dokumentation aus dem Pflegeheim „äußerst spärlich“ gewesen sei.

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Vorwürfe des Anwalts

„Ich frage mich, wer hier etwas zu verbergen hat?“, sagt der St. Pöltener Rechtsanwalt Stefan Gloß, der vier der fünf beschuldigten Pflegekräfte vertritt. „Meine Mandanten haben nichts zu verbergen und können auch keine Aufzeichnungen verschwinden haben lassen, weil sie sofort nach dem Aufkommen der Vorwürfe entlassen wurden.“ Christina Pinggera, Leiterin der Kommunikation im Haus der Barmherzigkeit, das als Träger-Gesellschaft fungiert, weist darauf hin, dass Furosemid vor allem auch in der Altenbetreuung ein durchaus gängiges Medikament sei, aber: „Auch uns beschäftigt die Frage der fehlenden Dokumentation sehr. Wir sind derzeit intern damit beschäftigt, dieser intensiv nachzugehen.“

Der Kriminalfall Kirchstetten wird also Polizei, Staatsanwaltschaft und auch die Heimführung noch länger fordern.

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