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Wenn Lehrkräfte das Klassenzimmer mit dem Büro tauschen

Sieben Lehrerinnen und ein Lehrer haben sich am 1. September wohl so gefühlt, wie viele Kinder an ihrem ersten Schultag. Nur, dass auf sie keine neuen Mitschüler und kein neues Klassenzimmer warteten, sondern neue Kollegen und ein neues Büro.

Möglich macht dieses Jahr in einem Wirtschaftsunternehmen das Projekt Seitenwechsel. Die Idee: Pädagoginnen und Pädagogen wechseln für ein Jahr in Betriebe, um die dortige Arbeitswelt kennenzulernen (siehe Infobox unten).

Eine der Lehrerinnen, die die Chance ergriffen hat, ist Bianca Frantz (Bild oben rechts mit ), die zur Raiffeisen Bank International gefunden hat – die andere ist Selina Lakatos, die sich beim Telekomunternehmen A1 neuen Herausforderungen stellt. Warum sie diesen Schritt gewagt hat, erklärt Lakatos so: „Ich wollte nie eine Lehrerin sein, die 40 Jahre an einer Schule unterrichtet und dort 40 Jahre lang das gleiche Programm herunterspult. Mein Ziel ist es, einen lebendigen Unterricht zu machen und den Jugendlichen vermitteln, offen zu sein. Dabei bin ich nur glaubwürdig, wenn ich selber offen bin und viel erlebt habe.“

Und sie hat schon einiges erlebt: Sie unterrichtete nicht nur Deutsch und Französisch an einer Handelsakademie, sondern auch für zwei Jahre in Frankreich.

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Ihren Schülerinnen und Schülern etwas aus der Praxis erzählen zu können, hat auch Bianca Frantz motiviert, sich bei dem Projekt zu bewerben: „Es kommen immer mehr Fragen zu wirtschaftlichen Themen“, sagt die AHS-Professorin für Geografie und Wirtschaftskunde an der Liese-Prokop-Privatschule in Maria Enzersdorf, NÖ: „Wie sieht ein Gehaltszettel aus? Was ist Inflation? Was hat Wirtschaft mit mir zu tun?“ seien solche Fragen.

Auch wenn es um Themen wie Berufsorientierung geht, helfe der Ausflug in die freie Wirtschaft: „Sicher, man kann sich vieles in einem Buch aneignen, doch wenn man selber den Arbeitsalltag erlebt hat, kann man das ganz anders und authentischer vermitteln“, meint Frantz.

Flexibler und weniger vorhersehbar

Dieser Arbeitsalltag ist jedenfalls ein ganz anderer, wie Frantz und Lakatos feststellen: „Da sind zum einen die Kollegen – in der Schule hat man ja vor allem mit jungen Menschen zu tun –, und zum anderen die Arbeitszeiten“, sagt Frantz. Und Lakatos ergänzt: „In der Schule weiß ich im Normalfall, was die nächsten Wochen bringen, weil ich meinen fixen Stundenplan habe. In meinen neuen Job werden Termine oft viel kurzfristiger angesetzt und der Alltag ist weniger vorhersehbar.“ Zudem empfindet sie die Hierarchien als flacher: „Hier sind alle per Du und meine Meinung und meine Expertise sind gefragt. In der Schule ist man doch eher einem engen Rahmen unterworfen, weil vieles einheitlich sein muss.“

Expertise der Pädagoginnen

Diese Expertise ist es unter anderem, auf die Nikolaus Somogyi (Bild ganz oben rechts) setzt, der bei Raiffeisen Bank International die Industrie-Agenden betreut. „Wir sind gerade dabei, ein internes Fortbildungsprogramm aufzubauen – da können wir von pädagogischem Wissen sicher profitieren.“

Das wird aber nicht die einzige Aufgabe von Bianca Frantz sein: Sie wird Reinhard Huber, der für das Unternehmen die Kunden in der Baubranche betreut, unterstützen. „Wenn sie ein ganzes Jahr mitarbeitet, dann bekommt sie einen besseren Einblick in die Arbeit und kann so mehr mitnehmen“, sagt Somogyi, der übrigens nicht lange überlegen musste, ob Raiffeisen die Initiative Seitenwechsel fördern will: „Man kann nicht nur immer reden, sondern muss auch tun. Wir wollen ja die Wirtschaft in die Gesellschaft, also auch in die Schulen, bringen.“

Kontakte knüpfen

Auch für Fred Mahringer, Personalchef bei A1, hat das Projekt eine Grundlogik – aus mehreren Gründen: „In der Schule sitzen unsere zukünftigen Bewerberinnen und Bewerber, zu denen wir Kontakte knüpfen wollen.“ Denn derzeit gebe es einen wahren Kampf um die besten Köpfe – besonders im Bereich Informationstechnologie und Produktiosmanagement sucht das Unternehmen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

„Selina Lakatos hat täglich Kontakt zu jungen Menschen und weiß am ehesten, was sie beschäftigt und wie man sich als Unternehmen positionieren muss, um als Arbeitgeber produktiv zu sein“, erläutert der Personalchef.

Es gehe aber auch darum, Praxis in die Schulen zu bringen, wie Mahringer anhand einer Anekdote erzählt: „Meine Tochter durchläuft derzeit in der Schule eine Projektmanagement-Ausbildung. Die ist aber so altmodisch und so weit weg von der Praxis, dass man ihr die Lust daran genommen hat. Dabei ist das ein spannendes Thema. Wenn man eine gute Verbindung zwischen Praxis und Schule zusammenbekommen würde, wäre es auch für die Jungen extrem spannend.“

Seitenwechsel
Die Initiative entstand mithilfe der MEGA Bildungsstiftung und sucht Lehrkräfte, die für ein Jahr in  ein Unternehmen wechseln. Das darauffolgende Jahr dient zum Transfer der Erfahrungen an die jeweilige Schule. Die Lehrkräfte erhalten begleitende Supervision

Das Prozedere
Seitenwechsel sichtet die Bewerbungsunterlagen und  stellt sie Unternehmen vor. Bei beidseitigem Interesse gibt es Kennenlerngespräche im  Unternehmen

Bewerbungen  
für Lehrkräfte sind ab 1. Oktober via seitenwechsel.at möglich