12-Stunden-Tag: Wie viel Arbeit ist gesund?
Wie viel Arbeit können wir leisten, ohne dass es uns krank macht? Mit dieser Frage beschäftigen sich Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen seit Jahrzehnten, eine einfache Antwort darauf gibt es allein wegen der Vielfalt an Arbeitsfeldern nicht. Unabhängig von Branche und Tätigkeit konnte aber mehrfach gezeigt werden, dass nach acht bis neun Arbeitsstunden Gesundheitsrisiken sowie Fehlerhäufigkeit ansteigen, erklärt Erich Pospischil, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Arbeitsmedizin: „Nach etwa acht Stunden beginnt eine höhere Belastung, das Leistungsvermögen ist reduziert. Ab der neunten Stunde tritt ein erhebliches Unfallrisiko auf, nicht nur am Arbeitsplatz, sondern auch am Weg nachhause.“
Wer länger arbeitet, leistet nicht mehr – ohne angemessene Erholungsphasen kommt es sogar zu einer geringeren Leistung, da Fehler und Übermüdung zunehmen. Aus Sicht des Arbeitspsychologen Wolfgang Kallus von der Universität Graz sei es zwar möglich, auch zwölf Stunden an einem Tag zu arbeiten – aber nur, wenn ausreichend Pausen eingelegt werden und die Arbeits- und Erholungszeiten zum individuellen Lebensrhythmus passen. „Wichtig ist, dass man Regenerationszeiten hat. Wenn ich länger arbeite, brauche ich auch längere Pausen – und zwar bezahlte Pausen“, sagt Kallus. Dieser Aspekt sei in der aktuellen Diskussion um den 12-StundenTag jedoch nicht thematisiert worden.
4-Tage-Blöcke belasten
Obwohl in der Pausenzeit Arbeitszeit verloren geht, leisten Menschen, die Pausen machen, mehr als jene, die das nicht tun. Werden Pausen nicht vorgegeben, würden Übermüdungsanzeichen aber oft übergangen. Kallus: „Man merkt die eigene Erschöpfung oft zu spät.“ Viel zu oft werde die Freizeit für einen Zweitjob genutzt, oder es müssen private Verpflichtungen erfüllt werden, sodass echte Erholung zu kurz kommt.
Erholung brauchen auch jene, die jetzt schon freiwillig mehr als acht Stunden pro Tag arbeiten. Wer etwa pendelt und deshalb seine 38,5 Wochenstunden an vier oder künftig möglicherweise dreieinhalb Tagen hintereinander abarbeitet, sei laut Arbeitsmediziner Pospischil erheblich mehr belastet, als wenn zwischendurch ein Ruhetag eingelegt wird. Die meisten Pendler wollen ihre Arbeitszeit allerdings in einem Block absolvieren, um mehr Freizeit am Stück zu haben. „Das zieht natürlich nicht unbedingt gleich Erkrankungen nach sich. Die Belastung ist aber größer. Man wird kaum ein ganzes Arbeitsleben mit so einer Vier-Tage-Woche durchbringen können, ohne psychische oder körperliche Beschwerden“, sagt Pospischil. Das betrifft vor allem Ältere, während Jüngere eine höhere tägliche Arbeitszeit über einen gewissen Zeitraum eher tolerieren.
Untersuchungen aus der Schichtarbeit zeigen: Wird über längere Zeit mehr als acht Stunden pro Tag gearbeitet, kann das gesundheitliche Probleme nach sich ziehen. Bei 48 Wochenstunden und mehr ohne entsprechende Erholung treten etwa gehäuft Magen-Darm-Beschwerden, Rückenschmerzen, Stress und Schilddrüsenerkrankungen auf. Bei 55 Arbeitsstunden pro Woche steigt das Risiko für einen Schlaganfall deutlich an. „Gleichzeitig ist bekannt, dass in Europa Vorhofflimmern zunimmt, was wiederum eine Ursache für Schlaganfall ist. Das sind schon Befunde, die bei der Gestaltung der Arbeitszeit berücksichtigt werden sollten.“
Körper und Geist betroffen
Ein finnisch-schwedisches Wissenschaftlerkollektiv hat die gesundheitlichen Schäden belegt, die durch zu lange Arbeitszeiten entstehen. So zeigte sich, dass das Risiko für Vorhofflimmern bei jenen, die zehn Jahre lang 55 Stunden oder mehr pro Woche arbeiteten, um 40 Prozent erhöht war. Andere Forscher fanden heraus, dass Schichtarbeit sich auch auf Schmerzempfinden und Erziehungsverhalten auswirken: In Tests der Donau-Uni Krems empfand etwa Pflegepersonal nach einer Nachtschicht einen Schmerzreiz fast um ein Drittel stärker als sonst. Berliner Forscher fanden heraus: Eltern mit familienunfreundlichen Arbeitszeiten sind strenger und schimpfen öfter ihre Kinder.
Private Verpflichtungen
Ein Rolle dabei, ob Arbeit krank macht, spielen auch private Verpflichtungen, meint Arbeitspsychologe Kallus: „Man spricht von ,Life-domain-balance‘ (Anm.: eine Weiterentwicklung des Begriffs Work-life-Balance), das heißt die verschiedenen Lebensbereiche müssen sich ausbalancieren. Wer Probleme in der Familie hat oder seine Eltern pflegen muss, hat eine andere Haltung zu seiner Arbeitszeit als jemand, der seine Woche individuell gestalten kann.“ Ein Beispiel dafür ist die Einführung des langen Einkaufssamstags im Jahr 1989. Trotz anfänglicher Ablehnung wurden bei Verkäufern positive Auswirkungen festgestellt, wenn sie ihre Dienste frei wählen konnten. „Es geht um die Gestaltungsmöglichkeiten für das eigene Leben. Wer kleine Kinder hat, profitiert vielleicht von einem Samstagsdienst, da er dann unter der Woche flexibler ist. Wenn Menschen bei der Gestaltung der Arbeitszeit mitwirken können, ist die Länge der Arbeitseinheit nicht entscheidend“, meint Kallus.
Eine Flexibilisierung der Arbeitszeit, wie sie derzeit geplant ist, dürfe laut Kallus sowohl von Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer nicht missbraucht werden: „Ähnlich wie im Sport kann es auch bei der Arbeit zu Trainingseffekten kommen und mit entsprechenden Pausen ist auch mehr Arbeit möglich. Wenn ich aber plötzlich 50 Prozent mehr arbeiten muss und nicht darauf vorbereitet bin, geht irgendwann die Luft aus.“