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Internet als Hilfe bei der Therapie

Nach außen hin funktioniert meist alles perfekt, die Fassade stimmt. Doch im Inneren sieht es bei Bulimie-Kranken ganz anders aus: Heimliche Essanfälle, danach Scham- und Schuldgefühle. Entsprechend groß ist auch die Hemmschwelle, professionelle Hilfe anzunehmen – nur wenige der rund 200.000 Österreicherinnen, die einmal in ihrem Leben an einer Essstörung erkranken, suchen eine psychiatrische Einrichtung auf. In Holland etwa sind es nur sechs Prozent.

Schon lange wird deshalb diskutiert, ob eine „geleitete Selbsthilfe im Internet“ eine Überbrückung bis zu oder gar Alternative zu herkömmlicher Psychotherapie („Face-to-Face“) sein könnte. In einer Studie der MedUni Wien / AKH Wien (Uni-Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie) konnte das jetzt für die Ess-Brech-Sucht erstmals nachgewiesen werden. Die Arbeit ist in einem der renommiertesten Medizin-Journale – dem British Journal of Psychiatry – erschienen. Und es ist eine der ersten wissenschaftlich hochwertigen Studien generell zur Bedeutung des Internets für neue Therapieansätze.

Bei einer solchen Therapieform mit Internethilfe steigt die Patientin nach einem Erstkontakt mit ihrem Therapeuten in das Online-Programm ein, sagt die Hauptautorin der Studie, MedUni-Wien-Psychologin Gudrun Wagner. „Sie führt dort ein Tagebuch über ihr Essverhalten und notiert, in welchen Situationen es zu den Ess-Anfällen und zum Erbrechen kommt.“ In insgesamt sieben Stufen (siehe Grafik) soll versucht werden, das Verhalten zu ändern. „Einmal in der Woche hat die Patientin per eMail-Kontakt mit ihrem Therapeuten, der sie motiviert, sie begleitet und ihr Tipps gibt“, so Wagner.

An 155 Bulimie-Patientinnen wurde die Wirksamkeit dieser angeleiteten Selbsthilfe im Internet untersucht und mit einem etablierten Selbsthilfebuch („Die Bulimie besiegen“) – auch hier gab es eMail-Kontakt zum Therapeuten – verglichen. Die Patientinnen wurden per Zufall („randomisiert“) einer der Gruppen zugeordnet.

Bei beiden Therapien waren nach sieben Monaten die Hälfte der Patientinnen entweder gesund, oder die Symptome hatten sich zumindest so stark reduziert, dass sie nicht mehr die Kriterien einer Bulimie erfüllten (mindestens zwei Essanfälle pro Woche und gegensteuernde Maßnahmen wie Erbrechen, Abführmittel).

Nach 18 Monaten fielen sogar knapp 60 Prozent der Patientinnen mit Internet-unterstützter Therapie in die Gruppe derer, die gesund waren oder sich deutlich gebessert hatten. Wagner: „Dieses Ergebnis ist auch vergleichbar mit den Erfolgsraten einer herkömmlichen Psychotherapie mit regelmäßigem persönlichem Kontakt zum Therapeuten“ – die übrigens jede zweite aus der Internet-Gruppe auch im Anschluss an das Programm durchführte.

Motivation erhalten

Wagner: „Die Wartezeiten auf essstörungsspezifische kassenfinanzierte Psychotherapie-Plätze betragen bis zu einem Jahr. Wir wissen aus anderen Studien, dass gerade Essstörungspatienten, die nicht gleich eine Therapie erhalten, die Motivation verlieren und vielleicht gar nicht mehr in eine Behandlung kommen. Hier könnten solche Programme eine große Bedeutung haben.“ – „Die Studienteilnehmer hatten schwere Erkrankungsformen mit durchschnittlich einem Essanfall am Tag. Dass die Hälfte davon bereits nach wenigen Monaten symptomfrei war oder die Zahl der Essanfälle mehr als halbiert hatte, ist beeindruckend“, sagt Andreas Karwautz, Leiter der Ambulanz für Essstörungen für Kinder und Jugendliche, MedUni Wien. In Holland werden die Kosten solcher Internet-gestützten Therapien bereits von den Kassen übernommen. „Auch in Deutschland ist dies punktuell der Fall, wenn große Zentren solche Therapien anbieten.“

Wünschenswert wäre ein solches Angebot auch in Österreich, so Karwautz: „Für viele Patienten – besonders auch in ländlichen Regionen, wo es wenige Therapeuten gibt – wäre das eine große Hilfe. Das ist die Zukunft.“

www.ess-stoerung.eu

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