Recycling, Re-Use, Urban Mining: So werden aus alten Gebäude neue
Von Angelika Groß
Recycling
Wenn man in der Bauwirtschaft von Recycling spricht, ist damit die Wiederverwendbarkeit von Baumaterialien gemeint. Damit das überhaupt möglich ist, muss bereits beim Bau darauf geachtet werden und beim Abtragen eines Gebäudes „sortenrein“ getrennt werden. Worauf es dabei vor allem ankommt, weiß Astrid Scharnhorst vom österreichischen Institut für Bauen und Ökologie: „Wichtig sind reine Baustoffe ohne Klebeverbindungen oder Beimischungen. So lässt sich beim Abbau alles wieder leichter voneinander trennen.“
Schadstofffreies Arbeiten
Und noch etwas ist wichtig: Schadstofffreies Arbeiten. „Ein Recyclingprodukt soll schließlich keine Giftstoffe, wie zum Beispiel Asbest, mitführen.“ Gerade Wärmedämmungen in Form von Styropor werden meist mit Klebemörtel auf der Hausmauer angebracht. „Das ist dann mehr oder weniger reiner Sonderabfall“, erklärt Martin Car vom österreichischen Baustoff-Recycling-Verband. Er rät deshalb, „mit möglichst wenigen Baustoffen zu arbeiten. Je weniger unterschiedliche Stoffe, je weniger Chemikalien und je weniger Verbundbaustoffe, umso eher können Materialien wieder verwertet werden.“
Nachhaltiger Rückbau
Erst wenn im Zuge eines nachhaltigen Rückbaus alle relevanten Schadstoffe entfernt wurden, können aus den Bauresten wieder hochwertige Baustoffe werden. Zum Beispiel recycelter Hochbauziegelsand oder Zusätze für Beton und Asphalt.
Eine gesetzliche Regelung für den Umgang mit Bau- und Abbruchabfällen gibt es in Österreich übrigens erst seit 2016. Sie regelt Abfalltrennung, Herstellung und Verwendung von Recycling-Baustoffen. Der European Green Deal schreibt vor, dass bis 2050 achtzig Prozent eines Gebäudes , das jetzt gebaut wird, recycelbar sein muss. In Zukunft wird es also bereits bei der Planung unerlässlich sein, das Thema Sortenreinheit mitzudenken.
Recycelter Hochbauziegelsand- und Ziegelsplitt mit Betonanteil
Re-Use
Re-Use geht noch einen Schritt weiter in Richtung ökologisch nachhaltiges Bauen: Ganze Teile von Häusern, die ihr Lebensende erreicht haben, werden bei Bedarf gereinigt und weiterverwendet. Bekanntestes Beispiel: „Man trägt gut erhaltene Dachziegel ab und deckt damit ein anderes Haus ein“, erklärt Martin Car.
Weiterverwendung von Bauteilen
Katharina Kothmiller und Peter Nageler vom Architekturbüro ’nonconform’ in Wien erklären, worauf es beim Re-Use ankommt: „ Um Elemente aus einem abgerissenen Gebäude komplett weiterzuverwenden, braucht es robuste und qualitätsvolle Materialien. Die beiden Architekten arbeiten mit den ’Materialnomaden’ zusammen, die sich auf die Vermittlung solcher Bauteile spezialisiert haben. „Wenn ein Gebäude abgerissen wird, bauen sie beispielsweise den Parkettboden aus und bieten diesen dann wieder zum Verkauf an.“
Gebrauchter Parkettboden
Im ’magdas’ Hotel in Wien kann man einen gebrauchten Fußboden aus Eiche und Buche begehen. „Wir haben den Stabparkett ausgebaut und gereinigt und dann neu kombiniert wieder eingebaut“, beschreibt ’Materialnomade’ Andreas Kessler den Prozess. Der doppelte Mehrwert: Re-Use ist nicht nur nachhaltig, sondern auch ästhetisch.
So schön kann Re-Use sein: Ein gebrauchter Parkettboden neu verlegt im 'magdas' Hotel in Wien
Flexibilität
„Modulares Bauen“ nennt Martin Car vom österreichischen Baustoff-Recycling-Verband Gebäude, bei denen schon in der aktuellen Nutzung die spätere Nachnutzung mitbedacht wird. Katharina Kothmiller vom ’nonconform’ Architekturbüro führt aus: „ Man muss Gebäude so robust bauen und die Abmessungen so berechnen, dass viele verschiedene Nutzungen möglich sind.“
Flexible Grundrisse
Ein wichtiger Punkt dabei: „ Eine flexible Grundrissgestaltung erleichtert die spätere Umnutzung eines Gebäudes entscheidend – etwa vom Büro- zum Wohnobjekt.“ Auch die Raumhöhe spielt dabei eine wichtige Rolle. Es gilt: „Je höher die Räume, desto mehr Möglichkeiten hat man bei der neuen
Nutzung des gesamten Gebäudes“, erklärt Katharina Kothmiller.
Einfamilienhaus des Architekturbüros ’Heimspiel Architektur' komplett mit Holz verkleidet
Urban Mining
Uns gehen primäre Rohstoffe wie Kupfer, Sand und Kies aus“, warnt Thomas Romm, Architekt und Gründer der Initiative „Baukarussel“. Sein Team hat es sich daher zur Aufgabe gemacht, wertvolle und selten gewordene Rohstoffe aus Abrisshäusern zu retten und wieder auf den Markt zu bringen. Mit dem Geld aus dem Verkauf der Rohstoffe werden jene Arbeitskräfte bezahlt, die das Haus in Handarbeit abtragen.
Die Stadt als Bergwerk
Unter „Urban Mining“ versteht Romm „das Verwerten der urbanen Lager“. Die Stadt als Bergwerk also. Ein Modell, das nicht nur Ressourcen schont, sondern auch die Müllmassen reduziert. Denn durch Gebäudeabrisse fallen in Österreich jährlich über zehn Millionen Tonnen Abfall an. Im besten Fall werden Rohstoffe wie Aluminium, Kupfer, Betonplatten oder eben auch Elemente des Innenausbaus wie zum Beispiel Parkettböden oder Fliesen direkt vor Ort getrennt. „Je früher die Bauherren mit diesem Prozess beginnen, desto einfacher die Logistik“, empfiehlt Romm.
Die Demontage recycelbarer Materialien vor dem Abbruch der Gebäude „Village im Dritten“, von Baukarussel
Alternative Lehm
Ein Baustoff für die Ewigkeit
„Mehr als ein Drittel der Menschheit lebt in Lehmhäusern“, erklärt der Vorarlberger Architekt Martin Rauch, Geschäftsführer der Lehm Ton Erde Baukunst GmbH. Und trotzdem „gilt Lehm in unseren Breitengraden, vor allem Stampflehm, immer noch als ‘Armeleutebaustoff’. Darüber kann Rauch nur den Kopf schütteln, denn: „Im Grunde genommen ist es ein großartiges und vielfältiges Material und einer der wichtigsten Baustoffe der Welt.“
Stampflehm
Wenn Rauch von Stampflehm spricht, meint er „eine krümelige, erdfeuchte Lehmmasse, die in Schichten in die Schalung geschüttet und durch Stampfen verdichtet wird.“ Der Vorteil: „Dadurch können wir fünfzig bis hundert Prozent der Aushubmaterialien, die sonst auf der Deponie landen würden, verwenden“, erklärt Rauch. Denn, das in der Natur häufig vorkommende Gemisch aus Lehm, Sand und Schotter eignet sich für diese Bauart am besten.
Hybridbauweise
Und wie lassen sich ganze Häuser mit Stampflehm bauen? Rauch empfiehlt eine Hybridbauweise. Also zum Beispiel Holz und Lehm miteinander zu kombinieren. Holz hat eine gute Tragkonstruktion und Isolation und Lehm hat viel Gewicht und wirkt zugleich feuchtigskeits- und klimaregulierend. „So lassen sich bis zu sechsgeschossige Häuser mit Lehm bauen.“ Zu den zahlreichen Lehmbauten, die Rauch mit seinen Mitarbeitern – übrigens stets eigenhändig – errichtet, zählen daher neben Einfamilienhäusern, Gewerbehallen und Schulen auch Kirchen Hotels und Bürogebäude.
Prototyp-Charakter
Trotz der zahlreichen gesundheitlichen und klimafreundlichen Aspekte hat das Bauen mit Lehm derzeit noch Prototyp-Charakter. „Viele sehen das Problem darin, dass Lehm wasserlöslich ist. Dabei ist das die größte Tugend“, so der Architekt. Rauch spielt damit auf die einfache Reparaturfähigkeit des Materials an. „Wenn gehärteter Lehm mit ausreichend Wasser bearbeitet wird, wird die durch das Trocknen entstandene Festigkeit wieder aufgehoben und das Material wird wieder plastisch und formbar.“
Baumaterial mit Zukunft
So gesehen ist Lehm das einzige Baumaterial, das unbeschränkt und ohne Qualitätseinbußen wieder verwendet werden kann. Lehmpionier Rauch ist von der Zukunft des Lehmbaus überzeugt, weil er gesünder für Mensch und Umwelt ist. „Er sorgt für ein besseres Wohnklima, weil er feuchtigkeits- und klimaregulierend ist.“ Einen großen Vorteil gegenüber anderen Baumaterialien hat er definitiv: Er ist zu hundert Prozent recycelbar. Denn alle Bauteile lassen sich einfach voneinander trennen, weil sie garantiert nicht chemisch miteinander verbunden sind.
Auch ein Projekt von Lehm Erde Ton: Der Alnatura Campus in Darmstadt mit Stampflehmfassaden