Wirtschaft

EuGH stoppt skandalöse Abgas-Tricksereien

Die europäische Autoindustrie dürfte vor einer der größten Rückrufaktionen von Fahrzeugen stehen. Denn mehr als fünf Jahre nach Platzen des Diesel-Abgasskandals hat der Europäische Gerichtshof (EUGH) für betroffene Fahrzeugbesitzer ein richtungsweisendes Grundsatzurteil gefällt.

Laut EuGH sind die in den Fahrzeugen zum Beispiel von VW (EA189) eingebauten Abgas-Abschalteinrichtungen zur Verbesserung der Abgaswerte bei Zulassungstests verboten. Das heißt: Die Emissionsgrenzwerte müssen von den Fahrzeugen nicht nur auf dem Prüfstand, sondern auch unter normalen Nutzungsbedingungen eingehalten werden.

"Menschenschutz vor Motorschutz"

„Das ist ein sehr guter Tag für die betroffenen Fahrzeugbesitzer und es ist Rückenwind für unsere 16 Sammelklagen“, sagt Thomas Hirmke, Chefjurist des Vereins für Konsumenteninformation (VKI) zum KURIER. „Das schaut nicht gut aus für VW.“

„Der EuGH hat klargestellt, dass Menschenschutz vor Motorschutz geht“, sagt Anwalt Michael Poduschka zum KURIER. „Rechtlich bedeutet das, dass diese Abschalteinrichtungen, die höchstwahrscheinlich nahezu alle Fahrzeuge-Hersteller bis September 2015 verbaut haben, rechtswidrig sind.“

Motor verschmutzt

Die Automobilbranche habe bisher argumentiert, dass die Abgasabschalteinrichtung eingebaut werde, weil ansonsten der Motor verschmutzt. Das würde eine rechtliche Ausnahme darstellen. Dem widerspricht der EuGH vehement.

Das Vorhandensein einer Abgas-Abschalteinrichtung kann nur dann als Ausnahme gerechtfertigt werden, „wenn der Motor vor plötzlichen und außergewöhnlichen Schäden geschützt werden muss, die zu einer konkreten Gefahr während des Betriebs des Fahrzeugs führen“. Nicht unter die Ausnahme fällt eine Abschalteinrichtung, „die den Verschleiß und die Verschmutzung des Fahrzeugs verhindert“.

„Das Urteil könnte VW noch schwer auf den Kopf fallen und so richtig teuer werden“, sagt Hirmke. Allein in Österreich sind 388.000 Fahrzeuge aus dem VW-Konzern betroffen. Aber das Problem betrifft auch andere Autobauer. Allein Anwalt Poduschka bearbeitet rund 600 Fälle, geklagt werden neben VW und Audi Mercedes, BMW, Renault, Fiat (Jeep) und Opel.

Auch sie sollen solche Abschalteinrichtungen eingebaut haben, was bestritten wird. So sind diese vor allem als „Thermofenster“ bekannt. Das heißt, dass die Autosoftware die Abgasreinigung etwa bei weniger als 15 Grad Celsius abschaltet und das Fahrzeug monatelang im Schmutzmodus fährt. Denn die Durchschnittstemperatur betrug 2019 in Österreich 8,5 Grad, heuer lag sie neun Monate unter 15 Grad. Die Thermofenster sind laut dem EuGH-Urteil unzulässig, weil sie nur der Minderung des Verschleißes dienen.

30 Jahre Zeit

Indes erhalten deutsche Diesel-Besitzer, die schon 2015 wussten, dass ihr Auto vom VW-Abgasskandal betroffen ist, aber erst 2019 geklagt haben, keinen Schadenersatz von VW. Das hat der Bundesgerichtshof entschieden. Die Ansprüche sind nach drei Jahren verjährt. In Österreich haben Gerichte entschieden, dass es sich beim Abgasskandal um eine arglistige Täuschung handelt. Letztere verjährt erst nach 30 Jahren.