Der große Börsencrash bleibt aus – vorläufig
Der in der Nacht von Montag auf Dienstag die Eskalation der Ukrainekrise verfolgte, musste fast zwangsläufig annehmen, dass dies die Finanzmärkte kräftig durcheinanderwirbeln würde. Schließlich standen die Börsen schon die vergangenen Wochen wegen der verbalen Zuspitzung des Konflikts unter Strom. Und so litten gestern die ersten Handelsstunden tatsächlich darunter. Die Börsen in Europa eröffneten mit bis zu drei Prozent im Minus, in Moskau waren es sogar elf Prozent.
Doch schon am Vormittag wandelte sich das Bild, sodass bis am Nachmittag die Indizes die Verluste großteils wieder wettgemacht hatten. Mit Eröffnung der US-Börsen, die weniger von möglichen Sanktionen betroffen sind, verstärkte sich dieses Bild. So gingen der Frankfurter DAX mit 0,26 Prozent im Minus, der Züricher SMI 0,4 Prozent im Plus, der Pariser CAC mit Minus 0,01 und der Londoner FTSE je 0,13 Prozent. Nur Wien hinkte wieder einmal wegen der Ostlastigkeit des Marktes mit einem minus von 1,7 Prozent hinterher.
Die beiden Schwergewichte RBI und Erste Group zogen als größte Verlierer mit 7,4 bzw. 4,1 Prozent den Index nach unten.
Sogar das russische Börsenbarometer RTS machte seine Verluste von zeitweise fast elf Prozent ein gutes Stück wett. Zuletzt ging es an der Börse in Moskau noch um knapp 1,6 Prozent abwärts. Damit summierten sich die Verluste binnen vier Handelstagen aber immer noch auf mehr als ein Fünftel. Der Rubel baute seine Verluste gegenüber Euro und Dollar aus und erreichte zwischenzeitlich den tiefsten Stand seit März 2020.
Sichere Häfen
Bei sicheren Staatsanleihen zeigte sich ein konträres Bild zu den westlichen Aktienmärkten. Zunächst waren sie sehr gefragt, später gaben sie ihre Gewinne wieder ab. Ein ähnliches Bild gab es bei Rohstoffen. Der sichere Hafen Gold verlor leicht, der Ölpreis legte zunächst fast auf 100 Dollar je Fass zu, ehe er wieder auf knapp 97 Dollar zurückfiel. Der höchst spekulative Bitcoin wiederum konnte 1,4 Prozent zulegen.
Rätselraten
Der nicht eingetroffene Absturz der Kurse verursachte Rätselraten. „Was weiß der Finanzmarkt, was wir nicht wissen?“, fragt sich etwa Peter Brezinschek, Chefanalyst der Raiffeisen Bank International (RBI). Selbst die Zinsdiskussionen der jüngsten Zeit hätten mehr Verunsicherung gebracht. Viele Investoren dürften auf Schnäppchenjagd gegangen sein und vor allem über Hebelprodukte wie Optionsscheine die anfangs tieferen Kurse zum Kauf genutzt haben. Geholfen habe auch ein überraschend starker ifo-Index.
Das deutsche Konjunkturbarometer wies vor allem für die aktuelle Lage als auch die Erwartungen sehr gute Ergebnisse aus.
Brezinschek bleibt trotzdem skeptisch. „Wir stehen erst am Beginn der Eskalation. Die Investoren sind naiv und blauäugig.“ Portfoliomanager Christoph Schmidt vom Vermögensverwalter DWS ergänzt: „An den Kapitalmärkten wird der weitere Eskalationsschritt in der Ukraine-Krise eingepreist, aber sicher noch nicht eine das ganze Land umfassende Invasion.“