Wirtschaft

AK und Mietervereinigung warnen vor Delogierungswelle

Arbeiterkammer (AK) und Mietervereinigung wollen Hunderttausende Mieter in Österreich vor drohenden zusätzlichen Belastungen bewahren. Trotz Auslaufen der Corona-Mietstundungen Ende März sollten die Bewohner vor Kündigungen oder Delogierungen bewahrt werden, hieß es am Mittwoch in einem Online-Pressegespräch. Außerdem sollte die im April wie alle zwei Jahre anstehende Erhöhung der Richtwertmieten - um diesmal rund drei Prozent - ausgesetzt werden.

Die bisher gestundeten Mieten für April, Mai und Juni 2020 seien gemeinsam mit der April-Miete fällig - das sei für viele Menschen bei einer halben Million Arbeitslosen und noch einmal fast so vielen Kurzarbeitenden schwer leistbar, meinte der Leiter der AK-Abteilung Kommunalpolitik und Wohnen, Thomas Ritt. Es könnte heuer um 20 Prozent mehr Mietzinsrückstände geben, und die Zahl der Delogierungen könnte sich 2021 sogar verdoppeln, warnte er.

Corona-Kündigungsschutz verschiebt das Problem nur

Für die gestundeten Mieten von April bis Juni 2020 gibt es einen besonderen Corona-Kündigungsschutz, hieß es aus dem Justizministerium zur APA: Der Mietvertrag kann allein wegen dieses Mietzinsrückstandes bis Ende Juni 2022 nicht gekündigt werden, daher drohen wegen dieser Mietzinsrückstände derzeit keine Delogierungen, auch wenn die gestundeten Mieten jetzt nicht auf einmal bezahlt werden können.

Zudem besteht, für alle Mieter, derzeit ein spezieller Corona-Delogierungsschutz bei finanziellen Problemen: Bis Juni 2021 kann ein Corona-Räumungsaufschub beantragt werden - die Räumung kann drei bis sechs Monate aufgeschoben werden. Das ergibt sich aus dem 2. Covid-19-Justizbegleitgesetz in Verbindung mit § 35 Mietrechtsgesetz (MRG).

Es sei gut gewesen, die Kündigungsmöglichkeiten auszusetzen und die Mieten für das zweite Quartal 2020 zu stunden - "das hat das Problem aber nur aufgeschoben", meinte auch der Präsident der Mietervereinigung Österreichs, Georg Niedermühlbichler. Deshalb habe man bereits vor acht Monaten einen "Sicher-Wohnen-Fonds" gefordert, dotiert mit zumindest 100 Mio. Euro, der Vermietern die Mietausfälle ersetzen sollte. Die Regierung habe viele Hilfsmaßnahmen für die Wirtschaft angekündigt, sie sollte aber auch die Mieter unterstützen, damit diese ihre Wohnung nicht verlieren.

Seitens der Wiener Mietervereinigung wies deren Vorsitzende Elke Hanel-Torsch darauf hin, dass möglicherweise 50.000 Haushalte früher oder später mit Räumungsklagen oder Delogierungen konfrontiert sein könnten. Schon vor der Coronakrise seien 380.000 Haushalte mit ihren Wohnkosten überlastet gewesen, da sie mehr als 40 Prozent ihres Einkommens für Wohnen aufwenden mussten. In Wien ist der Mietwohnungsanteil mit 80 Prozent besonders hoch.

Richtwertmieten werden erhöht

Die Richtwertmieten-Erhöhung per April sollte ausgesetzt werden, forderten AK und Mietvereinigung. Betreffen würde die Erhöhung bundesweit rund 750.000 Mieter, davon 580.000 in Wien. Das würde nochmals ein Loch ins Geldbörsel reißen, warnte Niedermühlbichler. Für eine 80-m2-Wohnung in einem Altbau in Wien käme es dadurch zu Mehrkosten von 185 Euro im Jahr, sagte der Mietervereinigungs-Präsident, in der Steiermark von 250 Euro, in Vorarlberg zu über 280 Euro - die Richtwerte sind je nach Bundesland unterschiedlich. Betroffen von dieser Anhebung wären alle, die in privaten Altbauten leben (vor 1945 errichtet) und deren Mietvertrag nach dem 1. März 1994 abgeschlossen wurde.

Schon in der Vergangenheit habe es seitens des Bundesgesetzgebers ein Aussetzen einer Richtwertmieten-Erhöhung gegeben - etwa im Jahr 2016 unter der SPÖ-ÖVP-Regierung Faymann-Mitterlehner unter dem Titel "Mietrechtliches Inflationslinderungsgesetz", wie Niedermühlbichler erinnerte. Zugunsten einer Aussetzung der heurigen Erhöhung hatte SPÖ-Abg. Ruth Becher, Vorsitzende des parlamentarischen Bautenausschusses, erst kürzlich einen Entschließungsantrag eingebracht, mit Hinweis auf die beiden früheren derartigen Beispiele. Der Österreichische Haus- und Grundbesitzerbund (ÖHGB) hatte dies umgehend kritisiert und von einer "Realitätsverweigerung" gesprochen.

Vermieter sehen "Neiddebatte"

Der Obmann der Wiener Immobilientreuhänder in der WK, Michael Pisecky, erteilte der Aussetzungs-Forderung von AK und Mietervereinigung am Mittwoch eine Absage. Für wirklich hart Betroffene der Corona-Pandemie könne es eine Sonderlösung geben, aber keine Begünstigung für alle Mieter nach dem Gießkannenprinzip. Es handle sich hier um eine vertraglich festgelegte Wertanpassung im Rahmen der Inflation - die Bezeichnung "Erhöhung" der Miete sei falsch, so Pisecky in einer Aussendung.

Mit der Forderung nach einer Aussetzung werde wieder einmal eine Neiddebatte gegenüber dem privaten Vermieter ausgelöst, monierte der Geschäftsführer vom Österreichischen Verband der Immobilienwirtschaft (ÖVI), Anton Holzapfel. Wenn auch der Wohnimmosektor von der Coronakrise bisher wenig belastet sei, seien die Vermieter mit großen Ausfällen bei Gewerbeimmobilien konfrontiert - und einer höchst ungewissen Rechtslage, was die Mietzinsminderungen von Geschäftsraummieten angehe.

Dennoch seien private Vermieter bisher von jeder staatlichen Unterstützung ausgeschlossen. Umso mehr erstaune, wenn hier einmal mehr einseitig in die Verträge privater Vermieter eingegriffen werden solle - das sei entschieden abzulehnen, so Holzapfel.

Niedermühlbichler meinte, ein Aussetzen der Richtwert-Erhöhung - deren Ausmaß das Justizministerium im März bekannt geben würde - werde nicht zum Ruin der Immobilienbrache führen. Das sei eine der wenigen Branchen, die die Krise überhaupt nicht spüre. Mietervereinigung und AK plädierten weiters für ein Zurückdrängen befristeter Mieten, für eine Mietenreform mit klaren Obergrenzen und eine Ausweitung des Geltungsbereichs des MRG.