Es war einmal: Das doppelte Wiener Skiwunder
Von Wolfgang Winheim
Die Frage taugt für das Millionenquiz: Wo war in der Zwischenkriegszeit fünf Monate lang und 49 Winter später am Dreikönigstag der Nabel des Skisports? a) in Kitzbühel, b) in Val-d’Isère, c) in St. Moritz, oder d) in Wien?
Selbst der zum Langzeit-Quizmaster gewordene Ex- Rennläufer Armin Assinger würde mit der Antwort d) wohl zögern.
Oder hätten Sie gedacht,
... dass in Wien 1927 die weltweit erste Skihalle auf dem Gelände des stillgelegten Nordwestbahnhofs mit einer 64 Meter langen und 16,6 Meter hohen Bergattrappe errichtet wurde?
... dass täglich bis 22 Uhr in der kühnen Holzkonstruktion auf zwei Pisten Stemmbogen gefahren und auf einer kleinen Schanze 20 Meter weit gesprungen werden konnte?
... dass eine von einer Chemiefabrik in Moosbierbaum herbeigeschaffte Mischung aus Waschsoda, Sägespänen und Wasser die weltexklusive Indoor-Brettlrutscherei ermöglichte?
Eben dieser Chemieschnee, den Zeitungen als gesundheitsschädigend (Juckreiz nach Stürzen, Atembeschwerden) anprangerten, mehr noch aber das (trotz eines Biersponsors) finanzielle Defizit führte dazu, dass der von fast 10.000 Skifahrern frequentierte Schneepalast nach nur 103 Tagen für immer geschlossen wurde.
Missglücktes Attentat
Das kühne Projekt stand von Anfang an unter keinem guten Stern, war doch Wiens damaliger Bürgermeister Karl Seitz nach der Eröffnungsrede bei der Heimfahrt im Auto nur mit Glück einem Schussattentat entgangen. Der Schütze namens Richard Strebinger, Mitglied der monarchistischen und antisemitischen Wehrformation Ostara, konnte nach einer wilden Verfolgungsjagd kurz später verhaftet werden.
In politisch wie wirtschaftlich unvergleichlich besseren Zeiten, als in Österreich kaum noch wer Hunger litt und der Gusto auf Skivergnügen groß war, brauchte 49 Jahre später der Wiener Bürgermeister Helmut Zilk zum nächsten sporthistorischen Wiener Ski-Ereignis erst gar nicht mehr groß reden. Er hatte schon Wochen zuvor ein Machtwort gesprochen. Indem von ihm gemeinsam mit dem legendären Weltcup-Gründer Serge Lang das bis heute einzige Weltcuprennen in Wien möglich gemacht wurde.
Besagter Lang hatte als Journalist (von L’Équipe bzw. Blick Zürich) und gleichzeitiger Weltcup-Präsident den Skizirkus beherrscht – und ich die Ehre, im Pressezentrum von Courmayeur Sitznachbar des 140 Kilo schweren Franzosen sein zu dürfen.
Dort, am italienischen Fuße des Mount Blanc, fluchte Lang über die drohende Absage eines frühwinterlichen Slaloms wegen Schneemangels. Worauf ich ihn zu häkerln wagte mit dem Rat, dass er Skirennen nicht auf einem aperen Hügerl, sondern lieber im Zentrum des Schnees veranstalten lassen möge. In Wien 14. Zumal ich soeben von irritierten Anrainern telefonisch erfahren hatte, dass hinter deren Reihenhausanlage Sohnemann Alex und dessen Rapid-Knabenkickerkollege Philipp auf Brettln seit Stunden im Tiefschnee lärmend bis zu zwölf Meter weit um die Wette springen.
Dem Weltcup-Papst aus dem Elsass gefiel der ironisch gemeinte Querpass. Lang suchte, den von Tirol dominierten ÖSV übergehend, den direkten Kontakt zu Wiens Stadtregierung. Folge:
Staraufgebot
Am Dreikönigstag 1986 wurde vor 8.000 Zuschauern auf der Hohe-Wand-Wiese vom (bis heute an Rennsiegen unerreichten) schwedischen Skikaiser Ingemar Stenmark, von Anton Steiner, Leonhard Stock, Markus Wasmeier sowie dem späteren italienischen Überraschungssieger Ivano Edalini in einem Parallelslalom bei guten Pistenverhältnissen (= Mix aus natürlichem und im Wiener Arsenal produziertem künstlichen Weiß) um Weltcuppunkte gefahren.
Heute undenkbar. Die Doppelfunktion Skireporter/ Weltcuppräsident genauso wie der Wiener Pistenzauber. Der Schleiflift auf der Hohen Wand-Wiese ist längst abgebaut. Nahe dem einstigen Schneeloch am westlichen Stadtrand Wiens gerieten zuletzt nur noch Mountainbiker und einige Jogger in kurzen Hosen ins Schwitzen .