Der beste Fußballer der Welt? Brasiliens Super-Kicker, den keiner kennt
Von Stefan Berndl
Wer Ricardo Steinmetz Alves auf dem Platz beobachtet, der merkt recht schnell, dass man es hier mit einem ganz besonderen Fußballer zu tun hat. Die Spielübersicht, das Ballgefühl, der Zug zum Tor. Alves, oder auch Ricardinho genannt, ist ein wahrer Ballkünstler. Nicht umsonst gilt der 1,70 Meter große Brasilianer als der beste Fußballer der Welt.
Warum Ihnen Ricardo Steinmetz Alves dann kein Begriff ist, wenn er doch so ein Superstar ist, werden Sie sich jetzt fragen. Ganz einfach: Der wendige Brasilianer ist seit dem achten Lebensjahr erblindet, seinen Traum Fußballer zu werden, erfüllte er sich dennoch.
Seine Gegner aus Frankreich heißen an diesem Montag-Abend in Paris jedoch nicht Kylian Mbappe oder Ousmane Dembele, sondern Frederic Villeroux oder Martin Baron. Seine große Bühne sind die Paralympics.
Brasilianische Dominanz
Drei Mal nahm Ricardinho bereits bei den Spielen teil, drei Mal gab es den Titel. In Paris sollte eigentlich Nummer vier folgen. Es sprach auch viel dafür, Brasilien war die letzten Jahrzehnte im Blindenfußball eine Macht. Seit der Bewerb bei den Paralympics in Athen 2004 eingeführt wurde, gewannen die Südamerikaner sämtliche Gold-Medaillen.
Gespielt wird beim Blindenfußball über ein 40 Mal 20 Meter großes Feld, das seitlich von Banden begrenzt wird, um den Ball im Spiel zu halten. Während die Torhüter sehend oder sehbehindert sind, müssen die vier Feldspieler als vollständig blind eingestuft sein. Der Fairness halber tragen aber ohnehin alle noch eine Dunkelbrille. Hinter dem Tor steht zudem ein Guide, der die Spieler im Angriff unterstützt. Bei Freistößen wird mit einem Metallstab gegen die Torstangen geklopft, um den Kickern ein akustisches Signal zu geben, wo sich das Tor befindet.
Und dann gilt es in zweimal 15 Minuten Netto-Spielzeit mit dem Ball, in dem sich kleine, rasselnde Metall-Kügelchen befinden, so viele Tore wie möglich zu machen. Da geht es einem Ricardinho nicht anders als einem Neymar.
Eine stille Paralympics-Party
Weil sich die Spieler vor allem auf ihr Gehör verlassen müssen, ist Stille ein wesentlicher Faktor. Was die 13.000 Fans im voll besetzten und atemberaubenden Eiffelturm-Stadion durchaus auf eine harte Probe stellt. Schon das lautstarke Singen der französischen Hymne zu Beginn hat durchaus Gänsehaut-Potential. Bei jeder Unterbrechung - und davon gibt es viele - werden “Allez les Bleus”-Gesänge angestimmt, gejubelt und laut gestampft. Ehe ein lautes “Pssst” durch die Reihen geht und wieder Stille einkehrt. Die Franzosen lernen allerdings dazu, irgendwann laufen dann stille La-Ola-Wellen durch das Stadion.
Eine beeindruckende Kulisse, beeindruckend ist aber auch, was die Blinden-Fußballer auf dem Platz leisten. Da wird gedribbelt, gepasst und durchaus in hohem Tempo aufs Tor zugestürmt. Damit sich die Spieler nicht gegenseitig niederrennen, wird immer wieder "Vio" gerufen, was so viel wie "Hier komme ich" bedeutet.
Ricardinho trifft und pausiert
Die Brasilianer sind von Beginn an dominant, der erste Treffer lässt aber auf sich warten. Kurz vor Ende der ersten Halbzeit geht es dann allerdings ganz schnell. Nach einer Ecke gelingt - natürlich - Ricardinho der Treffer zum 1:0, kurz danach wird ein Penalty aus acht Metern trocken im rechten Tor-Eck versenkt. Brasilien wird den hohen Erwartungen also gerecht, die französischen Fans jubeln dennoch.
Ricardinho darf im weiteren Verlauf etwas durchschnaufen, der Superstar wird nicht mehr gebraucht, um den zweiten Erfolg im zweiten Gruppenspiel zu fixieren. Am Ende und nach rund 80 Minuten Brutto-Spielzeit steht es 3:0. Abpfiff, Handshake, Abmarsch. Der vermeintlich nächste Schritt zur vierten Gold-Medaille für den weltbesten Blinden-Fußballer der Welt war gemacht.
Und tatsächlich waren in diesem Match bereits die Paralympics-Sieger zu sehen. Bloß waren es wenige Tage später die Gastgeber, die jubelten. Brasilien scheiterte im Halbfinale an Argentinien, Frankreich holte sich sensationell Gold. Und brach damit die scheinbar ewige Dominanz der Brasilianer.
Hinweis: Die Pressereise zu den Paralympics in Paris erfolgte auf Einladung und Kosten des Österreichischen Paralympischen Committees.