Wendepunkt für Thiem: "Sie beginnen, Respekt zu haben"
Vor zwei Jahren bereits war Dominic Thiem in aller Munde. Im Vorfeld der US Open widmete das amerikanische Lifestyle- und Männermagazin GQ dem Österreicher eine umfassende Geschichte und stellte im Titel die provokante Frage: "Dominic Thiem ist die Zukunft des Tennis – aber warum interessiert sich niemand für ihn?"
Dienstag, kurz vor Mitternacht in London, war kein GQ-Redakteur in der O2-Arena zugegen, als der 26-Jährige den Presseraum betrat und von Engländern, Amerikanern, Japanern, Deutschen, Schweizern, Österreichern und Italienern zum "größten Match meiner bisherigen Karriere" befragt wurde.
Es war eine Partie, die selbst die rasante Tenniswelt noch einige Zeit beschäftigen wird. Mit dem fast dreistündigen Marathonsieg (6:7, 6:3, 7:6) über Topfavorit Novak Djokovic fixierte Thiem als erster Österreicher nicht nur frühzeitig den Halbfinaleinzug bei den ATP Finals (Samstag), den Auftritt vor 17.500 Besuchern vor Ort und 310.000 um Mitternacht in der Heimat vor den Fernsehgeräten wertete er als "unfassbares Zeichen. Es gibt mir sehr viel Selbstvertrauen, dass ich mir selber bewiesen habe, dass ich zwei solche Riesenspieler (zum Auftakt Roger Federer, Anmerkung) in Folge schlagen kann. Das ist sicher wichtig auch im Hinblick auf das nächste Jahr."
Nicht am Ende
Dominic Thiem ist noch lange nicht am Ende angelangt. Weder in dieser Woche in London noch bei seinem Karriereplan. Sein Ziel sind die vier Grand-Slam-Turniere, wenngleich der Weltranglisten-Fünfte betont, die ATP Finals seien "mindestens genauso schwer zu gewinnen".
Abgesehen von den French Open (Finale) kann er heuer nur eine eher bescheidene Grand-Slam-Bilanz vorweisen: Einmal ging es in Runde zwei (Melbourne), zwei Mal war gar sofort Schluss (Wimbledon, New York). Noch im Vorfeld der ATP Finals haben ihn internationale Medien als „ausgewiesenen Sandplatzspezialisten“ vorgestellt. "Ich habe immer gewusst, dass das nicht wirklich stimmt und das nun auch mehrfach bestätigt", sagte der fünffache Saisonsieger.
Und dennoch ist nach den jüngsten beiden Siegen in London irgendetwas anders. Thiem hat Federer, Djokovic und Rafael Nadal ja bereits mehrfach besiegt, aber nun scheint der Österreicher sich endgültig in den Köpfen der Gegner festgesetzt zu haben. Er beschäftigt sie, in und zwischen den Ballwechseln. "Sie beginnen, Respekt zu haben. Das ist etwas Neues", sagt sein Manager Herwig Straka.
Immer am Drücker
Abgeschüttelt ist jene Unüberlegtheit in entscheidenden Spielsituationen und die fehlende Wettkampfhärte auf der ganz großen Bühne, die ihm Experten vor gar nicht so langer Zeit noch als großes Manko zugeschrieben haben. Das bestätigt auch die Statistik: Von 17 entscheidenden Sätzen im Jahr 2019 gewann der Österreicher 15.
Gleich drei Mal zurückgeschlagen nach einem Satzrückstand hat Thiem in der Wiener Stadthalle. Die Turniersiege in der Heimat – im Sommer triumphierte er auch in Kitzbühel – haben neben Preisgeld und Ranglistenpunkten einen weiteren, wichtigen Effekt, wie sein Trainer Nicolás Massú glaubt: "Es ist nie einfach, vor deinen Freunden und deiner Familie zu spielen. Dadurch, dass er das nun geschafft hat, wird er in Zukunft ruhiger sein."
Der Marke Thiem hat’s obendrein nicht geschadet. Ob GQ schon an einem Fortsetzungsartikel arbeitet, ist nicht bekannt. Falls das Magazin Infos benötigt, kann es bei Thiems Privatsponsor nachfragen. Der dreht gerade Teil zwei der Thiem-Doku.