Sport/Fußball

Wiener Krise: "Rapid und Austria brauchen einander mehr denn je"

Die Wiener Austria hat ihre Hausaufgaben in Sachen Lizenz vorerst erfüllt, die Bundesliga entschied am Freitag, dass der Verein die Spielgenehmigung für die Saison 2021/22 im Oberhaus in zweiter Instanz erhält. Damit ist zumindest eine Hürde genommen. Sportlich folgte am Samstag ein 2:0-Erfolg bei der Admira.

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Leichter wird es für die Austria aber trotz allem nicht. In der Liga läuft es nur holprig, zudem plagt die Wiener ein hoher Schuldenberg. Der jüngste Geschäftsbericht wies Verbindlichkeiten von 78 Millionen Euro aus. Die wirtschaftliche Situation ist nach wie vor angespannt.

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Der Wiener Sporthistoriker Matthias Marschik sprach im Interview mit dem KURIER über die Bedeutung der Austria für den österreichischen Fußball und erklärte, warum auch der Stadtrivale Rapid ein großes Interesse daran hat, dass die Violetten der Bundesliga erhalten bleiben.

KURIER: Fußball-Vereine wollen ja immer auch ein gewisses Image verkörpern. Wofür steht eigentlich die Wiener Austria? Welche Werte will der Verein vermitteln?

Matthias Marschik: Ich würde sagen die Austria ist nicht so sehr ein Verein, der Werte vermitteln will, sondern eher ein Verein, der Werte besitzt. Die Austria ist ja als gutbürgerlicher Geselligkeitsverein entstanden, das heißt, sie hat auf gutbürgerliches Auftreten höchsten Wert gelegt. Und ab den 1920er Jahren im Profifußball ist es dem Verein dann darum gegangen, professionelle Unterhaltung zu bieten, so wie in der Oper oder im Theater. Das ist auch der Punkt, warum der Austria das schöne Spiel wichtiger war als der Sieg. Das ist nicht dieser Fußball, wie wir ihn üblicherweise kennen, also möglichst viele Zuschauer zu haben und möglichst zu gewinnen. Das war ja das Ideal von Rapid und den Vorstadt-Vereinen. Die Austria wollte dagegen gutbürgerliche Unterhaltung bieten.

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Sie haben es jetzt schon angesprochen, den Gegensatz zu Rapid. Die Austria als gutbürgerlicher Verein, der das "schöne Spiel" anbieten wollte, Rapid als Arbeiterverein, der sich die Siege hart erarbeitet. Wie viel ist von diesen damaligen Zuschreibungen heute noch übrig?

Ich glaube schon, dass die Vereine noch immer auf diese Traditionen aufbauen. Aber im Jahr 2021 stimmt das natürlich so nicht mehr, bzw. ist kaum mehr aufrecht zu erhalten. Jetzt geht es sicherlich mehr denn je um Images, die man sich zuschreibt, um eine Sonderstellung oder ein Alleinstellungsmerkmal zu behalten.

Die Austria ist aktuell in einer der schwierigsten Phasen der Vereinsgeschichte. Sportlich läuft es nicht wirklich, wirtschaftlich hat man bekanntlich 78 Millionen Euro Schulden angehäuft. Und das im 110. Jahr des Bestehens. Wie hat sich der Verein in den letzten Jahrzehnten in diese Situation gebracht?

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Das ist glaube ich eine Entwicklung aus der immer weiter gehenden Professionalisierung des Fußballs. Die Austria konnte ihre Sonderstellung bis Ende der 1970er-Jahre durchziehen, und will auch heute noch darauf aufbauen und sie in irgendeiner Weise verkaufen. Aber das funktioniert in diesem postmodernen Fußball nicht mehr. Das andere Problem sind natürlich fehlende Erfolge, die wir aber im Grunde bei Rapid und Austria gleichermaßen finden. Mit Red Bull Salzburg ist ein Player auf dem Markt aufgetaucht, der Austria und Rapid in den Schatten stellt. Denn beim Derby Austria gegen Rapid geht es eigentlich nur mehr um die Vorherrschaft in Wien und nicht mehr um die Vorherrschaft in Österreich.

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Wie sehr braucht dann auch Rapid die Austria?

Ich glaube, dass sich die beiden Vereine mehr denn je gegenseitig brauchen. Denn wenn es plötzlich nicht mehr darum geht, wer der beste Verein in Wien ist, dann fällt wieder ein Element der Attraktivität weg. Das Derby, das im Grunde diesen Wiener Fußball noch heraushebt vor anderen, das öffentliches Interesse und Publikumsinteresse weckt. Und wenn das auch noch wegfallen würde, dann bleibt immer weniger vom klassischen Wiener Fußball übrig.

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Apropos Rapid. Jetzt ist es kein Geheimnis, dass der Stadtrivale aus Hütteldorf nicht nur sportlich, sondern auch bei den Fans die Nase vorne hat. Wie kann man das erklären, dass die Austria bei der Fangunst doch relativ klar hinter Rapid liegt?

Ich denke, dass das eine aus der Geschichte erklärbare Entwicklung ist. Wir können das im Grunde seit 1910 verfolgen, dass es der Austria nie so sehr darum gegangen ist, der erfolgreichste Verein zu sein, was die Publikumszahlen betrifft. Da hat sich meiner Ansicht nach in den letzten 110 Jahren nichts verändert. Der Austria war diese Frage des maximalen Publikumszuspruchs nie so wichtig. Die Austria hat immer gesagt: Wir repräsentieren Wien, weil wir - weit mehr als Rapid - die Wiener Mentalität des Schönspielens repräsentieren. Rapid sagt, wir stehen für Wien, weil wir die meisten Anhänger haben. Und die Austria sagt, wir stehen für Wien, weil wir diese Stadt in ihrer Walzerseligkeit am besten vertreten.

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Die Austria ist ja nicht der einzige Traditionsklub, der in den letzten Jahren Probleme hat. In Deutschland sind das etwa der Hamburger SV, oder aktuell Schalke 04. Warum tun sich so viele Traditionsvereine im heutigen, modernen Fußball so schwer, Erfolge zu haben bzw. zu überleben?

Das ist schon eine klare Entwicklung aus einem Fußballgeschäft, in dem es mehr denn je aufs Geld ankommt. Und dann ist die Frage, wer einen noch fragwürdigeren Sponsor findet. Die Frage ist natürlich, wie weit ich in der Sponsorensuche gehe. Wenn ich mir ansehe, mit welchen Sponsoren und Trikotaufschriften die internationalen Topklubs herumlaufen, da sind ja schon zwei Drittel mehr als fragwürdig. Ob ich diese Sponsoren wirklich brauche, ob ich die wirklich haben will und unterstützen möchte. Im Moment ist es so, dass sich die großen Vereine da - um es hart zu sagen - extrem prostituieren, um dieses Top-Level zu erhalten.

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Und die Schere geht ja immer noch weiter auf, wie wir auch am aktuellen Beispiel der gescheiterten Super-League-Pläne sehen.

Die Frage ist, wie lange das der Fußball noch aushält. Irgendwann beginne ich zu fragen, ob das Einkommen vieler Fußballer noch angemessen ist, ob ich diese großen Vereine noch unterstütze. Auf der einen Seite regen wir uns über die WM in Katar auf, auf der anderen Seite finden wir es selbstverständlich, dass die reichen arabischen Staaten die Hälfte dieser prominenten Vereine sponsern. Wie lange geht das noch gut? Wie lange lassen wir uns das als Fußballfans noch gefallen? Wie lange ist das noch unser Fußball?

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Zum Abschluss zurück zur Austria. Beispiele von österreichischen Traditions-Klubs, die in den letzten Jahrzehnten Probleme hatten, gibt es einige. Etwa den GAK oder den FC Tirol. Was kann die Austria von diesen Schicksalen lernen?

Das möchte ich der Austria überlassen, welche Schlussfolgerungen sie daraus zieht. Ich denke, es sind viele Wege offen. Sie können sich natürlich an dubiose Sponsoren wenden, oder sie sagen, ok, dann steigen wir ab und versuchen unsere Idee des Fußballs - die jetzt 110 Jahre herrscht – gemeinsam mit unseren Fans in der Regionalliga Ost umzusetzen. Auch dieser Weg wäre ja grundsätzlich möglich.

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