Deutschlands Altstar Thomas Müller: Edelreservist, aber kein Maskottchen
Von Stefan Hermanns
130 Länderspiele hat Thomas Müller für die deutsche Nationalmannschaft vor dem EM-Achtelfinale gegen Dänemark bestritten (nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe), die EM in Deutschland ist bereits sein siebentes großes Turnier. Und doch gibt es auch für den inzwischen 34-Jährigen immer noch Dinge, die er so noch nicht erlebt hat.
Bei der EM ist es erstmals so, dass nach den Spielen einige ausgewählte Spieler in der Mixed Zone zur internationalen Presse sprechen. Auch Thomas Müller ist diese Aufgabe schon zuteilgeworden, das war nach dem Eröffnungsspiel gegen Schottland – und er fühlte sich dabei „wie auf einer Pferdeauktion“.
Auch sonst hält die Heim-EM einige neue Erfahrungen für den ältesten Feldspieler der deutschen Mannschaft bereit. „Müller spielt immer“, hat Louis van Gaal einmal gesagt, als er noch dessen Trainer beim FC Bayern München war. Zuletzt hieß es eher: Müller wird zumindest immer eingewechselt. Inzwischen aber gilt selbst das nicht mehr.
Einwechslung im Heimstadion
Etwas mehr als eine Viertelstunde brutto hat der Münchner in der Vorrunde gespielt. Im Eröffnungsspiel in „seinem“ Stadion wurde er eingewechselt – unter großem Getöse des Publikums. In den beiden folgenden Gruppenspielen aber hat Müller keine Minute mehr gespielt.
Im Verein läuft es inzwischen ähnlich. Die beiden jüngsten Spielzeiten in der Bundesliga waren, abgesehen von seiner Debütsaison, die mit der geringsten Spielzeit (1.677 und 1.674 Minuten). Und so selten wie im Vorjahr (21-mal) hat er noch nie bei den Bayern in der Startelf gestanden.
Neue Rolle
In der Nationalmannschaft gab es seit seinem Debüt im März 2010 genau sechs Länderspiele, in denen Müller zwar im Kader stand, aber die komplette Spielzeit auf der Bank zubringen musste. Vier davon fallen in die Amtszeit von Julian Nagelsmann. Bei der EM ist ihm das nun zum ersten Mal überhaupt sogar zweimal nacheinander widerfahren.
Trotzdem hat Rudi Völler, der Sportdirektor des Deutschen Fußball-Bundes, dieser Tage kundgetan, dass er Müller im Teamquartier in Herzogenaurach „total entspannt und gut drauf“ erlebe. „Er ist ein absolutes Vorbild, wie er sich verhält, wie er der Mannschaft hilft“, sagte Völler. Müller sei auf jeden Fall jemand, „der große Chancen hat, noch zu spielen“.
Müller ist für den jungen Teamchef Julian Nagelsmann jetzt nicht mehr eine Muss-Option wie Dortmunds Mittelstürmer Niclas Füllkrug, der eingewechselt wird, wenn die Mannschaft dringend ein Tor braucht. Der bayerisch Routinier ist eher eine Kann-Option und konkurriert mit Newcomern wie Maximilian Beier oder Deniz Undav um die raren Spielminuten bei der EM.
Realistisch betrachtet ist die Europameisterschaft das letzte große Turnier, an dem Thomas Müller teilnimmt. Und der EM-Pokal ist der letzte große Titel, der ihm in seiner stattlichen Sammlung noch fehlt. Natürlich wird Müller den gemeinschaftlichen Erfolg nicht durch egoistische Anwandlungen gefährden. Der Offensivspieler fügt sich in seine neue Rolle.
Bei der Bekanntgabe des EM-Kaders hat der Bundestrainer in höchsten Tönen von Müller geschwärmt. In seinem Faible für Anglizismen hat er den Münchner als Connector bezeichnet, als Verbinder also. „Er kann mit den Rappern in der Mannschaft, er kann aber auch mit denen, die jodeln“, sagte Nagelsmann. Und trotzdem sei Müller nicht der „Gute-Laune-Onkel“ im Team, „er hat natürlich auch fußballerische Qualitäten“.
Auch Müller selbst wehrt sich gegen die Deutung, dass er auf seine alten Fußballertage für die Rolle vorgesehen ist, die bei der erfolgreichen WM 2014 in Brasilien Lukas Podolski eingenommen hat: eine Art Maskottchen in Fußballschuhen. „Ich habe nicht den Auftrag, Leute zu unterhalten“, hat Müller in der Vorbereitung im Weimarer Land gesagt. „Durch Unterhaltung kommen wir hier nicht weit.“
Thomas Müller ist nach wie vor davon überzeugt, dass er der Mannschaft mit seiner Art auch fußballerisch helfen kann. „Die technische Seite ist auf jeden Fall besser geworden, auch der linke Fuß“, sagt er über sich selbst. „Ich verliere deutlich weniger Bälle“, sagt er selbst.
Und er freut sich, wenn er seine Kollegen weiterhin überraschen kann – vor allem die jungen Mitspieler. Maximilian Beier, 21 Jahre alt, hat in der Vorbereitung sein Erstaunen darüber geäußert, wie gut Müller beim beliebten Fußball-Computerspiel FIFA sei. „Ich war auch mal jung“, hat Thomas Müller dazu gesagt. „Dementsprechend habe ich da nicht viel verlernt, auch wenn ich nicht so in Übung bin.“