Alpe d'Huez: 21 Serpentinen, eine Kirche und unzählige Dramen
Von Florian Plavec
Die Straße nach Alpe d’Huez zählt zu den legendärsten Anstiegen des Radsports – und sie ist dank zahlreicher epischer Tour-de-France-Etappen längst ein Mythos. Die Königsetappe am französischen Nationalfeiertag weist 4.500 Höhenmeter auf, am Ende geht es in die 13,8 Kilometer lange Steigung.
Es gibt steilere Berge oder längere Anstiege, doch nirgendwo sonst ist die Tour so umjubelt. Offizielle Zahlen gibt es nicht, doch es sind mehrere Hunderttausend Fans, die die Profis auf dem letzten Anstieg zur Skistation anfeuern. Vielleicht, weil dort 1952 die erste Bergankunft der Tour-Geschichte gefeiert wurde. Der Sieger trug den Namen Fausto Coppi.
Vom Talort Le Bourg d’Oisans führen 21 Serpentinen hinauf zum Zielort auf 1.850 Metern. Es wird rückwärts gezählt, und jede Kurve ist nach einem Etappensieger benannt. Weil es mehr Sieger als Kurven gibt, tragen einige zwei Namen. Zuletzt gewann Geraint Thomas 2018 in Alpe d’Huez – und am Ende auch die Tour. Eine Kurve ist nach Marco Pantani ( 2004) benannt, der Italiener hält mit 36:50 Minuten den Rekord für die schnellste Auffahrt.
Das größte Spektakel wird in Kurve sieben abgefeiert, in der Kurve der Holländer. Hier machen die Fans in Orange die Straße zu ihrem Revier. Als der niederländische Pfarrer Jaap Reuten 1964 zum Skifahren in der Gegend war, konnte er nicht glauben, dass es dort keine Kirche gab. Also ließ er eine errichten, ging dort selbst seinem Beruf nach und läutete beim Sieg seines Landsmanns Joop Zoetemelk 1976 die Glocken. Fortan tat er das bei jedem niederländischen Sieg, acht sind es bis heute.
Vom "schlimmsten Moment" seines Lebens erzählt heute noch Giuseppe Guerini. Der heute 52-jährige Italiener war 1999 auf dem Weg zu einem sicheren Etappensieg, als ihn 800 Meter vor dem Ziel ein übermotivierter Hobbyfotograf zu Fall brachte. Doch der Bergspezialist stieg wieder auf und rettete einen Vorsprung von 21 Sekunden ins Ziel.
Geschichte schrieb auch Lance Armstrong: 2001 fuhr der Amerikaner die gesamte Etappe mit leidendem Blick weit hinten im Feld mit. Kontrahent Jan Ullrich glaubte an seine Chance und ließ sein Team arbeiten. Doch am Fuß des Anstiegs attackierte der Amerikaner, blickte sich um – und fuhr dann allen davon. Das Umdrehen zu Ullrich ging als „The Look“ in die Radsport-Geschichte ein. Erst vor wenigen Wochen stellte Armstrong in der ARD-Doku "Being Jan Ullrich“ klar, dass sein Blick seinem Teamkollegen und Helfer José Luis Rubiera gegolten habe.