Klimabonus: Alle außer Wiener bekommen mehr als 100 Euro
Ab Juli 2022 gilt in Österreich erstmals eine CO2-Bepreisung. Der - von Kritikern als unambitioniert bezeichnete - Einstiegspreis von 30 Euro pro Tonne soll bis 2025 auf 55 Euro ansteigen.
Ausgeglichen sollen die neuen Abgaben über einen sogenannten "regionalen Klimabonus" werden.
Die Betonung liegt auf "regional". Städter bekommen pauschal 100 Euro im Jahr, Bewohner des ländlichen Raumes 200 Euro, dazwischen gibt es Abstufungen mit 133 bzw. 167 Euro. Kinder bis zum Alter von 18 Jahren sollen 50 Prozent davon bekommen. Ab 2023 soll der Klimabonus zudem proportional zu den Einnahmen durch die CO2-Steuer ansteigen.
Aber wer gilt als Städter? Und wer lebt "am Land"? Wer ist gut an das öffentliche Verkehrsnetz angebunden, wer nicht? Die Statistik Austria hat für das Umweltministerium nun eine Gliederung erarbeitet. Erster Eindruck: Streit ist vorprogrammiert.
Nur Wiener leben offenbar in einer "Stadt"
Beim Klimabonus werden Österreichs Gemeinden in vier Güteklassen unterteilt, gestaffelt nach der Anbindung an den Öffentlichen Verkehr (ÖV):
Klasse 1, rot, 100 Euro: Gemeinden urbaner Zentren mit höchstrangiger ÖV-Erschließung
Klasse 2, gelb, 133 Euro: Gemeinden urbaner Zentren mit zumindest guter ÖV-Erschließung
Klasse 3, hellgrün, 167 Euro: Gemeinden urbaner Zentren mit guter Basiserschließung sowie regionale Zentren und Gemeinden im Umland von Zentren mit zumindest guter Basiserschließung
Klasse 4, dunkelgrün, 200 Euro: Ländliche Gemeinden und Gemeinden mit höchstens Basiserschließung
Das ergibt schlussendlich folgendes Bild:
Was bereits auf den ersten Blick ins Auge sticht: Die einzige Gemeinde mit einer außerordentlich guten Verkehrsanbindung in Österreich dürfte das "rote" Wien sein. Übernimmt die Bundesregierung diese Einstufung der "ÖV-Güteklassen", werden nur Menschen mit Lebensmittelpunkt in Wien einen Klimabonus in der Höhe von 100 Euro erhalten. Linzer, Grazer oder Salzburger erhalten etwa 133 Euro. Was besonders auffällig ist: Der Großteil Österreichs ist dunkelgrün und besteht somit aus absolut "ländlichen Gemeinden" mit durchwegs schlechter Verkehrsanbindung.
Aus der Hauptstadt gab es am Nachmittag erste Reaktionen.
"Unpackbar"
Wiens Bürgermeister Michael Ludwig sieht "starke Einschnitte für Wien". "Durch die Reduzierung der Lohn- und Körperschaftssteuer wird Wien ersten Berechnungen zufolge pro Jahr mehr als 450 Millionen Euro verlieren", so Ludwig. "Durch den sogenannten Klimabonus werden nicht nur die Wienerinnen und Wiener, sondern alle Bewohnerinnen und Bewohner von großen Städten in Österreich weniger stark profitieren als die Bewohnerinnen und Bewohner der ländlichen Gebiete", kritisierte er auch in seiner Funktion als Präsident des Österreichischen Städtebundes die ersten Pläne des regionalen Klimabonus. Er sehe auch keine Lenkungswirkung in den Maßnahmen, da unökologisches Verhalten wie Pendeln mit dem Diesel-Auto weiterhin unterstützt werde.
Außerdem kritisierte Ludwig, dass eine Steuerreform ohne Einbindung der Bundesländer oder der Städte präsentiert werde: "Für alle Leistungen die erbracht werden, muss es eine Gegenfinanzierung geben, die nicht bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oder Pensionistinnen und Pensionisten hängen bleiben. Die Reduzierung der Sozialversicherungsbeiträge bedeutet, dass Spitäler weniger Geld zur Verfügung haben und die Träger – das sind sehr oft Bundesländer – dafür aufkommen müssen."
Etwas direkter und knapper als der Bürgermeister analysierte Klimastadtrat Jürgen Czernohorszky (ebenfalls SPÖ) die Basis für den regionalen Klimabonus: "Unpackbar", schrieb er auf Twitter.
Wie kommt die Statistik Austria auf diese Zuordnung? In einem ersten Schritt habe an eine "gebäudescharfe Zuordnung der Wohnbevölkerung auf ÖV-Güteklassen" vorgenommen, heißt es. In einem zweiten Schritt habe man diese Klassen auf Gemeindeebene zusammengeführt. Und zwar anhand der ÖV-Güteklassen und der sogenannten "Urban-Rural-Typologie".
Statistik Austria: "Die ÖV-Güteklassen sind ein von der ÖREK-Partnerschaft „Plattform Raumordnung und Verkehr“ ausgearbeitetes System, welches als Analyse-, Evaluierungs- und Planungsinstrument genutzt werden kann. Sie wurden als eine österreichweit abgestimmte Grundlage zum Zwecke einer besseren Abstimmung von Siedlungsentwicklung und ÖV-Erschließung entwickelt. Die ÖV-Güteklassen ermöglichen die Analyse der Versorgung eines Standortes mit dem fahrplangebundenen Öffentlichen Verkehr. Die Kategorisierung des ÖV-Angebotes/Haltestellen (Art des Verkehrsmittels, Bedienintervall) in Kombination mit der Analyse der fußläufigen Entfernung von der Haltestelle ergibt die ÖV-Güteklasse des Standortes."
Statistik Austria: "Die Urban-Rural-Typologie wurde von Statistik Austria für statistische Zwecke entwickelt und für den Stichtag 31.10.2013 erstmals abgegrenzt. Sie klassifiziert in städtische und ländliche Gemeinden und integriert dabei die Abgrenzung der Stadtregionen (Urbane Zentren). Bei der Erstellung der Urban-Rural-Typologie werden zunächst rasterbasiert dicht besiedelte Gebiete (basierend auf einem Bevölkerungspotential) abgegrenzt und dadurch urbane und regionale Zentren auf Gemeindeebene klassifiziert. Für die Festlegung von regionalen Zentren wird ebenfalls das Vorhandensein von einigen infrastrukturellen Einrichtungen mitbewertet. In einem weiteren Schritt erfolgt dann die Klassifizierung von Gemeinden außerhalb von Zentren anhand von Pendlerverflechtungen (Hauptklasse 300) sowie anhand der Erreichbarkeit von Zentren (zentral, intermediär, peripher). Das Ergebnis sind vier Hauptklassen: Urbane Zentren (Stadtregionen), Regionale Zentren, Ländlicher Raum im Umland von Zentren (Außenzone), Ländlicher Raum. Diese Hauptklassen werden einerseits anhand der Einwohnerzahl (Urbane Zentren) sowie anhand der Erreichbarkeit im motorisierten Individualverkehr von urbanen und regionalen Zentren in zentral, intermediär sowie peripher in insgesamt 11 Klassen unterteilt. Die Erreichbarkeit durch den öffentlichen Verkehr wird für die URT nicht berücksichtigt."