Politik/Inland

Türkis-Grün: Nach 100 Tagen geht’s jetzt an die Arbeit

Seine Freude drückt ja jeder ein bisschen anders aus.

Sebastian Kurz zum Beispiel sagt, er freut sich auf die Arbeit; darauf, als (neuer alter) Bundeskanzler das Regierungsprogramm umzusetzen. Mühsam genug war es ja, es zu entwickeln, möchte man ergänzen. 100 Tage sind seit der Nationalratswahl vergangen.

Werner Kogler meint, er habe „schon Schwierigeres geschafft“. Der Tag, an dem er als erster grüner Vizekanzler und einige seiner Mitstreiter als Minister angelobt wurden, sei „bewältigbar“ gewesen.   Er ist übrigens auch der erste Vizekanzler, der ohne Krawatte zur Angelobung in der Hofburg erschien.

Daneben Bundespräsident Alexander Van der Bellen, der penibel darauf achtet, sich seine Freude nicht anmerken zu lassen. Vor 17 Jahren war er selbst als Grünen-Chef ganz nah an einer Regierungsbeteiligung dran. Jetzt hat es sein Nach-Nach-Nachfolger Kogler geschafft.
Aber VdB ist nicht mehr grün. Er ist präsidial.

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Rot-weiß-rote Regierung

Dementsprechend schüttelt er den 17 Mitgliedern der neuen Bundesregierung je gleich lange und gleich stark die Hand, als sie da vor ihm aufgefädelt im Maria-Theresien-Zimmer stehen und ihr „ich gelobe“ sprechen. Als liefe eine Stoppuhr mit. Jedem wünscht der Bundespräsident viel Erfolg; mit jedem – ob altbekannter Grüner oder frischer Türkiser – plaudert er ein paar Worte.

An alle gerichtet sagt das Staatsoberhaupt: „Ich will eine rot-weiß-rote Regierung.“ Eigeninteressen müssten zurückgestellt werden. Die Macht, die den neuen Koalitionären in die Hände gelegt werde, müsse Mittel sein, nicht Zweck. Die Ibiza-Affäre erwähnt er da nur am Rande.
Nach dem turbulenten Sommer, als die türkis-blaue Regierung platzte, eine türkis geprägte Übergangsregierung nach nur fünf Tagen abgewählt und schließlich eine Beamtenregierung angelobt wurde, sagt VdB erleichtert: „Jetzt schließt sich der Kreis.“

Und, als einer der wenigen flapsig-humorigen Sager, die für ihn sonst so typisch sind: „Wir haben das gemeinsam ganz gut hingekriegt.“

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Fürs Schmähführen sind andere zuständig. Die neuen (und alten) Minister tuscheln und lachen miteinander, als sie gegen 11 Uhr in der Hofburg Aufstellung nehmen – in Paarungen, mit denen man so nicht gerechnet hätte.

Die grüne Staatssekretärin Ulrike Lunacek und der türkise Bildungsminister Heinz Faßmann spazieren plaudernd Seite an Seite ins Maria-Theresien-Zimmer.

ÖVP-Innenminister und mutmaßlicher Asyl-Hardliner Karl Nehammer versteht sich blendend mit der grünen Umwelt-Aktivistin Leonore Gewessler, die das Klimaministerium übernimmt; ein paar Mal beugt er sich lachend zu ihr. Ex-Landesrat aus Oberösterreich und Sozialminister Rudolf Anschober zeigt auf etwas im Raum, das ihn erheitert; Klaudia Tanner, Ex-Bauernbund-Direktorin aus Niederösterreich und Neo-Verteidigungsministerin, findet es auch lustig.

Alexander Schallenberg ist besonders gut aufgelegt – wo immer er sich hinstellt, rennt der Schmäh. Er ist der einzige, der aus der Übergangsregierung übernommen wurde, er bleibt Außenminister.

Bierleins Bitte & Mahnung

Die Minister schwirren nach der Angelobung gleich aus, um ihre neuen Büros zu beziehen. Sebastian Kurz muss dafür nur über den Ballhausplatz  gehen, wo Brigitte Bierlein mit der Amtsübergabe auf ihn wartet. Die erste weibliche Kanzlerin freut sich über den hohen Frauenanteil in der neuen Regierung. An ihren Nachfolger hat sie einen Wunsch (oder eine Mahnung?): „Ich hoffe sehr, dass Sie die ganze fünfjährige Legislaturperiode ausschöpfen können.“ In Kurz’ Ägide als ÖVP-Chef endete Rot-Schwarz nach nur vier Jahren, Türkis-Blau nach knapp eineinhalb.

Indes wird Vizekanzler Werner Kogler von einer steirischen Blaskapelle an seinem neuen Amtssitz empfangen.  „Ich bin überwältigt“, sagt der Steirer, und kündigt gleich ein „Gesetz zur Erlassung allgemeiner Ruhe“ an. Kogler, der die Agenden Beamte, Sport, Kunst und Kultur hat, residiert übrigens nicht im Vizekanzler-Palais am Minoritenplatz, sondern im Gebäude des Infrastrukturministeriums.

Schildkröte und dicke Mappe

Dort sind Superministerin Leonore Gewessler und der türkise Staatssekretär Magnus Brunner angesiedelt. Gewessler kommt mit dem Fahrrad zur Amtsübergabe – im schicken Kleid, Blazer und mit Helm. Amtsvorgänger Andreas Reichhardt schenkt ihr eine grüne Schildkröte als Talisman. Schildkröten hätten sich im Lauf der Evolution immer anpassen müssen, erklärt er dazu – und einen Panzer haben sie auch.

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In unmittelbarer Nähe ist das ebenfalls grün geführte Sozialministerium. Rudolf Anschober will dort gleich an die Arbeit: Von seiner Vorgängerin Brigitte Zarfl bekommt er eine dicke Mappe überreicht, heute will er sich mit ihr beraten. Anschober sieht „akuten Handlungsbedarf“ und „Pflegenotstand“. Der Ex-Landesrat prognostiziert, dass es mit der türkisen ÖVP im Bund „schwieriger“ sein werde als mit der schwarzen in Oberösterreich. Die neue Regierung sei aber auch eine Chance, „Spaltungen in der Gesellschaft zu überwinden“.

In der Rossauer Kaserne wird die erste weibliche Verteidigungsministerin mit militärischen Ehren empfangen: Klaudia Tanner verspricht, „Ministerin der Truppe und nicht der Worte“ zu sein. Das Heer brauche „zukunftsfähige Ressourcen und Strukturen“. Darüber würden sich zumindest die Soldaten freuen.

„Dankbarkeit und Respekt“ empfindet der neue Innenminister Karl Nehammer bei der Amtsübergabe. Der „konsequenten Linie bei Migration und Sicherheit“ der ÖVP will er treu bleiben.

Heinz Faßmann, der schon unter Türkis-Blau Bildungsminister war, sagt es gerade heraus: „Ich freue mich sehr, Minister zu sein.“ Es sei ein „angenehmes Gefühl“.

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