Sicherungshaft: Ein Schritt zum Polizeistaat?
Soll man potenzielle Gewalttäter in Österreich präventiv in Haft nehmen können?
Ja, antwortet der designierte SPÖ-Landeshauptmann Hans Peter Doskozil am Wochenende – und stieß damit nicht nur einige Genossen vor den Kopf.
Ja, aber eben nur Asylwerber, antwortete Innenminister Herbert Kickl am Montag – auf den genauen Gesetzestext dieser Präventiv-Haft lässt die Regierung noch ein wenig warten.
Und fragt man heimische Straf- und Grundrechtsexperten, dann ist die Antwort nahezu gleichlautend, nämlich: Nein, eine Schutz- oder Präventivhaft ist erstens nicht nötig, weil potenzielle Täter ja schon jetzt in Untersuchungshaft genommen werden könnten; und weil man, zweitens, die Grund- und Freiheitsrechte der Menschen mit einer solchen Regelung über Gebühr beschneiden würde.
Unvereinbar
„Eine Präventivhaft ist mit dem nach dem Zweiten Weltkrieg vorherrschenden Verständnis von Gefahrenvermeidung und Strafverfolgung unvereinbar. Das sind überschießende, symbolische Ansagen, die nicht bringen, was sie versprechen“, sagt Richard Soyer, Rechtsanwalt und Vorstand der Abteilung für Unternehmensstrafrecht und Strafrechtspraxis an der Uni Linz.
Warum sieht er das so? „Es wird vorgegaukelt, dass es absolute Sicherheit gibt.“
Überhaupt seien die nun diskutierten Pläne für eine Präventivhaft eine neue Form von populistischer Kriminal- und Sicherheitspolitik: „Die anlassgetriebenen Vorschläge der Politik gehen in Richtung polizeistaatlicher Attitüde, die unseren Rechtstraditionen widerspricht.“
Notwendig sind die Änderungen aus Soyers Sicht nicht: „Es braucht keine legistischen Schnellschüsse. Vielmehr muss man mit den bestehenden Instrumenten zielgerichteter umgehen.“
Aber stimmt das? Hätten jene Fälle, die medial nun heftig diskutiert werden und zur Idee der Präventivhaft führten, tatsächlich mit dem bestehenden Recht verhindert werden können?
Der KURIER hat sich drei Fälle herausgegriffen: Den tragischen Todesfall in der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn; die Tötung einer Frau, die 2016 am Wiener Brunnenmarkt erschlagen wurde; und – als „Fall 3“ – die Annahme eines Beziehungsstreits, der eskaliert.
Fall 1: Dornbirn
Anfang Februar erstach ein 34-jähriger Türke den Sozialamtsleiter der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn.
Der Asylwerber war illegal nach Österreich eingereist, nachdem er 2009 nach mehreren Delikten mit einem Aufenthaltsverbot belegt worden war. Unterschrieben wurde der Bescheid vom späteren Opfer.
Laut Innenministerium gab es keine Möglichkeit, den Mann während seines Asylverfahrens festzusetzen – und genau das soll nun mittels Sicherungshaft geändert werden.
War eine eine Inhaftierung des Täters vor der Tat tatsächlich unmöglich?
Das ist unter Experten strittig, weil es bislang keinen vergleichbaren Fall gab. Laut EU-Recht können Asylwerber sehr wohl in Haft genommen werden, „wenn dies aus Gründen der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung erforderlich ist“. Allerdings müsste Österreich dafür die Haftgründe in der Verfassung um diesen Passus erweitern.
Einzelne Strafrechtsexperten sind der Meinung, der Asylwerber hätte sehr wohl während des Asylverfahrens in Schubhaft genommen werden können, da bei ihm davon auszugehen war, dass er sich der Abschiebung im Fall eines negativen Bescheids entzieht.
Fazit: Zumindest im Dornbirner Fall hätte die Haft für Asylwerber Klarheit geschafft – und allenfalls Schlimmeres verhindert.
Fall 2: Brunnenmarkt
Im Mai 2016 erschlägt ein amtsbekannter, psychisch kranker Nigerianer am Wiener Brunnenmarkt mit einer Eisenstange eine 54-jährige.
Ein Fall, der mit den bestehenden Gesetzen zu verhindern gewesen wäre, wie eine später eingesetzte Sonderkommission befand.
Nicht fehlende Gesetze führten zu der Tat, sondern Behördenversagen. Der Informationsaustausch zwischen Polizei, Gerichten, Jugendgerichtshilfe und Sozialarbeitern war, gelinde gesagt, mangelhaft. Zu diesem Urteil kommt auch die Sonderkommission des Justizministeriums, die den Fall analysiert hat.
Fazit der Soko: Es braucht für derartige Fälle nicht neue Gesetze, im Gegenteil: Schon derzeit stünden ausreichende Instrumentarien zur Verfügung, um (derartigen Fällen) effektiv zu begegnen“.
Fall 3: Häusliche Gewalt
Ein Mann schießt auf offener Straße seiner Ex-Freundin in den Kopf. Die Frau war seit Monaten von dem Mann bedroht worden. Hätte der Mann präventiv inhaftiert werden sollen?
Dass sich durch Sicherungshaft alle Beziehungstaten verhindern lassen, bezweifeln Strafrechtsexperten und Kriminalsoziologen bzw. -psychologen. „Gewalt- oder Sexualdelikte passieren sehr oft im Affekt“, sagt Veronika Hofinger vom Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie. Die Möglichkeit der U-Haft bestehe schon jetzt .
Fazit: Ist absehbar, dass ein Täter zur Tat schreitet, wird er schon heute in U-Haft genommen. Trotz Expertise von Richtern und Psychologen ist ein 100-prozentiger Schutz vor Gewalt in der Beziehung nicht zu leisten.