FPÖ-Chef Kickl als Kanzler? Ein historischer Regierungsauftrag und die Folgen
"Van der Bellen, schmeiß ihn raus" skandierten einige Hundert Menschen am Montag am Ballhausplatz. Die jüdischen österreichischen HochschülerInnen (jÖH) hatten zuvor zu einer Spontankundgebung gegen einen Regierungsauftrag an FPÖ-Chef Herbert Kickl aufgerufen. Sprechchöre gegen die Freiheitlichen und gegen Faschismus wechselten sich mit Aufforderungen an den Bundespräsidenten ab. Dieser solle seine Versprechen halten, wurde gerufen.
Dass die Hoffnungen der Demonstranten enttäuscht wurden, war gegen 13:20 Uhr klar. Nach einem einstündigen Treffen mit dem FPÖ-Chef in der Hofburg trat Alexander Van der Bellen vor die Kameras: „Herr Kickl traut sich zu, im Rahmen von Regierungsverhandlungen tragfähige Lösungen zu finden. Und er will diese Verantwortung, ich habe ihn das explizit gefragt“, sagt das Staatsoberhaupt.
Und dann der nun historische Satz, der eine Zäsur in der Geschichte der Zweiten Republik darstellt: „Ich habe ihn daher beauftragt, dass er Gespräche mit der ÖVP zur Bildung einer Bundesregierung aufnimmt. Herbert Kickl wird mir laufend über den Fortgang dieser Gespräche berichten.“
Seit 1945 hatten Österreichs Bundespräsidenten immer nur den Parteichefs der SPÖ und der ÖVP einen Auftrag zur Bildung einer Bundesregierung erteilt. Nun ist erstmals die Freiheitliche Partei, die ja aus der Nationalratswahl am 29. September 2024 als stimmenstärkste Partei (mit 28,8 Prozent oder 1.408.512 Stimmen) hervorgegangen war, am Zug, eine Regierung zu bilden.
ÖVP steht bereit
Als einzig möglicher Koalitionspartner hat der designierte neue Parteiobmann der Volkspartei, der Wiener Neustädter Christian Stocker, bereits bestätigt, ein allfälliges Angebot der FPÖ zu Koalitionsverhandlungen annehmen zu wollen. Diese Koalitionsgespräche werden demnächst starten.
Van der Bellen erklärte außerdem: „Ich habe mir diesen Schritt nicht leicht gemacht. Ich werde auch weiterhin darauf achten, dass die Prinzipien und Regeln unserer Verfassung korrekt beachtet und eingehalten werden.“
Vom Treffen mit Kickl berichtete er außerdem, dass in dem Gespräch, bei dem neben Kickl auch sein Bürochef Reinhard Teufel dabei gewesen ist, zahlreiche Themen erörtert wurden: „Angesichts der aktuellen Lage, in der sich Österreich befindet. Das wirtschaftliche Umfeld ist schwierig. Österreich ist in einer anhaltenden Rezession, die Arbeitslosigkeit steigt. Gleichwohl muss unser Staatshaushalt, unser Budget, saniert werden.“
Van der Bellen gestand Kickl dabei zu, dass die Aufgabe nicht leicht werde: „Nicht alle Maßnahmen werden vermutlich populär sein – aber sie werden umgesetzt werden müssen.“
Zudem hätten die beiden über die aktuelle „geopolitische Bedrohungslage, der wir ausgesetzt sind, insbesondere durch den Angriffskrieg Russlands“, gesprochen. „Die konstruktive Stärkung der Zusammenarbeit in der Europäischen Union, auch im Interesse der österreichischen Industrie und Exportwirtschaft. Und wir haben länger über die Freiheit der Medien in Österreich gesprochen.“
Wie es nun weitergeht
Kickl verließ die Hofburg, und gab gegenüber Medien nur ein knappes Statement ab, wonach die Gespräche mit dem Bundespräsidenten „immer gute Gespräche“ seien. Er gab vorerst nicht bekannt, wie es in den kommenden Tagen weitergehen wird. Anzunehmen ist, dass die Vertreter der ÖVP demnächst zur blauen Parteizentrale kommen werden müssen. Am Dienstag will die FPÖ den weiteren Fahrplan bekanntgeben.
Donnerstagsdemo
Eine Demonstration, bei der mehr Menschen erwartet werden als bei der Spontankundgebung am Montag, ist für Donnerstagabend um 18 Uhr geplant. SOS Mitmensch, Volkshilfe und Greenpeace rufen unter dem Motto „Alarm für die Republik“ zu einer Menschenkette rund um das Bundeskanzleramt auf.
Freitag, 3. Jänner, 10.30 Uhr:
Neos-Parteichefin Beate Meinl-Reisinger verkündet den Ausstieg ihrer Partei aus den Koalitionsverhandlungen mit ÖVP und SPÖ. Zuletzt habe es in den Gesprächen „keine Fortschritte, sondern Rückschritte“ gegeben. Vor allem bei den großen Themen wie den Pensionen.
Freitag, 3. Jänner, 19.30 Uhr:
Bundespräsident Alexander Van der Bellen berichtet nach Gesprächen mit den Parteichefs, dass SPÖ und ÖVP zu zweit weiterverhandeln wollen. Er fordert von beiden „schnelle und umfassende Klarheit“. Die weitere Regierungsbildung müsse „ohne Zeitverzug geschehen“.
Samstag, 4. Jänner, 19.30 Uhr:
Nach Abbruch der Koalitionsverhandlungen durch die ÖVP kündigt Karl Nehammer seinen Rücktritt als Parteichef und Bundeskanzler an. Schuld am Scheitern der Gespräche sei die SPÖ. Dort hätten „die destruktiven Kräfte die Oberhand gewonnen“.