Jungmediziner dringend gesucht
Von Georg Gesellmann Brigitta Luchscheider Niki Nussbaumer Michaela Reibenwein Julia Schrenk Christian Willim
G. Gesellmann, B. Luchscheider, N. NUssbaumer, M. Reibenwein, J. Schrenk, C. WillimDer Hut brennt, den Turnusärzten reicht es. Viel Verantwortung und Verwaltungsaufwand, lange Schichten und wenig Geld – das schreckt immer mehr junge Mediziner ab, in Spitälern als Turnusärzte zu arbeiten.
Doch jetzt wendet sich das Blatt. In Oberösterreich werden Turnusärzte per Zeitungsinserat gesucht. Die Vorarlberger haben die Gehälter um 22 Prozent erhöht und werben mit „Wanted“-Plakaten (siehe Bild) speziell im Osten Österreichs.
Länder und Spitalserhalter lassen sich einiges einfallen, um an Nachwuchs zu kommen. Müssen sie auch. Denn die Nachbarländer, speziell Deutschland, strecken ihre Fühler nach den Jungärzten aus Österreich aus. Das trifft vor allem den Westen des Landes und Vorarlberg im Besonderen. Denn dort locken die nahe Schweiz und Liechtenstein mit lukrativen Gehältern.
Die im Juli nach oben geschraubten Gagen sind aber nicht das einzige Zuckerl für die Jungmediziner. „Die Tätigkeitsprofile zwischen Ärzten und Pflegepersonal wurden abgegrenzt. Außerdem haben wir den Beruf von Arzt- und Dokumentationsassistenten eingeführt. Das sorgt für Entlastung“, sagt Michaela Sonderegger-Polster von der Vorarlberger Krankenhaus-Betriebs- gesellschaft. Die „Wanted-Kampagne“ greift: „Ab September fangen 16 Turnusärze in Vorarlbergs Landeskrankenhäusern an.“
Das setzt die benachbarten Tiroler unter Zugzwang. Dort wird gerade über ein neues Lohnmodell verhandelt. Denn in Vorarlberg verdient bereits ein Turnusarzt im ersten Jahr mehr als ein Tiroler Arzt, der sich im sechsten Jahr der Facharztausbilung befindet, rechnet die Ärztekammer vor.
Oberösterreich hält sich auch nicht mehr zurück. Hier locken die Spitäler mit höheren Einstiegsgehältern. Flexible Arbeitszeitmodelle und die Absolvierung des Turnus in Mindestzeit werden auch versprochen.
Salzburg probiert die Problemlösung mit Schnuppertagen. In Mittersill wirbt das örtliche Spital mit zwei Gratis-Nächtigungen.
Auch die Burgenländer haben nachgedacht. Politiker wollen Jungärzte mit Gratis-Wohnungen anlocken. Dem burgenländischen Landarzt Martin Nehrer, dessen Sohn bald sein Medizinstudium abschließt, platzte aber der Kragen. Er empfahl seinem Sohn, den Turnus im Lienzer Spital zu absolvieren. Des Geldes und der verminderten Nachtdienste wegen.
Streikdrohungen
Noch lange ist nicht alles gut. In Kärnten wollten diese Woche die Jungärzte wegen unzumutbarer Arbeitsbedingungen streiken. Die Spitalserhalter lenkten ein. Im Klinikum Klagenfurt gibt es ab sofort Erleichterungen. Bis 1. Jänner wird dies auf alle Landesspitäler ausgeweitet. Die Jungärzte dürfen nun an Visiten teilnehmen, Ambulanzdienst leisten und im OP assistieren. Andere Aufgaben übernimmt das diplomierte Pflegepersonal.
Und genau das ist auch in der Steiermark ein Problem. Ramin Dayrmina absolviert seinen Turnus seit April im LKH Graz. Mit einer zweiten Turnusärztin muss der Grazer oft eine ganze Station betreuen. „Tagsüber gehen wir im Papierkram unter. Im Nachtdienst sind dann viele überfordert“, schildert er.
ZAHLEN
Mit Mai 2013 blieben 168 Turnusärzte-Stellen unbesetzt. Quelle: Österreichische Ärztezeitung. Besonders prekär ist die Situation im Burgenland. Dort gab es zuletzt keinen einzigen Bewerber. Sechs von zehn Turnusärzten sind Frauen.
Ausbildung und Abwanderung eines Arztes kostet 250.000 Euro. Bisher sind rund 3000 Ärzte ins Ausland abgewandert - allein 2000 nach Deutschland.
Das Problem bei den Turnusärzten ist auch der Politik bekannt. ÖVP-Gesundheitssprecher Erwin Rasinger ortet sogar eine Völkerwanderung bei den Jungärzten. „Die deutschen Ärzte gehen nach Großbritannien. Und die Österreicher nach Deutschland oder in die Schweiz“, sagt er. Dort sind die Arbeitsbedingungen besser. Und die Entlohnung ist höher. „Diese beiden Punkte müssen bei uns deutlich verbessert werden“, fordert Rasinger. Denn sonst setzt auch der Staat ordentlich viel Geld in den Sand. Die Ausbildung eines Mediziners kostet nämlich 250.000 Euro. „Wir müssen jetzt handeln.“
Privatunis könnten dieses Problem nicht lösen. „Wir müssen mit unserem Nachwuchs wertschätzender umgehen.“, meint Rasinger. Und die Arbeitsbedingungen müssen flexibler werden. „Bei uns denkt niemand daran, dass eine Turnusärztin vielleicht auch Kinder hat.“ Dienste, Forschungsarbeit und Kinderbetreuung – das ginge sich einfach nicht aus. „In Deutschland ist das besser geregelt. Dort ist dann eben erst um 8.30 Uhr Arbeitsbeginn. Da kann die Ärztin vorher ihr Kind noch in die Betreuungsstätte bringen.“
Entsprechende Initiativen wie in Oberösterreich oder Vorarlberg waren längst notwendig. „Speziell in Vorarlberg. Sonst können die bald zusperren.“ Denn: Fehlen jetzt die Turnusärzte, fehlen in absehbarer Zeit auch die praktischen Ärzte und somit die Landärzte von morgen.
Drei Jahre Praxis müssen Ärzte nach dem Studium für die Ausbildung zum Allgemeinmediziner absolvieren. „Am Anfang war ich so motiviert und wollte die Welt retten“, erzählt Lisa Fischer aus Aldrans bei Innsbruck. Zwei Drittel des Turnus hat die 27-Jährige, die zuletzt in einem peripheren Tiroler Landeskrankenhaus tätig war, bereits absolviert. Die anfängliche Begeisterung hat sich in Frust verwandelt. „Untertags bestehen nur zehn bis 20 Prozent der Arbeit an der Klinik aus Patientenkontakt. Der Rest sind pflegerische und administrative Tätigkeiten“, kritisiert sie die Ausbildung.
Alleingelassen
In den Nächten der 25-Stunden-Schichten schlägt das Anforderungsprofil dramatisch um. „Dann sind wir alleine in der Ambulanz und für die Erstversorgung von Patienten zuständig. Das ist ein ständiges Zittern und Bangen, dass man vielleicht etwas falsch macht.“ Man könne zwar stets Rücksprache mit einem Oberarzt halten und dürfe als Turnusarzt auch gar keine therapeutischen Entscheidungen treffen. „Aber es gibt Situationen, in denen man einfach schnell reagieren muss.“
So offen wie die 27-Jährige traut sich kaum ein Turnusarzt zu sprechen. Zu groß ist die Angst, es sich mit dem künftigen Dienstgeber zu verscherzen. „Viele spielen mit dem Gedanken, wegzugehen.“ Denn neben der mangelhaften Ausbildung klagen die Tiroler Jungärzte auch über die Bezahlung. „So lange wir weniger als eine diplomierte Pflegekraft verdienen, werden wir immer billige Arbeitskräfte bleiben“, ist Fischer überzeugt. Dem niedrigen Gehalt steht eine enorme gesundheitliche Belastung gegenüber. „Man ist im Dauerstress, leidet unter Schlafmangel und hat oft keine Zeit zum Essen und Trinken.“
Zeit für Revolution
Doch die Jungärzte scheinen nicht mehr gewillt zu sein, sich alles gefallen zu lassen. „Wir sind selbstbewusster geworden. Es ist Zeit für eine Revolution“, hofft die Tirolerin auf Besserung. Zu der gehört für sie, dass der Turnus mindestens 12 Monate in einer Lehrpraxis umfassen muss. Derzeit können sechs Monate bei einem Hausarzt für den Turnus angerechnet werden. Aber das wird kaum wahrgenommen, weil solche Stellen praktisch nicht zu finden sind. Für einen Arzt, der ausbildet, ist das nämlich mit enormen Zusatzkosten verbunden. Er muss seinen Schüler selbst zahlen.