Politik/Inland

Identitäre: Außen soft, innen extrem

Sie besetzten die Wiener Votivkirche, in der Geflüchtete Schutz suchten, stürmten eine Theateraufführung von Elfriede Jelineks „Die Schutzbefohlenen“ und zuletzt charterten sie ein Schiff, um Seenotretter im Mittelmeer zu blockieren: Mit aufsehenerregenden Aktionen sorgte die Identitäre Bewegung für Schlagzeilen. Gezielt schrammten sie dabei an der Grenze des Sagbaren und Erlaubten vorbei.

Seit einigen Wochen sind sie wieder im Scheinwerferlicht der Medien, nur läuft es diesmal nicht ganz nach ihrem Drehbuch. Zur Erinnerung: Am 15. März tötete ein 28-jähriger Australier in Christchurch, Neuseeland, mehr als 50 Muslime. In seinem Manifest berief er sich auf die Ideologie der Identitären. Kurze Zeit später wurde bekannt, dass der Mann in Europa unterwegs war und an den Österreicher Martin Sellner, zentrale Führungsfigur der Gruppe, Geld gespendet hatte – sowie an andere Ableger der Identitären.

Seither vergeht kaum ein Tag ohne Berichte zu ihren Netzwerken in die Politik und der Frage, wie gefährlich sie sind. „Der Attentäter gehört nicht der Szene der Neuen Rechten an, aber er bezieht sich auf ihr Theorie-Gebilde. Sie haben damit Menschen inspiriert bzw. ihnen eine Legitimation gegeben, auch Terrorismus zu machen“, sagt Christian Fuchs. Der Investigativ-Journalist der Wochenzeitung Die Zeit recherchiert seit über einem Jahrzehnt zum Thema Rechtsextremismus, seit drei Jahren auch über die Neue Rechte, zu der die Identitären gehören.

Gegründet wurden sie in Frankreich im Jahr 2012 als „Génération Identitaire“. Ableger gibt es in Deutschland, Österreich, Großbritannien, Niederlande, Tschechien, Polen oder der Schweiz, wobei die Mitgliederzahl schwer zu eruieren ist, Experten gehen von ein paar hundert pro Land aus. Für ihre Aktionen ist dies nicht ausschlaggebend. Mit modernen Kommunikationsmittel konnten sie ohnehin bisher maximale Wirkungsmacht entfalten, erklärt Fuchs: „Mir ist keine andere politische Aktivistengruppe bekannt, die in kurzer Zeit so eine große Bekanntheit erlangt hat.“

Ihre Strategie

Zu ihrer Strategie gehört, dass sie nicht wie klassische Neonazis auftreten – optisch und sprachlich: Statt Springerstiefel und NS-Codes tragen sie Sneakers und das Lambda-Logo auf Shirts, Jutebeutel und Fahnen: Ein schwarzer Kreis auf gelbem Hintergrund. Es ist der griechische Buchstabe Lambda, der auch in der Graphic-Novel-Verfilmung „300“ zu sehen ist, wo Spartaner gegen die übermächtigen Perser kämpfen. Sie sehen sich auch selbst als streng hierarchisch organisiertes Heer, an dessen Spitze sogenannte Hopliten stehen. Diese dürften „kein bürgerliches Leben anstreben“ und müssen sich der Bewegung verschreiben. In der Hierarchie kommen darunter Spartiaten, die quasi auf der Straße kämpfen und unter 30 Jahre alt sein müssen. An unterster Stelle sind Sympathisanten, die Veranstaltungen organisieren. Das geht alles aus einem Dokument von Patrick Lenart, Co-Chef der Identitären Bewegung, hervor, über das der Standard zuerst berichtete.

Ihren Rassismus verbergen sie hinter Schlagwörtern wie „großer Austausch“, „Umvolkung“ oder „Ethnopluralismus“ – er unterstelle, dass Staaten ethnisch rein bleiben soll, erklärte die Politologin Judith Götz kürzlich im KURIER.

Wenn sie sich vom Nationalsozialismus distanzieren, dann frei nach AfD-Chef Alexander Gauland („Nur ein Vogelschiss in 1.000 Jahren deutscher Geschichte“). „Sie sagen, es gab mehr, auf das wir stolz sein können. Warum reduzieren wir unsere nationale Identität auf die zwölf Jahre Nazi-Herrschaft?“, erklärt Fuchs.

Braunes Netzwerk

So sehr sich die Identitären auch als breite Jugendbewegung präsentieren wollen – in ihren Reihen finden sich viele Leute aus der Neonaziszene, wie etwa der NPD-Jugend. Bei mehreren Razzien in der Hooligan- und Kampfsportszene in Cottbus beschlagnahmten Ermittler neben Waffen und NS-Deko auch Propaganda-Material der Identitären. Der Staatsschutz-Chef des Landeskriminalamtes, Olaf Berlin, stellte fest: Anhand der sichergestellten Gegenstände „sieht man die Schnittmenge zur Identitären Bewegung, die aus der Szene heraus mitgetragen wurde“.

Den Schulterschluss zwischen Identitären, AfD, Pegida, Hooligans und anderen rechtsextremen Gruppen beobachtete Christian Fuchs bei den Demonstrationen in der ostdeutschen Stadt Chemnitz, wo sie Seite an Seite bei einer Trauerkundgebung marschierten. „Auch wenn sie ideologische Unterschiede haben, sind sie in der öffentlichen Wahrnehmung ein Block, eine starke neue Bewegung.“

Die Bilder von schwarz gekleideten Demonstranten mit Ansteckrose sollten eine friedliche Gemeinschaft zeigen – eine Inszenierung, die auch Identitäre nutzen. „Diese Bewegung benutzt als Image, dass sie gewaltfrei ist. Dem ist aber bei Weitem nicht so“, sagt Fuchs. Er berichtet von Übergriffen und Schlagstöcken in einem ihrer Hauptquartiere in Halle (Sachsen-Anhalt). Sie nutzen auch das Rittergut Schnellroda, wo Götz Kubitschek lebt, Strippenzieher der Neuen Rechten, der bei Pegida-Kundgebungen Reden hält und für den AfD-Flügel um Rechtsaußen Björn Höcke Strategien entwickelt oder Martin Sellner fördert.

Österreicher nehmen eine wesentliche Rolle in der europaweiten Bewegung ein. Knapp 99 Prozent der Identitären sind laut Fuchs Westdeutsche oder Österreicher. Laut Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl, die nach jahrelanger Recherche ein Buch über die Identitären geschrieben hat, ist der österreichische Kopf der Bewegung, Martin Sellner, im Moment international die Galionsfigur. Das liegt nicht zuletzt an seinen guten Verbindungen in die USA, wo Sellners Verlobte lebt: Brittany Pettibone hat sich in der dortigen rechten Szene als Bloggerin einen Namen gemacht.

In Deutschland wird die Bewegung vom Verfassungsschutz beobachtet. Die österreichische Behörde bezeichnet sie „aktuell als eine der wesentlichen Trägerinnen des modernisierten Rechtsextremismus“.

Partei-Sprachrohre

Mindestens so wichtig wie die Verlagsszene sind die Verbindungen zu den Parteien, die sie inhaltlich beeinflussen und von denen sie leben. Fuchs: „Sie sind im großen Stil bei der AfD angestellt, damit fließt auch wieder Steuergeld von der Partei in die Identitäre Bewegung ein.“ So arbeitet etwa Daniel Fiß, Chef der IB-Deutschland, für den AfD-Politiker Siegbert Droese im Bundestag. Neben der Geldmittel geht es auch um den Einfluss in der Gesellschaft: „Sie brauchen diese, um als Verlängerung in die Mehrheitsgesellschaft zu kommen.“

Ähnlich verhält es sich in Österreich, wo FPÖ-Mitglieder an die Identitären gespendet haben sollen bzw. laut Verfassungsschutz freiheitliche Funktionäre in der Bewegung aktiv sind. Nach Recherchen von ZiB2 und Salzburger Nachrichten lukrierten die Identitären seit 2012 über drei Fördervereine mindestens 700.000 Euro ein. In einem beschlagnahmten Strategiepapier bezeichnen die Identitären die Partei auch als ihre „Lobby“. Zudem fanden Experten wie der Soziologe Jörg Flecker, Rechtsextremismusexpertin Judith Götz und Politologin Natascha Strobl eindeutige inhaltliche Parallelen zwischen FPÖ und Identitären. In zahlreichen Aussagen blauer Politiker und im Parteiprogramm „Handbuch freiheitlicher Politik“ fänden sich „ideologische Versatzstücke“.

„Troll-Armee“

Weniger offensichtlich üben sie ihren Einfluss im Netz aus, etwa vor der deutschen Bundestagswahl 2017. Eine Troll-Armee aus Identitären wie Sellner, AfD-Politikern und anderen Rechtsgesinnten versuchte unter dem Namen „Reconquista Germanica“ Online-Debatten zu kapern, um Begriffe zu setzen (#nichtmeinekanzlerin) und Gegner einzuschüchtern. „Dadurch haben sie eine Wirkung erzielt, die sie mächtiger gemacht hat, als sie waren. Es reichen 100 Leute, die alle je drei bis vier Fake-Accounts haben, um den Algorithmus so zu beeinflussen, dass Twitter oder Facebook denken, das sind echte Menschen, die hier über ein relevantes Thema diskutieren.“ Für Fuchs war dies eine ihrer letzten Aktionen. Er ist überzeugt: Die Identitären haben ihre besten Tage hinter sich. Auf einem europaweiten Treffen im Sommer 2018 tummelten sich nur 500 Anhänger. Fuchs berichtet von Katzenjammer und der Hoffnung, „es müsse etwas passieren“.

Was in Neuseeland im März geschah, passte jedenfalls nicht in ihre Strategie: Die Nähe zum Attentäter brachte die Identitären in Erklärungsnot und führte zur öffentlichen Abgrenzungsdebatte im bürgerlich-rechtskonservativen Lager, der Frage nach ihrer möglichen Auflösung und wozu ihre Theorien Menschen befähigen. Die Schlagzeilen versuchten sie dennoch zu nützen. So riefen die Aktivisten in Österreich Mitte April zu einer Demonstration für sich selbst auf, knapp 300 Menschen kamen vor das Justizministerium – es wären mehr Teilnehmer gewesen, als erwartet, erklärte Martin Sellner dort einer KURIER-Reporterin.

 

Buchtipp: Die Recherchen der Investigativ-Journalisten Christian Fuchs und Paul Middelhoff zeigen, wie sich die Neuen Rechten vernetzen und die Gesellschaft beeinflussen (Rowohlt Verlag)