Kranke Kasse: ÖGK hat Verluste von über vier Milliarden Euro bis 2028
Von Josef Gebhard
Es sind alarmierende Zahlen, die die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) bekanntgibt: Nach dem Negativergebnis von beinahe 400 Millionen Euro Minus im Jahr 2023 sagt die Gebarungsvorschaurechnung der ÖGK auch für 2024 und die Folgejahre immer deutlichere Verluste voraus.
Bis zum Jahr 2028 sind weitere Verluste von über 4 Milliarden Euro in der Vorschaurechnung eingepreist, so ÖGK-Obmann Andreas Huss am Freitag.
Die Zahlen im Detail: Aufgrund der angespannten wirtschaftlichen Lage rechnet die ÖGK 2024 mit einem Bilanzverlust von 481 Millionen Euro. Das ist
bei einem Gesamtbudget von 20,2 Milliarden Euro ein Minus von 2,4 Prozent. Für 2025 kann das Defizit auf bis 800 Millionen Euro ansteigen.
Die Entwicklung hat mehrere Ursachen:
- Das Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo rechnete Anfang des Jahres noch mit einem leichten Wirtschaftswachstum ab dem zweiten Halbjahr. Diese Annahme trat nicht ein, das Wachstum liegt nun bei minus 0,6 Prozent. Mit der Folge, dass die Beschäftigungszahlen stagnieren, was sich wiederum negativ auf die Einnahmen der ÖGK über Beitragsleistungen auswirkt.
- Ein nie dagewesener Anstieg bei der Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen. Während im ersten Quartal noch ein Prozent mehr Arztbesuche zu verzeichnen waren, sind es im zweiten Quartal schon acht Prozent. Als Gründe für diesen sprunghaften Anstieg nennt man bei der ÖGK den Umstand, dass zuletzt immer mehr Leistungen aus den Spitälern in den niedergelassenen Bereich verlagert wurden. Zum Beispiel CT- und MRT-Untersuchungen. Zudem seien laut ÖGK allein in diesem Jahr 18 neue Primärversorgungseinheiten (PVE) eröffnet worden. "Jede einzelne verzeichnet mit ihrem breiten Leistungsangebot eine dreimal höhere Frequenz als eine Einzelordination", rechnet man bei der ÖGK vor.
- Auch bei den Medikamentenkosten gibt es Anstiege: "Es werden zwar weniger Medikamente verordnet, dafür teurere. Das
zeigt, dass der medizinische Fortschritt auch weitergegeben wird", so die ÖGK. - Demografische Entwicklungen: Menschen ab 65 Jahren nutzen die e-Card mehr als doppelt so häufig wie jüngere Altersgruppen, was zu steigenden Ausgaben im Gesundheitssystem führt und "langfristig finanzielle Herausforderungen für die Sozialversicherungssysteme schaffen kann", wie es bei der ÖGK heißt.
- Mitverantwortlich für die Schieflage macht Huss zudem die Kassenfusion, die unter Türkis-Blau erfolgte: Sie hat nicht wie angekündigt eine Milliarde Euro gebracht, sondern den Beitragszahlern im Gegenteil bis 2028 1,7 Mrd. Euro entzogen.
Huss weiter: "Die offizielle Vorschaurechnung zeigt, dass die ÖGK auch in den nächsten Jahren strukturell im Minus steckt. Das beweist, dass das Krankenkassensystem in einer Zeit mit Bevölkerungswachstum, älter werdender Bevölkerung, größerem Aufgabenspektrum auch durch die nötige Spitalsentlastung zusätzliches Geld braucht.“
Ruf nach mehr Geld für Leistungsausbau
Gleichzeitig würden nicht ausreichend Mittel für die Verlagerung der Leistungen von den Spitälern in den niedergelassenen Bereich bereitgestellt, kritisiert Huss: "Im Finanzausgleich wurde zwar von einer deutlichen Ambulantisierung der Versorgung gesprochen, aber der Grundsatz, dass das Geld der Leistung folgen muss, wurde nicht realisiert. Obwohl die Belagstage in den Krankenhäusern in den letzten zehn Jahren um bis zu 30 Prozent zurückgegangen sind, bekamen die Spitäler doppelt so viel Geld wie die niedergelassene Versorgung", sagt Huss. "Die kommende Regierung muss die bereits beschlossenen Priorisierungen nun endlich auch mit den nötigen Geldmitteln hinterlegen."
Er wiederholt seine Forderung nach jährlich mindestens einer Milliarde Euro zusätzlich – durch die Erhöhung des Krankenversicherungsbeitrags des Staates für Pensionisten.
Bei der ÖGK betont man, dass es trotz der überraschend hohen Einbußen zu keinen Einschränkungen in der Patientenversorgung kommen werde.
„Die konjunkturbedingten Schwankungen der Einnahmen, die übrigens bei einem steuerfinanzierten System noch größer wären, sind nichts ungewöhnliches“, sagt Thomas Czypionka, Gesundheitsökonom am IHS. Mehr Gedanken müsse man sich über die Effekte machen, die durch die stetig steigende Überalterung und die immer teureren Therapien entstehen.
Was nun zu tun ist
Gegensteuern ließe sich durch eine weitere Verlagerung von Leistungen aus den Spitälern in den niedergelassenen Bereich, wo – bei entsprechender Finanzierung – die Behandlung günstiger sei, durch eine Beseitigung der vielen Doppelgleisigkeiten, die immer noch in der Versorgung von Patienten bestehen würde, und durch eine Forcierung der Vorsorgemedizin, mit der man sich die teure Behandlung von Folge-Erkrankungen (z.B. bei Diabetes) ersparen könnte.
Im System Sozialversicherung selbst ortet der Experte eine gesetzliche Überregulierung, weshalb dort auch relativ viele Juristen arbeiten müssten. „Der Gesetzgeber sollte hier mehr Spielräume ermöglichen, dann könnte mehr Personal in der Steuerung und Gestaltung eingesetzt werden.“