SPÖ zog Notbremse: Das Scheitern eines Hoffnungsträgers
Von Daniela Kittner
In seinem Abschiedsstatement am Samstag in der SPÖ-Zentrale beteuerte Christian Kern, er habe es nicht bereut, in die Politik gegangen zu sein. Er habe viel gelernt, viele neue Begegnungen gehabt, er möchte „nichts davon missen“.
Dennoch: Kerns Schicksal wird Leute in gut dotierten Jobs noch mehr abschrecken, in die Politik zu wechseln, als es ohnehin schon der Fall ist. Im April 2016 war er Generaldirektor mit 700.000 € Jahreseinkommen. Im Oktober 2018 scheidet er mit einem schwer angeschlagenen Ruf aus der Politik. Er fällt zwar finanziell in kein Loch, aber binnen zweieinhalb Jahren hat sich Kern ins Out katapultiert.
Wieder einmal zeigt sich, es ist viel leichter, in die Politik einzusteigen als unbeschadet rauszukommen. Und wieder ist bewiesen, dass die Spitzenpolitik ein sehr schwieriges Terrain ist, für das man ganz bestimmte Anlagen braucht.
Eine davon ist Durchhaltevermögen.
Fehleinschätzung
Im Mai 2016 wurde Christian Kern Nachfolger von Werner Faymann als Kanzler und vielfach als Hoffnungsträger betrachtet.
Man kann darüber streiten, ob das damals überhaupt berechtigt war. Nicht wegen der Person Kern, sondern weil die große Koalition tot und die SPÖ politisch verengt und abgewirtschaftet war.
Kern jedoch, so erzählen Vertraute, habe bei seinem Wechsel von den ÖBB in die Politik keine Sekunde daran gezweifelt, dass er die folgende Nationalratswahl gewinnen und Kanzler bleiben würde.
Das jedenfalls war eine verhängnisvolle Fehleinschätzung.
Berater-Wirrwarr und Silberstein
Danach folgte der irre SPÖ-Wahlkampf, Intrigen, Datenklau, der Fehlgriff Silberstein, ein beispielloses Berater-Wirrwarr, und das Ganze getoppt durch Kerns Hang zu exzessiver Selbstdarstellung.
Dass Kern vom damals 30-jährigen Sebastian Kurz an die Wand gespielt wurde, und dass er an ihn den Platz 1 bei der Nationalratswahl und das Kanzleramt verlor, habe er nicht verwunden, erzählen Wegbegleiter. Da hat Kern übrigens mit dem früheren ÖVP-Obmann Reinhold Mitterlehner etwas gemeinsam, auch er fühlt sich als Kurz-Opfer.
Gelegenheit zur Revanche
Kern sann immer wieder auf eine Gelegenheit zur Revanche und Rehabilitierung. So wollte er unter anderem Wiener Bürgermeister und politischer Gegenspieler des türkisen Kanzlers werden.
An der EU-Wahl reizte ihn, zu zeigen, dass er siegen und die ÖVP auf Platz 2 verweisen könne. In diese Motiv-Kategorie fällt auch das Ansinnen, noch Höheres zu werden als Kanzler, nämlich irgendein Spitzenrepräsentant in der EU.
„Kern hätte beides werden können, Bürgermeister oder EU-Spitzenkandidat. Aber er hätte das aufbauen müssen, eine Vision für die jeweilige Aufgabe entwickeln und seine Kandidatur vorbereiten müssen“, sagt ein langjähriger Profi-Politiker der SPÖ.
Unterstützer verprellt
Stattdessen hat Kern sprunghaft agiert und potenzielle Unterstützer verprellt. Er überrumpelte die SPÖ mit seinem Rückzug als Parteichef wenige Tage vor dem Parteitag. Die Selbsternennung zum EU-Spitzenkandidaten und die Ankündigung, auch EU-weit die Sozialdemokratie anführen zu wollen, stieß die Entscheidungsträger im In- und Ausland vor den Kopf. Zuletzt reiste Kern rastlos durch Europa und darüber hinaus, ohne dass ein Zweck oder ein realistisches politisches Projekt daraus ersichtlich geworden wäre. Da zog die SPÖ die Notbremse. Der Zorn der Funktionäre über Kerns Verhalten tat ein übriges.
Am Donnerstag nach Kerns Rückkehr aus Italien hatte er eine Unterredung mit der designierten SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner. Sie teilte ihm ihre Bedenken mit, dass der Parteitag im November schief gehen könnte, wenn sich der Zorn über Kerns Vorgangsweise entlädt. Das könnte sich auf die Wahlergebnisse niederschlagen.
Kern selbst hatte bereits am Mittwoch in einem Telefonat mit dem KURIER gesagt, er werde Rendi-Wagner nicht im Weg stehen, falls sie finde, dass seine EU-Kandidatur einen Schatten über ihren Neustart werfe. So kam es dann auch.
Gute Personalwahl
Zugute halten kann sich Kern, dass er nach der Enge der Faymann-Jahre neue interessante Personen – Rendi-Wagner, Sonja Hammerschmid, Thomas Drozda – in die Politik geholt hat.
Kern will jetzt ein Unternehmen gründen. Wie sagte Doris Bures? Wirtschaft kann er besser als Politik.