Sprung an die SPÖ-Spitze: 97,8 Prozent für Rendi-Wagner
"Nach vorn" will die SPÖ nun gehen. Auf einem Bundesparteitag unter diesem Motto übernimmt die designierte SPÖ-Chefin Pamela am Wochenende in Wels auch offiziell den Parteivorsitz. Als erste Frau in der Parteigeschichte. Wie jeder ihrer Vorgänger hoffte Rendi-Wagner auf eine möglichst klare Bestätigung. Und diese hat sie bekommen. 97,81 Prozent der Delegierten wählten Pamela Rendi-Wagner. An dieser Stelle können Sie die Geschehnisse live verfolgen. Im Liveticker und als Livestream.
"Stimmung gut, Partei gut, Fraktion gut", fasste SPÖ-Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda die Lage Samstagvormittag vor rund 650 Delegierten und 800 Gästen zusammen. Nach dem turbulenten und chaotischen Obmannwechsel und der jüngsten parteiinternen Sexismus-Debatte will die SPÖ wieder in die Spur kommen und mit sozialen Themen wie Chancen- und Leistungsgerechtigkeit, Zusammenhalt und leistbares Leben bei den Wählern punkten. Mit Rendi-Wagner an der Spitze soll das gelingen.
Laubbläser-Politik
Die oberösterreichische SPÖ-Chefin Birgit Gerstorfer nahm als Gastgeberin die türkis-blaue Bundesregierung ins Visier. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) machten vor allem "Laubbläser-Politik", um von wichtigen Themen abzulenken. Kurz und Strache "blasen mit viel Lärm und Getöse die Probleme von einem Ort zum anderen, ohne irgendetwas zu lösen. Die heiße türkis-blaue Luft verbrennt die Demokratie", so Gerstorfer. Für die neue Parteichefin forderte Gerstorfer "Rückendeckung". Danach zog Rendi-Wagner - begleitet von Kindern - zu den Klängen des Coldplay-Songs "A Sky full of Stars" unter Standing Ovations in die Halle ein.
Emotionaler Empfang
Die designierte Parteichefin versuchte, den gespendeten Jubel der Delegierten selbst emotional aufzufangen. Rendi-Wagner zeigte sich zu Beginn überwältigt, sie sei "völlig fertig". Dann setzte sie an zu einer Rede, mit der sie die Genossinnen und Genossen auf ihren künftigen Kurs einschwören möchte. Ihr Ziel sei es, erste Bundeskanzlerin zu werden. Dafür gelte es, nicht nach links sondern "nach vorne" zu schauen, sagte Rendi-Wagner, "dort, wo die Zukunft ist". Eingangs wurdeein Video mit einer Frau namens Jasmin eingespielt. Man müsse Lösungen für die Probleme Jasmins finden, sagte Rendi-Wagner.
Aber Seitenhiebe auf die derzeitige Bundesregierung fielen nicht zu knapp aus. „Lieber Sebastian“, sagte Rendi-Wagner, an Kurz gerichtet, und sprach seine Zeit als Staatsekretär für Integration und als Außenminister an. "Was genau hast du in all diesen Jahren eigentlich gemacht?" Rendi-Wagner gibt unter frenetischem Applaus folgende Antwort: "Du hast gar nichts getan! Du beschreibst, du kommentierst, du kritisierst. Aber Sebastian: Du bist Politiker, und Politiker machen, handeln und tun. Sie versuchen die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern." Ringe sich Kurz dann doch einmal zu einer Entscheidung durch, sei diese falsch wie das Nein zum UNO-Migrationspakt.
Mit angriffigen Aussagen wie diesen traf sie den Geschmack ihres Publikums am besten. Ziemlich genau eine Stunde dauerte die Wahlrede der designierten Parteichefin, die im Wesentlichen nur zu Beginn ein wenig atemlos, weil nervös schien. Der Vortrag war souverän, freilich klammerte sich Rendi-Wagner auch stark an ihre Redeunterlage, was die Delegierten allerdings nicht zu stören schien, wurde sie doch mit Jubel, Trubel, Heiterkeit und stehenden Ovationen gefeiert. Sie selbst versprach: "Ich möchte euch ganz fest umarmen, jeden einzelnen von euch."
Was Rendi-Wagner besonders anprangerte, war, dass sich die Regierung dem Diskurs in Parlament und Sozialpartnerschaft entziehen wolle - etwa mit einem Husch-Pfusch-Gesetz zur Arbeitszeit-Flexibilisierung. Dass sich die Regierung wiederum weigere, eine Volksabstimmung zum Rauchen in der Gastronomie durchzuführen, nannte die geschäftsführende SPÖ-Vorsitzende "armselig". Die Kassenreform sieht Rendi-Wagner als "Startschuss für eine schleichende Privatisierung unseres solidarischen Gesundheitssystems".
Ganz andere Wege will die SPÖ gehen. Die Sozialdemokraten seien die Partei für jene, die nicht auf die Butterseite gefallen seien, sondern jeden Tag kämpfen müssen, erklärte Rendi-Wagner, die aber gleichzeitig ein Leistungsbekenntnis ablegte. Ihre eigene Biografie könne hier als Beispiel stehen. Allerdings müsste allen auch die Möglichkeit gegeben werden, Leistung zu bringen. Dafür brauche es mehr Geld für Brennpunktschulen, den flächendeckenden Ausbau der Ganztagsschulen und vieles mehr.
Vorschlag zur Wohnpolitik
Einen neuen Vorschlag brachte die künftige SPÖ-Chefin zur Wohnpolitik ein. Ginge es nach Rendi-Wagner, soll es künftig keine Mehrwertsteuer auf Mieten mehr geben. Damit würde mehr als eine Miete pro Jahr eingespart werden.
Nicht allzu präzise war Rendi-Wagner in der Migrationspolitik. "Humanität" und "Ordnung" brauche es da, befand die künftige Frontfrau der Sozialdemokraten eher vage. Klar sei aber, dass man niemals die Sprache und Ideologie jener übernehmen werde, die die Gesellschaft spalten wollten - "kein Rassismus, kein Antisemitismus, kein Antiislamismus - da würden wir uns selbst aufgeben." Auch patriarchalische Strukturen und Machoismus wurde von der selbst deklarierten Feministin Rendi-Wagner eine klare Absage erteilt.
"Mit dem Herzen schauen"
Vergessen waren die jüngsten Dissonanzen zwischen der künftigen Vorsitzenden und ihrem Vorgänger. Sie dankte während ihrer Rede dem heute endgültigen abtretenden Parteichef für die Chance, die er ihr als Gesundheitsministerin gegeben habe, ("Das werde ich dir nie vergessen"), und bescherte Christian Kern dabei einen eigenen Einzug durch das Publikum.
Der eigenen Partei gab Rendi-Wagner, die sich selbst als Kind der Kreisky-Ära schilderte und einen kurzen Hinweis auf ihre Kindheit in einem Favoritner Gemeindebau gab, vor, aufmerksam zuzuhören "und mit dem Herzen zu schauen". Man dürfe nicht nach links und schon gar nicht nach rechts schauen - sondern in die Zukunft nach vorne.
35-Stunden-Woche und EU-Wahl
Neben ihrem neuen schon länger bekannten Parteiprogramm wird die SPÖ auf dem Parteitag zwei weitere Leitanträge beschließen. Während jener für die Europa-Wahl relativ allgemein gehalten ist, beinhaltet der "klassische" innenpolitische Leitantrag ganz konkrete Forderungen, etwa die nach einer 35-Stunden-Woche als ersten Schritt zu einer 30-Stunden-Woche.
Im Antrag gesteht die SPÖ ein, dass es ihr nicht gelungen sei, auf veränderte Wählermilieus, Wohlstandsverluste und die Herausforderungen der Migration so zu reagieren, dass der politische Führungsanspruch verteidigt werden konnte. Die Opposition biete nun die Chance, die Partei neu zu gestalten und auf die Veränderungen der Gesellschaft entsprechend zu reagieren, politisch und organisatorisch. Die SPÖ müsse soziale Probleme nicht beklagen, sondern auch lösen. Positionieren will man sich gegen die Koalition, die auf Spaltung setze: "Ganz bewusst will diese Regierung den Konflikt mit allen suchen, die ihre politischen Ansichten nicht teilen."
Der Abschluss des Parteitags am Sonntag steht dann im Zeichen der EU-Wahl: Andreas Schieder, vormals Klubchef der SPÖ im Parlament, wird zum Spitzenkandidaten gekürt.
Tiroler Turbulenzen
Kurz vor dem SPÖ-Parteitag sind aus Tirol kommend noch dunkle Wolken aufgezogen. Der designierte Tiroler SPÖ-Chef Georg Dornauer brachte Rendi-Wagner mit einem sexistischen Sager im Tiroler Landtag unter Zugzwang. In Richtung der wegen Krankheit abwesenden Grünen Landesrätin Gabriele Fischer sagte er: "Ich will mir die Landesrätin nicht in der Horizontalen vorstellen."
Rendi-Wagner zog rasch Konsequenzen. Sie erklärte Dornauers Aussage als "inakzeptabel", damit sei er als stellvertretender Bundesparteivorsitzender "nicht tragbar". Dornauer werde deshalb "keine bundespolitischen Funktionen - weder im Präsidium noch im Vorstand - übernehmen", schrieb Rendi-Wagner auf Facebook.