Abseits der Gebühren: Die ORF-Debatte, die nicht geführt wird
Von Georg Leyrer
Auf eine Weise ist die ORF-Gebührendiskussion durchaus praktisch: Jeder hat rasch eine vorgefasste Antwort bei der Hand. Und die gefühlte Unzufriedenheit mit dem ORF lässt sich in bare politische Münze verwandeln.
Die FPÖ kann an ihrer Klientel signalisieren, sich für ein langjähriges Wahlversprechen einzusetzen (wenn auch die in der Opposition noch lautstark erhobene Forderung, den ORF von der Politik unabhängiger zu machen, vergessen scheint).
Die SPÖ kann, nach jahrzehntelang geübtem Zugriff auf den ORF, in der Opposition plötzlich in Sorge um dessen Unabhängigkeit aufgehen, sollte der ORF aus dem Budget finanziert werden.
Der ORF-General und auch die ÖVP bekommen ohne viel eigenes Zutun Verhandlungsmasse in die Hand gespielt: Die ÖVP könnte sich eine etwaige Überführung ins Budget, die in ihrer Wählerschaft wenig Zuspruch und auch Gegenwind von den mächtigen ÖVP-geführten Ländern hat, von der FPÖ teuer abgelten lassen.
Und Alexander Wrabetz kann Bedrohungsszenarien aufbauen, diese dann mit der Politik abtauschen – und seinen Job so vielleicht auch über das kommende ORF-Gesetz retten. Denn neue ORF-Gesetze dienten in der Vergangenheit verlässlich nur einem: nicht der Entpolitisierung, nicht der Neuaufstellung des ORF, sondern dem Austausch der Führungsspitze, die zumeist die Farbe der Vorgängerregierung trug.
Zukunft
Aber es gibt auch ORF-Diskussionen, die weniger praktisch, dafür aber viel komplizierter sind – und deswegen lieber nicht geführt werden. Diejenigen um die Zukunft des Senders nämlich.
Der ORF findet sich, abseits der Diskussion um den Grad seiner politischen Abhängigkeit, in der selben Situation wie alle europäischen öffentlich-rechtlichen Sender: Er hat ein demografisches Problem, die Seherschaft wird immer älter.
Das liegt daran, dass viele junge Seher den ORF für zweierlei nicht brauchen: Für den Konsum von fiktionalem Programm (das gibt es im Überfluss im Streaming- oder genauso gut im privaten TV). Und für die politisch so heiß umkämpften Nachrichten.
Wenn die Jungen nicht nachwachsen, dann wird es über kurz oder lang schwierig. Die Diskussion, wie sich der ORF hier aufstellen kann, läuft aber auf Sparflamme. Wenn überhaupt.
In den vergangenen Jahren wurden die Eigenproduktionen für Kinder im ORF massiv zurückgefahren. Dass die das potenzielle Publikum der Zukunft sind, scheinen das ZDF oder auch die BBC besser erkannt zu haben – dort gibt es teils entzückende Angebote für Kinder.
Online last
Wo man die Jungen noch erobern kann? Der ORF – der soeben seine TVThek neu gelauncht hat – wünscht sich seit langem mehr gesetzlichen Spielraum, um online präsenter zu sein und so näher an das Publikum der Zukunft rücken zu können. Dagegen sträuben sich nicht zuletzt die privaten, nicht gebühren- oder budgetfinanzierten Medien: Auf dem kleinen heimischen Onlinemarkt ließe ein befreiter ORF wenig Platz für private Konkurrenz.
Andererseits hat sich der ORF völlig zu Recht großteils von Facebook verabschiedet: Dass die Plattform indirekt mit gebührenfinanzierten Inhalten aufgefettet werden soll, ist schwer argumentierbar. In Hinblick auf die Gewinnung neuer Publikumsschichten ist der Rückzug von sozialen Medien andererseits ein Problem.
Eine etwaige Überführung der ORF-Finanzierung ins Budget würde eine Zukunftsfrage jedenfalls so nebenbei lösen: Die nämlich, dass die Zahl der Gebührenzahler bald abnehmen könnte. Je mehr Junge lieber streamen – auch in der TVThek! – und auf den TV-Empfang verzichten, desto weniger Gebührenzahler wachsen nach. In anderen Ländern – etwa Deutschland – wurde deswegen nach einer erbitterten Debatte eine Haushaltsabgabe eingeführt: Jeder Haushalt zahlt für das öffentliche Fernsehen, was nicht weit weg ist von der Budgetfinanzierung.
Denn auch darin ist die Gebührendebatte praktisch: Die Abschaffung der Gebühr könnte als Zuckerl an die Gegner verkauft werden – ungeachtet dessen, dass so alle weiter für den ORF zahlen.